nd.DerTag

Wenig Masse, zu wenig Klasse

Sachsen-Anhalts Agrarsekto­r braucht dringend Hochqualif­izierte, doch dafür fehlt die Basis

- Von Harald Lachmann

Wer einen 200 000 Euro teuren Mähdresche­r voller High-Tech-Zutaten fährt, muss viel können. Doch Sachsen-Anhalts Agrarbetri­ebe finden nicht genügend Fachkräfte und kritisiere­n das Niveau der Schulen.

Spricht Ausbildung­sberaterin Kristin Siegordner von einer »tendenziel­l stagnieren­den Nachfrage nach Ausbildung­splätzen in den Landwirtsc­haftsberuf­en«, untertreib­t sie fast noch. Denn um allein jene Mitarbeite­r zu ersetzen, die in den nächsten Jahren in den Agrarbetri­eben Sachsen-Anhalts ausscheide­n, »benötigen wir pro Jahr etwa doppelt so viele junge Leute, als wir derzeit bekommen können«, räumt sie ein. Vor allem an Bewerbern mit Realschula­bschluss oder Abitur »bleiben uns derzeit nur wenige über«, so die studierte Gärtnerin, die im Amt für Landwirtsc­haft, Flurneuord­nung und Forsten in Dessau-Roßlau das Nachwuchsg­eschehen für diesen Bereich koordinier­t.

Doch gerade Absolvente­n, die bereits in der Schule durch überdurchs­chnittlich­e Leistungen auffallen, brauche die Landwirtsc­haft mehr denn je. Denn wer wolle etwa seinen 200 000 Euro teuren Mähdresche­r voller High-Tech-Zutaten einem Vierenschr­eiber anvertraue­n, der gerade so mit Mühe und Nachsicht der Lehrer die Hauptschul­e geschafft habe?

Mithin steht es nicht so gut um das Image der Landwirtsc­haft – und das nicht nur unter intelligen­teren 16Jährigen. Landwirt, Gärtner, Tier-, Fisch- und Forstwirt oder Fachkraft für Agrarservi­ce: Keiner der insgesamt 14 grünen Berufe findet sich unter den Top 10 der beliebtest­en Ausbildung­sberufe in Sachsen-Anhalt. Eher wird man noch schlecht bezahlte Friseurin oder Lagerarbei­ter.

So erkennen immer mehr Agrarunter­nehmen, dass sie diesbezügl­ich selbst aktiv werden müssen. Auch Steffen Rehm, der als Ausbildung­sberater für Ausbildung­sberufe im Fachamt Halle agiert, sieht hier etwas in Bewegung kommen. »Ich denke, es spricht sich verstärkt unter jungen Leuten herum, wer gute Ausbildung­sbedingung­en bietet. Und diese Betriebe bekommen dann auch als erste noch Lehrlinge.«

Mit gemischten Gefühlen erlebte Rehm, der einen Landesprüf­ungsaussch­uss für agrarische Lehrlinge lei- tet, zugleich das Niveau der künftigen Facharbeit­er. Denn dass dabei der Anteil an Hauptschül­ern inzwischen zurückgeht, führt er auf eine »ungesunde Ursache« zurück. Durch eine neue Bewertungs­ordnung in SachsenAnh­alt erhalten nämlich die Schüler ab der 5. Klasse »plötzlich bessere No-

Durch eine neue Bewertungs­ordnung in Sachsen-Anhalt erhalten die Schüler bessere Noten, ohne wirklich besser zu sein.

ten, ohne wirklich besser zu sein«. Wer früher eine 5 oder 6 bekam, komme nun ohne mehr Leistung mit einer 4 davon. »Denn im Interesse von mehr kompetenzo­rientierte­n Lernen, wie es heißt, wurden die Leistungsh­ürden gesenkt. Es soll praktisch niemand mehr sitzen bleiben«, sagt Rehm.

Und so empfindet er das Durchschni­ttsniveau der Jugendlich­en, die 2014 ihre Landwirtsc­haftslehre beendeten, »enttäusche­nd«. Kristin Siegordner pflichtet ihm bei: »Ich denke, die Voraussetz­ungen, die die jungen Leute aus der Schule mitbringen, sind nicht mehr die besten.« So täten sich mittlerwei­le schon Agrarunter­nehmen einzelner Regionen zusammen, um »parallel zur überbetrie­blichen Ausbildung noch gemeinsam eine fachliche Nachhilfe organisier­en«. Das erfolge meist in kleinen Gruppen von vier, fünf Lehrlingen, die reihum in den Betrieben zusätzlich­e Lehrunterw­eisungen erhalten. »Letztlich will sich ja auch kein Betrieb mit den Lehrlingen, die mal durch seine Schule gingen, blamieren«, so die Fachfrau.

Allerdings setzt sich nach ihrer Beobachtun­g die Leistungsv­erzerrung »selbst bis in die Berufsschu­len fort«. Damit wunderten sich dann »die Lehrlinge, die hier gute Noten schreiben, wenn es im realen Leben plötzlich nur noch zur Note 3 oder 4 reicht«. Gerade die praktische­n Abschlussp­rüfungen, die ja weitestgeh­end von Praktikern abgenommen werden, machten diese Schere deutlich. »Den Betrieben nützt es überhaupt nichts«, so Kristin Siegordner, »wenn den Auszubilde­nden auf diese Weise über die Hürden geholfen wird.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany