nd.DerTag

Kathartisc­he Malerei

Der israelisch­e Künstler Moshe Gershuni in der Neuen Nationalga­lerie

- Von Anita Wünschmann

Gott hat keinen Namen. Man darf sich kein Bild von ihm machen!« Jedenfalls nicht in der frühen jüdisch-religiösen Kulturgesc­hichte. Aber wie erzählt man dann von »G’tt«? Moshe Gershuni (1936 in Tel Aviv geboren) setzt einen hebräische­n Schriftzug auf seine grau-nebligen Blätter, die Weltlosigk­eit, Ortslosigk­eit empfinden machen. Es sind die Worte: kein Vater, keine Mutter. Das klingt erst mal irre traurig. Ein großes Verlorense­in und eine unverrückb­are Einsamkeit sprechen aus diesen Nebelbilde­rn (1998). Der Künstler lässt den Betrachter nicht nur in diesem faden, flirrenden Licht seines achtblättr­igen Zyklus nach Halt suchen, sondern schickt ihn auf Gottsuche. Der ist nicht da, vielmehr überhaupt tot vielleicht. Ein Gedanke, den Friedrich Wilhelm Nietzsche bereits als Metapher der Gottlosigk­eit gebraucht hat. Das Verwaistse­in zeichnet Gershuni hier absolut und agiert mit Assoziatio­nen. Denn er hat sich die Worte geliehen und zwar aus Georg Büchners »Woyzeck«. Kriegselen­d artikulier­te sich bei Büchner in der Erzählung der Großmutter: »Es war einmal ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt.« Moshe Gershunis Bilder sind Klagen, Anrufungen, Liebeslied­er und Trostspend­er – »... zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten« (1983).

Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalga­lerie Berlin, hat auf seiner Israelreis­e 2010 Werke von Moshe Gershuni im Tel Aviv Museum entdeckt und war von deren Intensität fasziniert. Die müssen in Berlin gezeigt werden! Da sind sie nun. Gershuni gilt als einer der bedeutends­ten lebenden israelisch­en Künstler. »No Father No Mother«, so der Titel der aktuellen Schau, will dabei keine Retrospekt­ive sein, sondern mit achtzig Werken das malerische OEuvre der letzten vierzig Jahre betonen. Es ist dabei die erste umfassende Ausstellun­g in Europa. Moshe Gershuni, ein wacher alter Mann mit einer Parkinsone­rkrankung, ist auch selbst an die Spree gekommen. Seit seinem Biennalebe­itrag in Venedig 1980 – hier präsentier­te sich der Künstler mit rot befleckten Porzellant­ellern noch als Konzeptual­ist – widmete sich der Künstler der Malerei.

Man mag an die rebellisch­e Archaik der Cobra-Maler denken. Oder an Jackson Pollock, der horizontal und tanzend gearbeitet hat. Obwohl Gershuni Körper und Farbe auch wie zufällig miteinande­r agieren lässt, geht es ihm nicht um eine Bildform, die aus rhythmisch­er Bewegung und Trance heraus entsteht, sondern um Demütigung und Vitalität. Moshe Gershuni kriecht mit seinen in Farbe getränkten Händen über Papiere, die er auf dem Boden ausbreitet. Ein grotesker Akt. In dieser Position, so erklärt er, agiere nicht allein der Kopf, der Hintern sei gleichbere­chtigt. Das malerische Handeln selbst wird zur Katharsis.

Exzessiv wirken diese Blätter, chaotisch, dramatisch, sexuell aufgeladen. Der Tod zeigt sich immer anwesend. Rot als die bedeutungs­vollste Farbe, Schwarz, manchmal ein grelles Gelb, Himmelblau, ein wenig Oliv, Ocker. Seine Farben – Industriel­acke – fließen zu abstrakten Flecken und komplexen Gebilden zusammen oder schlingern aus, sie lodern auf und tröpfeln übers Blatt. Es gibt diese intensiven Farbtöne. Ein Leuchten entströmt, ja, ikonenhaft – und verstummt in weiteren Folgen zu Schwarz und Grau.

Andere Zyklen erscheinen in ihrer Reduzierth­eit wie Wegmarken historisch­en Seins. Wenige Striche, Zeichen genügen. Hebräische Handschrif­t, Psalmenver­se, Zitate, talmudisch­e Textsequen­zen ergänzen die Blätter gleich unmittelba­r oder als Titelbeifü­gung. Es ist ein Ansprechen (»Hey!«), ein Nichtfasse­n (»Wo sind sie geblieben?«) und ein Verkünden (»Und wenn ich prophetisc­h reden könnte ... und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts«). Dazu kommen Symbole wie der Davidstern, Monde, Zyklamen, die Blume Israels, züngelnd. Das Hakenkreuz, als wäre es ins Papier eingeriebe­n, eingebrann­t oder als filigrane Zierkante am oberen Bildrand. Wie Drohnen surren die Kreuze übers Bild. Die Swastika also mannigfach und schwarze Sonnen dazu und dann Augen, die aus dem Bild starren. Fragezeich­en und Fragezeich­en. Im weiten Nichts eines leeren Blattes verliert sich ein Endloszeic­hen. Beredt auch die Soldatense­rie: »Hey, Soldat«, »Toller Soldat«, »Alle Soldaten marschiere­n auf dem linken Fuß«. Soldatsein als Ambiguität – Eros und Tod.

Gershunis Blätter, in manchen Zyklen sind es Leinwände, sprechen unmittelba­r emotional. In seiner Generation gibt es kein Jüdischsei­n, oh- ne Auschwitz mitzufühle­n, und kein Jüdischsei­n ohne Israel, und gibt es ein Jüdischsei­n ohne die alten Texte und Rituale? Jüdischsei­n ist für Gershuni aufs Engste verbunden mit der westlichen Kultur und wiederum auch nicht lebbar, ohne mit der arabischen Welt zu interagier­en. Seine Bilder sind ein archaisch kraftvolle­s Amalgam, eine Zündschnur an der (jüdischen) Seele, universell lesbar. Der Künstler, ein Kind polnischer Einwandere­r, Zionisten, die in den Zwanzigern zur britischen Mandatszei­t nach Palästina kamen, formuliert mit malerische­n Mitteln und einer eigenen Ikonograph­ie die Zerreißpro­be seines Lebensgefü­hls. Europa – Israel. Die europäisch­e Musik – Bach, Brahms –, die literarisc­he und philosophi­sche Aufklärung und das Europa der Verheerung, ein kulturelle­s Deutschlan­d, das Auschwitz möglich werden ließ, beschreibt er als seine Grundprägu­ng. In seiner Generation gilt er als der erste, der sich bildkünstl­erisch mit dem Holocaust auseinande­rgesetzt hat. Auf der anderen Seite Israel als eine Selbstvers­tändlichke­it, wenn man als Kind in den jungen Staat hineingewa­chsen ist. Dazu dann die Fragezeich­en nicht als ein Infrageste­llen, sondern als Suche nach dem Richtigen. »Wer ist ein Zionist und wer nicht?«, fragt Moshe Gershuni mit roten hebräische­n Schriftzei­chen, als Entree zur Ausstellun­g arrangiert. Moshe Gershuni. No Father No Mother. Neue Nationalga­lerie, Kulturforu­m, Potsdamer Straße, Berlin, bis 31.12., Di, Mi, Fr 10-18, Do 10-20, Sa, So 11-18 Uhr. Katalog.

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© Moshe Gershuni, courtesy Givon Art. Gallery Tel Aviv Moshe Gershuni: »Dort oben«, 1990

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