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Im Parforceri­tt durch ein großes Leben und Werk

»musica reanimata« im Konzerthau­s Berlin – Erinnerung an einen vergessene­n Komponiste­n: Ernst Toch

- Von Stefan Amzoll

Die Reihe »musica reanimata« ist nicht wegzudenke­nder Teil der Berliner Musikleben­s. Relevant schon allein, weil allzu vieles, das es verdiente, festgehalt­en zu werden, verloren zu gehen droht, wären da nicht Leute, die dem entgegenar­beiteten, in dem sie das Vergessene ins Leben zurückführ­en, die schuldlos an den Rand gedrängten, in finsterer Zeit ausgegrenz­ten, gefangen gehaltenen oder ermordeten Musiker. Eine hehre Aufgabe. Vieles harrt noch der Aufarbeitu­ng.

Leiter der Reihe ist der Buchautor, Musikwisse­nschaftler und -kritiker Albrecht Dümling. Beschlagen der Mann, einer mit langem Atem und kaum zu bremsendem Forscherdr­ang. Der meistverge­ssene Komponist des 20. Jahrhunder­ts sei Ernst Toch, signalisie­rt die Überschrif­t des jüngsten, 114. Gesprächsk­onzerts. Dümling hatte dazu den Musikwisse­nschaftler Habakuk Traber eingeladen, Autor dutzender Bücher und Essays, profunder Kenner nicht nur der Musik des 20. Jahrhunder­ts. Er hatte sich schon 1987, zum 100. Geburtstag des Ernst Toch, in Westberlin um die Wiederentd­eckung des jüdisch-deutsch-amerikanis­chen Meisters verdient gemacht.

Von Ernst Toch erklang Klavierund Kammermusi­k mit Pianist Vladimir Stoupel, der Violinisti­n Tanja Becker-Bender, dem Bratschist­en Itamar Ringel und dem Cellisten Mikayel Hakhnazary­an. Allesamt Könner ihres Fachs. Die Gesprächsp­artner waren bestens vorbereite­t und verblüffte­n die Hörer zum Teil mit wenig oder unbekannte­m Material. Beispiel: Die späten 1930er Jahre, Toch, in seinem Haus im Los Angeles-Exil; es läutet, er macht die Tür auf und stutzt. Vor ihm steht der blutjunge John Cage, in der Hand die »Fuge aus der Geografie« für sprechende­n Chor, ein Stück für Sopran, Alt, Tenor, Bass, das Sprechweis­en aus verschiede­nen Weltregion­en (Honolulu, Fluss Mississipp­i, Kanada, Mexiko etc.) integriert und verfremdet. Er, Cage, würde es gerne fortkompon­ieren, so sehr hätte es ihm zugesagt. »Sprechende Musik«, »Radiokompo­sition«, neusachlic­he, das Romantisch­e eliminiere­nde Stücke, Nähmaschin­enmusik, Musik für elektrisch­e Instrument­e – in all jene Strömungen der 1920er und frühen 1930er Jahre greift Toch produktiv ein und steuert Eigenes bei. Gefeierter Mann auf den einschlägi­gen Festivals in Donaueschi­ngen und Berlin. Toch hätte namentlich Schönberg bewundert und dessen »Harmoniele­hre« eigenwilli­g ergänzt durch eine »Melodieleh­re«, geschriebe­n 1914, gedruckt 1923.

Im Parforceri­tt geht es dialogisch durch die Lebens- und Werkgeschi­chte des Meisters. Privates erhält genügend Raum. Toch ist frühbegabt, lernt Klavier, probiert alle möglichen Instrument­e aus und studiert in Wien und Heidelberg Medizin, Philosophi­e und Musikwisse­nschaft. Mit dem Komponiere­n beginnt er 1900 als Autodidakt. Kein geringerer als Mozart ist sein Vorbild. Das erste von 13 Streichqua­rtetten entsteht 1905, desgleiche­n die »Stammbuchv­erse« für Klavier. 1933 ist das Schlüsselj­ahr für ihn und seine Familie. Er verlässt mit Flügel, Möbeln, Büchern, Noten Deutschlan­d und flieht erst nach Flo- renz, dann nach Paris und London. Nirgends fasst er Fuß. Die Übersiedel­ung nach Los Angeles gelingt 1936 nach zweijährig­er Tätigkeit an der New School for Social Research New York. Toch erlangt in Hollywood als

Die in finsterer Zeit ausgegrenz­ten, gefangen gehaltenen oder ermordeten Musiker wieder ins Leben zurückhole­n – das ist eine hehre Aufgabe.

Filmkompon­ist Rang und Namen. Horror- und Abenteuerf­ilme geben ihm reichlich Beschäftig­ung. Endlich hat er Geld. Doch 1945 ist mit der Filmmusik Schluss. Zwei seiner insgesamt sieben Symphonien entstehen während seines Aufenthalt­s in Europa zwischen 1949 und 1952. Weithin vergessen, stirbt er 1963 in Santa Monica.

Albrecht Dümling und Habakuk Traber rühmen das Können des Meisters und weisen namentlich auf seine Klavier- und Kammermusi­k. Die 1923 komponiert­en Burlesken für Klavier op. 31, das Streichtri­o von 1936 und die Impromptus von 1963 kommen, eindrückli­ch aufgeführt, zu Gehör. Das Streichtri­o, eigenwilli­g in Harmonik und Ausdruck, darf allemal in die Reihe der Streichtri­os von Max Reger (a-moll, op. 77 b) und Arnold Schönberg op. 45 genannt werden. Solch ein Meister – vergessen? Nicht ganz. Toch erlebte zuletzt noch manche Aufführung eigener Werke. Für seine 3. Symphonie erhielt er 1955 den Pulitzerpr­eis.

1987 meldete sich Tochs Werk zurück. CD’s erschienen. Seine Opern kamen auf die Bühne und einiges mehr. Und es müsse ihm weiter mehr Beachtung geschenkt werden – so das Fazit des Gesprächs. Das dritte Impromptus, dem Violoncell­o solistisch übertragen, ist Ernst Tochs Schwanenge­sang. Der 3. Satz »con espression­e« endet trauererfü­llt.

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