Fröhlich im Protest
Linda Guzzetti kämpft gegen prekäre Arbeitsbedingungen der Lehrbeauftragten.
Lehrbeauftragte gelten an deutschen Hochschulen als »Sachmittel«. Ihr karges Honorar wird über jenen Topf finanziert, der auch das Budget für Zimmerpflanzen, Schreibutensilien oder Teekannen bereitstellt.
Es klingt geradezu märchenhaft, Eckdaten aus dem bisherigen Leben der Linda Guzzetti aufzuzählen. Geboren und aufgewachsen in Mailand, schrieb sie sich inmitten dieser kunstsinnigen Metropole in der Lombardei an der Universität in Französischer Literaturwissenschaft ein. Schnell dämmerte ihr, wie wenig die staubtrockene Beschäftigung mit schöner Poesie ihr Ding ist. Also schmiss sie das Studium und fuhr der Liebe wegen immer häufiger nach Stuttgart. Und es gefiel ihr sofort, dieses Deutschland; so gut gar, dass sie von ihm weit mehr entdecken wollte als nur dessen südlichen Zipfel. In den 1980er Jahren in die Hausbesetzerszene nach Berlin gekommen, studierte sie nun Geschichte. Krönung dieser Ausbildung war 1998 die Promotion der umtriebigen Italienerin über die soziale und wirtschaftliche Situation von Frauen im Spiegel mittelalterlicher Testamente.
Kann bei einem solchen Werdegang beruflich überhaupt noch irgendwas schief gehen? Es kann, wie Linda Guzzetti lakonisch ausruft: »Ich hätte damals sicher nicht gedacht, einmal als Sachmittel zu enden.« Sie spricht diesen Satz nicht mit deprimierter Intonation aus, sondern heiter gestimmt und garniert mit einem unzynischen, befreiten Lachen. »Sachmittel«, das ist der weniger sarkastisch denn buchstäblich beschriebene Status der Lehrbeauftragten an deutschen Hochschulen. Deren karges Honorar wird über jenen Topf finanziert, der auch das Budget für Zimmerpflanzen, Schreibutensilien oder Teekannen bereitstellt. Deshalb haben Lehrbeauftragte keine Arbeitsverträge und damit auch nicht das Recht, über ihre Einkünfte mit dem Auftraggeber zu verhandeln. »Aber«, bemerkt Guzzetti, ohne ihr fideles Lächeln zu verlieren, »wenn das noch das einzige Problem wäre, dann wären unsere Arbeitsbedingungen ja fast traumhaft.«
So sitzt die 63-Jährige an diesem eiskalten Wochenendtag am Bahnhof Zoo in Berlin vor ihrem in einem Pappbecher schwappenden Kaffee. Sie weiß, wovon sie spricht. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Sprachlehrbeauftragte für Italienisch an der FU Berlin und an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder. Was in den 1990er Jahren als Nebenjob begann, hat sich zur Existenzgrundlage entwickelt. Irgendwie sei sie an dem Job hängen geblieben. Trotz aller Widrigkeiten bereitet er ihr so viel Spaß, dass sie sich leidenschaftlich für dessen materielle und ideelle Aufwertung einsetzt. Einst geschaffen als »Win-Win-Situation«, die den in anderen Berufen tätigen Lehrbeauftragten eine wissenschaftliche Referenz für den Lebenslauf und den Unis unverzichtbare Expertise aus der Praxis verschaffen sollte, bestreiten heu- te viele ihren Lebensunterhalt nur noch über Lehraufträge.
Zu Anfang jedes Semesters müsse sie rechnen, um über die Runden zu kommen, moniert Guzzetti, und erst jetzt, während sie ihr mit ausladenden Gesten untermaltes Reden unterbricht, um einen kräftigen Schluck des sicher schon halb kalten Kaffees zu trinken, verliert sie ihr verbindliches Lächeln. Nur für einen Augenblick, denn wie sie den Becher absetzt, ist es zurück. Allein 350 Euro müsse sie monatlich an die Krankenkasse abführen, weil Lehrbeauftragte als Selbstständige gelten. Dabei bekommen sie kaum mehr als 20 Euro pro Unterrichtsstunde. Vergütet werden nur Präsenzzeiten. Wenn sie mal krank sind und nicht an der Uni erscheinen, dann gibt es auch kein Geld.
Berichtet Guzzetti von diesen zermürbend anmutenden Erfahrungen, dann wirkt sie niemals traurig, auch nicht verbittert und erst recht nicht resigniert, sondern entschlossen. Kein Wunder, dass sie die AG Lehrbeauftragte in der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) organisiert. Im November fand ein bundesweiter Aktionstag der Lehrbeauftragten statt. Wichtigste Forderung ist die Umwandlung aller Lehraufträge in Honorarverträge. Priorität habe jedoch zunächst, die Arbeitsbedingungen überhaupt einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ein Blick auf die lange Liste an Medienberichten über den Aktionstag auf der eigens dafür initiierten Homepage offenbart, welch ein Volltreffer er in dieser Hinsicht war.
Einen Artikel hebt Guzzetti ausdrücklich hervor, der in der Überschrift die »Hungerlöhne an Hochschulen« anprangert. Er stand kürzlich in der konservativen FAZ. »Unglaubliche Quelle«, merkt sie amüsiert an und blickt dabei schelmisch über den Rand ihrer roten Brille. Obwohl sie seit dreißig Jahren in Deutschland lebt, hat sich Guzzetti ihren sympathischen Akzent erhalten, mit dem sie etwa das Wort »Quelle« nicht rustikal-deutsch »Kwelle« ausspricht, sondern weich-italienisch »Gwelle« sagt, was ihren inhaltlich angriffslustigen Formulierungen tonal jede Schärfe zu nehmen vermag. Für eine medial präsente Gewerkschafterin gewiss ein ungewöhnliches Auftreten. Bevor sie ihrem Kaffeebecher den letzten Schluck entnippt und sich ins herbstliche Grau verabschiedet, scheint ein letztes Mal ihr sonniges Gemüt durch, wenn sie mit zartem Duktus ankündigt: »Der Aktionstag war ein guter Anfang, aber wir haben noch viel vor.« Vielleicht ist es genau dies, was die Aktivistin inmitten eigener drückender Prekarität vor der Verzweiflung schützt, sie im Gleichgewicht aus gelassener und empörter Einstellung hält – und so beharrlich für ihre Zunft kämpfen lässt.