Wir können keine Loopings einbauen
Weltrodelpräsident Josef Fendt sucht spektakuläre Lösungen, um den Rennschlittensport attraktiver zu machen
Herr Fendt, Sie sind in diesem Jahr auf dem 62. FIL-Kongress in Innsbruck per Akklamation zum fünften Mal in Ihrem Spitzenamt bestätigt worden. Hat man nach 20jähriger Amtszeit überhaupt noch Visionen?
Ich will das mal so sagen: Der große Elan, den man am Anfang hatte, ist ein bisschen verflacht. Aber natürlich habe ich noch immer Ziele. Mein zuletzt größtes war, dass mit dem Teamstaffelrennen eine vierte Disziplin ins Olympiaprogramm von Sotschi 2014 aufgenommen wurde. Nun steht eine weitere Weltpremiere an: der Sprint-Weltcup. Es ist also nach wie vor Bewegung im Weltrodelsport.
Am Wochenende startet auf der Kunsteisbahn in Innsbruck-Igls die nacholympische Saison mit dem ersten von insgesamt neun Weltcuprennen. Welche Erwartungen haben Sie?
Ich möchte zunächst daran erinnern, dass Innsbruck-Igls ein historischer Ort ist. Hier gab es vor 50 Jahren die olympische Rodelpremiere, damals noch auf der üblichen Natureisbahn. Ein Grund zum Feiern! Was die Saisonerwartungen anbelangt, so sind sie gedämpft, wie das immer in einem nacholympischen Jahr der Fall ist. Es gab prominente Rücktritte, und die Teams müssen sich erst neu ordnen. Man sollte sich daher auch nicht aufregen, wenn die Teilnehmerzahlen ein bisschen geringer sind als sonst, was sich jetzt schon abzeichnet. Aber das ist eine allgemeine Tendenz nach Olympischen Spielen.
Kommen wir auf die Weltpremiere mit dem Sprint-Weltcup zu sprechen. Wie läuft der ab?
Ausgefahren wird der Sprint-Weltcup im Männer- und Fraueneinsitzer sowie im Doppelsitzer. Die Entscheidung fällt in nur einem Lauf. Das Besondere: Die Zeitmessung erfolgt mit fliegendem Start frühestens 100 Meter nach dem Startblock, gekennzeichnet durch einen Startbogen. Am Startbogen wird dann mittels Radarmessung die Startgeschwindigkeit ermittelt. Maximal eine Zwischenzeit wird angezeigt. Startberechtigt sind lediglich die ersten 15 der jeweiligen Weltcupwertung, und zwar in umgekehrter Reihenfolge der Weltcupplatzierung. Neu ist, dass sich im Startbereich im Gegensatz zu herkömmlichen Weltcuprennen keine Betreuer aufhalten dürfen. Die Weltcuppunkte fließen in die jeweilige Gesamtwertung ein.
Wird dieser Sprint auf allen Weltcupstationen ausgefahren? Was verspricht sich die FIL von so einem Rennen, das ja für die Aktiven und Zuschauer nicht anders abläuft als ein üblicher Einsitzer- oder Doppelsitzerlauf?
Neues auszuprobieren. Auch bei der Teamstaffel hat es lange gedauert, bis wir das richtige Wettkampfformat gefunden haben. Angefangen haben wir mit drei Teamstaffeln. Auch der Sprint steckt noch im Versuchsstadium, weshalb wir ihn zunächst auch nur auf drei Bahnen ausprobieren. Aber es war der große Wunsch der Athleten, ihnen noch ein weiteres Rennen anzubieten. Unsere Möglichkeiten sind natürlich be- grenzt. Wir fahren oben los und kommen unten an und können keine Loopings einbauen. Ein wichtiges neues Element beim Sprint ist, dass der Blitzstart nicht mehr die große Rolle spielt, sondern die Geschwindigkeit.
Glauben Sie, dass der Sprint Platz im Olympiaprogramm findet?
Soweit denke ich jetzt noch nicht. Wir müssen erst einmal sehen, wie die Sache ankommt. Hinsichtlich Olympia bin ich zurückhaltend. Auch mit dem Teamwettbewerb haben wir lange gebraucht. Ich glaube, dass wir momentan auch keine Chance für eine fünfte Disziplin hätten.
Hat es in der FIL mal Überlegungen gegeben, den Doppelsitzer auch für Frauen einzuführen?
Ja, schon vor langer Zeit. Im Reglement heißt es Herren-Doppelsitzer. Und um allen Anfeindungen des weiblichen Geschlechts aus dem Weg zu gehen, haben wir das Wort »Herren« gestrichen und nur noch von Doppelsitzer gesprochen. Das heißt: Es wäre erlaubt, dass auch Damen im Doppelsitzer fahren. Nur die Realität zeigt, dass das bisher noch nie probiert wurde. Außer im Jugendbereich, wo es bereits gemischte Doppel mit einem weiblichen »Hintermann« gibt.
Sehen Sie die Gefahr, dass der Rodelsport eines Tages aus dem Olympiaprogramm fliegt, weil sich die Ausrichter eine so teure Bahn nicht mehr leisten können oder wollen?
Ein wichtiger Punkt neben den hohen Baukosten ist die olympische Nachnutzung. Ich behaupte, die FIL hat eines der besten Nachnutzungskonzepte aller Olympiasportanlagen. Von elf Olympiabahnen, die seit 1976, als die erste kombinierte Kunsteisbahn für Olympische Spiele in Inns- bruck-Igls gebaut wurde, sind heute neuneinhalb in regelmäßiger Benutzung durch die Rennrodler der FIL und die Bobfahrer der FIBT. Ich denke, es gibt keinen Verband im Sommer- und Wintersport, der eine derartige Nachhaltigkeit seiner olympischen Sportstätten vorweisen kann. Seit zwei Jahren ist leider die Bahn in Cesana Pariol für die Spiele 2006 in Turin nicht mehr in Betrieb, was mit politischen Entwicklungen in Italien zusammenhängt. Und in Sarajevo haben wir mit dem Verband Bosnien-Herzegowinas inzwischen einen neuen Anlauf gestartet, um die Olympiaanlage von 1984 wieder auf Vordermann zu bringen. Jetzt sind dort zumindest wieder Rollentraining und Rollenabfahrten möglich.
So erfreulich diese Bilanz klingt – blickt die FIL sorgenfrei in die olympische Zukunft?
Die FIL ist auf gutem Kurs, wenn das IOC demnächst über ein 40-PunkteProgramm zur Zukunft Olympias berät. Dennoch werden wir uns hinsichtlich des Baus neuer Bahnen insofern Gedanken machen müssen, weil in der Agenda 2020 des IOC, die demnächst in Monte Carlo verabschiedet werden soll, auch steht: Olympiaausrichter können mit Sportarten auch auf andere Austragungsorte ausweichen, wenn im Umfeld des Ausrichters keine geeignete Sportanlage vorhanden ist. Das könnte in Zukunft auch für den Rodelsport zutreffen.
Beim Neubau von Kunsteisbahnen hat es in der Vergangenheit viel Kritik von Athleten gegeben, die sich gegen den Geschwindigkeitsrausch ausgesprochen haben. Erinnert sei an die Bahn in Vancouver 2010, wo es mit wahnsinnigen 150 km/h Richtung Ziel ging. Erinnert sei an den in Vancouver tödlich verunglückten georgischen Rennrodler. Was hat der Weltverband unternommen, um dieser falschen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben?
Die FIL hat beispielsweise auf den Bahnbau in Sotschi erheblichen Einfluss genommen, die Baupläne geprüft und Korrekturen verlangt und durchgesetzt, weil die Bahn sonst zu schnell geworden wäre. Das alles ist nicht unproblematisch, weil der Bau ja geländebedingt ist. Aber die FIL hat festgelegt, dass bei 138 km/h Schluss ist. In Sotschi wären es ohne Eingriff der FIL mindestens 10 km/h mehr gewesen. Inzwischen ist es so, dass wir bei neuen Bahnen aus Sicherheitsgründen von einem Schweizer Institut die Geschwindigkeitsdiagramme prüfen und nachrechnen lassen. Das war auch in Sotschi der Fall.
Es gibt seit 2001 bei der FIL ein »Unterstützungs- und Entwicklungsprogramm«. Was ist in den vergangenen 13 Jahren daraus geworden?
Es gibt dieses Programm nach wie vor und in verstärktem Maße. Dafür geben wir jährlich an die 600 000 Euro an nationale Verbände aus. Daneben haben wir in meiner Amtszeit ein sogenanntes Freifahrtschein-Programm eingeführt. Gutscheine also für Trainingsfahrten, die sich viele Nationen finanziell nicht leisten können. Inzwischen geben wir 12 000 Trainingsgutscheine im Jahr aus, finanziert von der FIL. Nicht unerwähnt will ich die Hilfestellung des RodelWeltverbandes bei der Nachwuchsförderung lassen. Jährlich werden zwei bis drei Nachwuchsathleten in eine gesonderte FIL-Gruppe aufgenommen und speziell gefördert. Das Geld für diese Nachwuchsförderung pauschal oder direkt an einen nationalen Verband zu geben, ist dem Verband zu riskant, weil fraglich ist, ob die finanziellen Fördermittel wirklich dort ankommen, wo sie ankommen sollen.