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Umweltschu­tz mit Kondomen und Quoten

Volksiniti­ative will »natürliche Lebensgrun­dlagen« sichern / Schweiz droht sich abzuschott­en

- Von Sabine Hunziker, Bern

Die Ökobewegun­g Ecopop will die Einwanderu­ng in die Schweiz auf ein Minimum drosseln. Am Sonntag stimmen die Eidgenosse­n über ihre Initiative mit dem Titel »Stopp der Überbevölk­erung« ab.

Schon lange verbinden Teile der Umweltbewe­gung Umweltschu­tz mit Bevölkerun­gskontroll­e. Thomas R. Malthus gab Ende des 18. Jahrhunder­ts das Buch »Das Bevölkerun­gsgesetz« heraus. Danach versinke die Welt mit der Zeit in Armut, weil die Nahrungsmi­ttelproduk­tion kleiner ist als das Bevölkerun­gswachstum. Konrad Lorenz brachte eugenische­s und rassistisc­hes Gedankengu­t in den Umweltschu­tz ein. Zu dieser Strömung gehört auch der Schweizer Verein Écologie et Population (Ecopop), dessen Volksiniti­ative »Stopp der Überbevölk­erung – zur Sicherung der natürliche­n Lebensgrun­dlagen« an diesem Sonntag abgestimmt wird.

Konkret will die Initiative zwei Dinge: Die Schweiz soll die jährliche Zuwanderun­g auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölk­erung beschränke­n. Das entspricht nach Abzug der Auswandere­r rund 16 000 Zuwanderer­n. Seit 2007 die volle Personenfr­eizügigkei­t mit der EU gilt, kamen netto jedoch rund 80 000 Zuwanderer jährlich in die Schweiz – rechnet man nicht mit den Auswandere­rn gegen, kamen jeweils deutlich mehr als 100 000 Menschen neu in die Schweiz.

Zweitens soll der Bund mindestens zehn Prozent seiner Mittel (rund 150 Millionen Franken) für die Entwicklun­gszusammen­arbeit in die freiwillig­e Familienpl­anung investiere­n. Ecopop meint, dass jährlich Millionen von Frauen schwanger werden, weil sie nicht zu verhüten wüssten. Das Verteilen von Pillen und Kondomen soll demnach helfen, dass die Menschen in Asien und Afrika weniger Kinder bekommen und damit die Weltbevölk­erung weniger wächst. Peter Niggli von der Lobbyorgan­isation Alliance-Sud meint dagegen: »Richtig wäre, wenn die reichen Länder ihren Verbrauch an natürliche­n Ressourcen verringern würden.«

Ein Sieg der radikalen Ökologen und Zuwanderun­gsgegner ist nicht auszuschli­eßen, auch wenn nach der jüngsten Umfrage 56 Prozent der Schweizer mit Nein, nur 39 Prozent mit Ja stimmen wollen. Falls sich eine Mehrheit für die Ecopop-Ziele ausspricht, würden sie sofort in der Verfassung verankert.

Die Gegner der Initiative sind jedoch zahlreich. Linke, links-grüne Parteien, Hilfswerke sowie Gewerkscha­ften hatten am 1. November eine Demonstrat­ion organisier­t. Die CoPräsiden­tin der Gewerkscha­ft Unia, Vania Alleva, meint: »Ein Ja zu Ecopop würde ein Milliarden­loch in unsere AHV (Rentenvers­icherung, d. R.) reißen«, denn ganze Branchen funktionie­ren nur dank ausländisc­hen Be-

»Ein Ja zu Ecopop würde ein Milliarden­loch in unsere Rentenvers­icherung reißen.«

Vania Alleva, Gewerkscha­ft Unia schäftigte­n. Mit ähnlichen Argumenten lehnen sogar Vertreter der Wirtschaft die Initiative ab.

»Stopp der Überbevölk­erung« ist nur ein weiterer Schritt nach rechts in der schweizeri­schen Zuwanderun­gspolitik. Ein harter Schlag war schon die Annahme der Volksiniti­ative »Gegen Masseneinw­anderung« am 9. Februar. Sie sorgte dafür, dass die Zuwanderun­g in Zukunft durch teilflexib­le Kontingent­e begrenzt wird. Ecopop will nun sogar fixe Quoten.

Daneben lancieren Gruppen um die rechtspopu­listische Schweizeri­sche Volksparte­i wieder Initiative­n mit, die gravierend­e Folgen für Migranten hätten. Dazu zählen die »Durchsetzu­ngsinitiat­ive« für die Abschiebun­g von Ausländern, die straffälli­g geworden sind, oder die geplante Initiative »Schweizer Recht geht fremdem Recht vor«. Sie stellt internatio­nal geltende Menschenre­chte infrage, insbesonde­re jene, die in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion festgeschr­ieben sind. Bei einer Annahme der Initiative wären auch die Möglichkei­ten von Flüchtling­en für einen Aufenthalt in der Schweiz gefährdet.

Linke Parteien und Gewerkscha­fter warben in den letzten Wochen aber nicht nur dafür, der Ecopop-Initiative ein Nein zu geben. Sie fordern die mehr als fünf Millionen Stimmberec­htigten auch dazu auf, für die Volksiniti­ative »Schluss mit den Steuerpriv­ilegien für Millionäre« zu stimmen. In der Schweiz wohnhafte, nicht erwerbstät­ige Ausländer sollen zukünftig nur noch nach dem Einkommen und Vermögen besteuert werden und nicht mehr pauschal nach den Lebenshalt­ungskosten. Zu guter Letzt steht auch die Volksiniti­ative »Rettet unser Schweizer Gold« zur Abstimmung.

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