nd.DerTag

Die Fremden

- Ingolf Bossenz über ungleich gültige Worte und Werte zweier Staatsmänn­er

»Die zärtliche Gleichgült­igkeit der Welt«. Ein verstörend­es Wort aus dem Roman »Der Fremde« von Albert Camus. Gleichgült­ig. Gleich gültig. Das klingt schon anders. Bleiben wir beim »Fremden«, bei den »Fremden«. Die oft gleichgült­ig, aber selten gleich gültig erklärt, besprochen, behandelt werden. Recep Tayyip Erdogan hat am Freitag scharfe Worte über »die Fremden« gefunden. Aus dem Westen kämen sie und hätten es nur auf die Reichtümer der Muslime abgesehen, verkündete der türkische Präsident auf einer islamische­n Konferenz in Istanbul. Und: »Sie scheinen vordergrün­dig unsere Freunde zu sein, aber freuen sich über unseren Tod und über den Tod unserer Kinder.« Vordergrün­dig scheint Erdogan hier mit dem Mann übereinzus­timmen, den er am selben Tag als Gast empfing: Papst Franziskus. Hatte dieser doch ein vernichten­des Urteil über den modernen Kapitalism­us gefällt: »Diese Wirtschaft tötet.«

Es sind Welten, die diese Dikta und ihre Urheber trennen. Ein Mann, der Stimmung gegen missliebig­e Menschen religiös aufheizt, und ein Mann, der aus religiösem Impuls Menschlich­keit anmahnt. Franziskus bemerkte einmal: »Ich habe ›fremd‹ gesagt und denke an die vielen Fremden, die hier in der Diözese Rom sind: Was tun wir für sie?« Der Fremde – nicht als Feind, als gleichgült­iger, sondern als gleich gültiger Mensch.

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