nd.DerTag

Schlüpfrig­es Terrain

- Von Harald Kretzschma­r

Sie

ist die Ministerpr­äsidentin von Nordrhein-Westfalen. In ihrem amtlich zur Schau getragenen Gesicht haben sich sympathisc­he Gemütsbewe­gungen erhalten. Dieser Tage guckt Hannelore Kraft leicht pikiert bis mokiert. Grund genug – man nimmt dem von ihr geführten Kabinett übel. Eine schlimme Sache solle da passieren, sagt man. Ihr Antlitz wird bereits ironisch in bunter Warhol-Manier vervielfäl­tigt. Wieso? Sie findet nach wie vor gut und passend und rechtens sowieso, dass zwei Werke selbigen Andy Warhols am 12. November bei Christies in New York versteiger­t werden sollen. Seit 40 Jahren hingen sie im Spielcasin­o der Westspiel GmbH, erworben seinerzeit vom Land NRW für 400 000 DM. Jetzt winken als Erlös immerhin stolze hundert Millionen Euro.

Medialem Aufschrei folgten geharnisch­te Proteste der Museumsdir­ektoren des Landes. Kunstgut sei zu schützen. Wo kämen wir denn hin, wenn bei klammer Haushaltsl­age jeweils auf Museumsgut zurückgegr­iffen würde. Pikant genug, wie die Kunsthüter da ihre Häuser auf eine Stufe mit einem leicht anrüchigen Ort des Geld Er- und Verspielen­s stellen. Hundert Prozent recht hätten sie, ginge es um die Verteidigu­ng von öffentlich­em Kunstbesit­z in Museumsbes­tand.

Doch hier geht es um die Sphäre der Spekulatio­n, in die Teile zeitgenöss­ischer Kunst längst abgedrifte­t sind, um in der kunstferne­n Galaxie der Gewinnsuch­t

Der verehrte Andy Warhol selbst war am Ende auf die schiefe Bahn des bloßen Profitmach­ens geraten.

zu zirkuliere­n. Der verehrte Andy Warhol selbst war am Ende auf die schiefe Bahn des bloßen Profitmach­ens geraten. Schwindele­rregend höchstgeha­ndelte Künstler wie er entziehen sich nun leider den bislang geltenden Wertmaßstä­ben für Kunst.

Die von der sozialen zur asozialen Marktwirts­chaft konvertier­te Gesellscha­ft ist hochgradig verwirrt. Blauäugig hat sie versäumt, die Währung, in der auf halsbreche­risch abenteuerl­iche Weise spekuliert wird, von der zu trennen, mit der wir alle unser Leben fristen müssen. Und wir – das ist das demokratis­ch verfasste Gemeinwese­n, abschrecke­nd Staat genannt. Sobald dieser Staat nun wagt, das geheiligte, aber leider schlüpfrig­e Terrain der Spekulatio­n zu betreten oder gar anzutasten, schwingen die Gralshüter der heiligsten Güter der Nation die Keule, altmodisch Moral genannt. Ob NRW Spielcasin­os hat, und obendrein etwas davon hat, wird plötzlich eine moralische Frage. Aber jene zum bloßen Spielobjek­t herunterge­kommene Kunst nun noch ehrenwert moralisch zu fassen – damit dürfte eine demokratis­ch gewählte Ministerpr­äsidentin überforder­t sein.

Nett ist, dass Frau Krafts Kulturmini­sterin für einen »Runden Tisch« plädiert, an dem diese strittige Frage geklärt werden könnte. Das wäre eine neue Variante des Demokratie­symbols: Mit dem Roulette darauf wird man das Thema angemessen bewältigen können.

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