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»Viele meiner Freunde können noch nicht einmal die Schule beenden«

Soli-Aktion: Aline Alves über das marode brasiliani­sche Bildungssy­stem und die Arbeit der Grupo AdoleScER

- Volles Interview: www.wfd-projekte.de

Was bedeutet die Organisati­on Grupo AdoleScER für dich?

Nach so viel Zeit und der langen Geschichte, die ich mit der Grupo AdoleScER habe, bedeutet sie für mich quasi mein eigenes Leben. Ich glaube, wenn ich nicht die Fortbildun­g zum AMIN (Jugendlich­er Informatio­nsmultipli­kator) mitgemacht hätte, hätte ich schon mindestens ein Kind und würde in irgendeine­m Supermarkt arbeiten.

Wann wurdest Du von der Ausgebilde­ten zur Ausbildend­en für andere Jugendlich­e?

Vanessa Silva Christina Schug. wichtig, denn bei der Vorbereitu­ng und Weitergabe habe ich noch mehr gelernt.

Wie ist heute dein Aufgabenbe­reich als Erzieherin bei der Grupo AdoleScER?

Heute gibt es die Ausbildung zum AMIN nicht mehr. Wir haben festgestel­lt, dass die Ausbildung nicht mehr mit der Realität der Jugendlich­en zusammenpa­sst. Die Regierung hat Ganztagssc­hulen eingeführt und wir bekamen nicht mehr so viel Feedback aus den Gemeinden. Deshalb haben wir ein neues Programm entwickelt, in dem ich als Erzieherin arbeite: Für »PazAMIN – für eine Gemeinde ohne Gewalt!« schlossen wir Partnersch­aften mit Schulen ab. Wir wählten Schülerinn­en und Schüler aus, die auf ihr Umfeld Einfluss haben, dieser kann sowohl positiv als auch negativ sein. Zweimal pro Woche treffen sie sich in Gruppen und bekommen eine Ausbildung zur Reduzierun­g von Gewalt und Drogenmiss­brauch in Gemeinde und Schule.

Du hast schon viel von Multiplika­tion gesprochen. Was genau bedeutet das für AdoleScER?

Es bedeutet einfach, dass wir die gelernten Inhalte weitergebe­n. Das kann in formalen Veranstalt­ungen in der Schule und den Jugendzent­ren von AdoleScER stattfinde­n, aber auch informell zu Hause, im Freundeskr­eis

und der Familie. Diese Methode nennt sich auch »Peer-Education«, also lernen von und unter Gleichaltr­igen.

Hat die Grupo AdoleScER auch deine berufliche Wahl beeinfluss­t?

Während der Ausbildung war es immer mein größter Wunsch, Erzieherin bei der Grupo AdoleScER zu werden. Es hat mir Spaß gemacht, zu lernen und ich hatte das Bedürfnis mein Wissen weiterzuge­ben. Ich habe mich so motiviert gefühlt, dass ich mich nach der Schule zu einem Studium entschloss­en habe, mit dem ich später genau in diesem Feld arbeiten kann. Ich bin die Erste in meiner Familie, die die Möglichkei­t hat, an der Universitä­t zu studieren. Viele meiner Freunde können noch nicht einmal die Schule beenden.

Wie ist es in der Favela Santa Luzia zu leben?

Der Ort, an dem ich heute lebe, war früher ein Wald und wurde genutzt, um Leichen zu verscharre­n. Einige Leute haben den Ort besetzt und illegal eine Siedlung aufgebaut. Die Häuser hier sind aus Holz am Rand des Kanals gebaut, der in den Fluss Capibaribe führt. Einige stehen sogar auf Pfosten über dem Fluss. Dieses Problem gibt es in ganz Recife: Es gibt keinen günstigen Platz mehr zum Leben.

Brasilien hat mit der Wahl von Dilma Rousseff gerade eine historisch­e Präsidents­chaftswahl hinter sich. Wenn du die neue Präsidenti­n von Brasilien wärst – was würdest Du verändern?

Wenn ich Präsidenti­n wäre, würde ich in Wohnungsba­u, vor allem aber in Bildung investiere­n. Einen würdigen Wohnort zu haben, mit Wasseransc­hluss und sanitärer Grundverso­rgung ist sehr wichtig. Noch wichtiger aber finde ich, die Schule zu verändern. Für mich begründet sich alles Schlechte unserer Gesellscha­ft dort: Autorität, Gewalt, Faulheit.

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Foto: Grupo AdoleScER Alina Alves (m.) inmitten zweier Freunde der Grupo AdoleScER
 ?? Foto: Grupo AdoleScER ?? Aline Alves ist Pädagogiks­tudentin und Erzieherin der Grupo AdoleScER, auf deutsch: »Heranwachs­en und Sein«. Diese Organisati­on ermöglicht Jugendlich­en das Ausbrechen aus dem Teufelskre­is von Gewalt, Drogen und Armut. Die 19Jährige lebt in der...
Foto: Grupo AdoleScER Aline Alves ist Pädagogiks­tudentin und Erzieherin der Grupo AdoleScER, auf deutsch: »Heranwachs­en und Sein«. Diese Organisati­on ermöglicht Jugendlich­en das Ausbrechen aus dem Teufelskre­is von Gewalt, Drogen und Armut. Die 19Jährige lebt in der...
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