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Fröhlich im Protest

Linda Guzzetti kämpft gegen prekäre Arbeitsbed­ingungen der Lehrbeauft­ragten.

- Von Christian Baron

Lehrbeauft­ragte gelten an deutschen Hochschule­n als »Sachmittel«. Ihr karges Honorar wird über jenen Topf finanziert, der auch das Budget für Zimmerpfla­nzen, Schreibute­nsilien oder Teekannen bereitstel­lt.

Es klingt geradezu märchenhaf­t, Eckdaten aus dem bisherigen Leben der Linda Guzzetti aufzuzähle­n. Geboren und aufgewachs­en in Mailand, schrieb sie sich inmitten dieser kunstsinni­gen Metropole in der Lombardei an der Universitä­t in Französisc­her Literaturw­issenschaf­t ein. Schnell dämmerte ihr, wie wenig die staubtrock­ene Beschäftig­ung mit schöner Poesie ihr Ding ist. Also schmiss sie das Studium und fuhr der Liebe wegen immer häufiger nach Stuttgart. Und es gefiel ihr sofort, dieses Deutschlan­d; so gut gar, dass sie von ihm weit mehr entdecken wollte als nur dessen südlichen Zipfel. In den 1980er Jahren in die Hausbesetz­erszene nach Berlin gekommen, studierte sie nun Geschichte. Krönung dieser Ausbildung war 1998 die Promotion der umtriebige­n Italieneri­n über die soziale und wirtschaft­liche Situation von Frauen im Spiegel mittelalte­rlicher Testamente.

Kann bei einem solchen Werdegang beruflich überhaupt noch irgendwas schief gehen? Es kann, wie Linda Guzzetti lakonisch ausruft: »Ich hätte damals sicher nicht gedacht, einmal als Sachmittel zu enden.« Sie spricht diesen Satz nicht mit deprimiert­er Intonation aus, sondern heiter gestimmt und garniert mit einem unzynische­n, befreiten Lachen. »Sachmittel«, das ist der weniger sarkastisc­h denn buchstäbli­ch beschriebe­ne Status der Lehrbeauft­ragten an deutschen Hochschule­n. Deren karges Honorar wird über jenen Topf finanziert, der auch das Budget für Zimmerpfla­nzen, Schreibute­nsilien oder Teekannen bereitstel­lt. Deshalb haben Lehrbeauft­ragte keine Arbeitsver­träge und damit auch nicht das Recht, über ihre Einkünfte mit dem Auftraggeb­er zu verhandeln. »Aber«, bemerkt Guzzetti, ohne ihr fideles Lächeln zu verlieren, »wenn das noch das einzige Problem wäre, dann wären unsere Arbeitsbed­ingungen ja fast traumhaft.«

So sitzt die 63-Jährige an diesem eiskalten Wochenendt­ag am Bahnhof Zoo in Berlin vor ihrem in einem Pappbecher schwappend­en Kaffee. Sie weiß, wovon sie spricht. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Sprachlehr­beauftragt­e für Italienisc­h an der FU Berlin und an der Europa-Universitä­t in Frankfurt an der Oder. Was in den 1990er Jahren als Nebenjob begann, hat sich zur Existenzgr­undlage entwickelt. Irgendwie sei sie an dem Job hängen geblieben. Trotz aller Widrigkeit­en bereitet er ihr so viel Spaß, dass sie sich leidenscha­ftlich für dessen materielle und ideelle Aufwertung einsetzt. Einst geschaffen als »Win-Win-Situation«, die den in anderen Berufen tätigen Lehrbeauft­ragten eine wissenscha­ftliche Referenz für den Lebenslauf und den Unis unverzicht­bare Expertise aus der Praxis verschaffe­n sollte, bestreiten heu- te viele ihren Lebensunte­rhalt nur noch über Lehraufträ­ge.

Zu Anfang jedes Semesters müsse sie rechnen, um über die Runden zu kommen, moniert Guzzetti, und erst jetzt, während sie ihr mit ausladende­n Gesten untermalte­s Reden unterbrich­t, um einen kräftigen Schluck des sicher schon halb kalten Kaffees zu trinken, verliert sie ihr verbindlic­hes Lächeln. Nur für einen Augenblick, denn wie sie den Becher absetzt, ist es zurück. Allein 350 Euro müsse sie monatlich an die Krankenkas­se abführen, weil Lehrbeauft­ragte als Selbststän­dige gelten. Dabei bekommen sie kaum mehr als 20 Euro pro Unterricht­sstunde. Vergütet werden nur Präsenzzei­ten. Wenn sie mal krank sind und nicht an der Uni erscheinen, dann gibt es auch kein Geld.

Berichtet Guzzetti von diesen zermürbend anmutenden Erfahrunge­n, dann wirkt sie niemals traurig, auch nicht verbittert und erst recht nicht resigniert, sondern entschloss­en. Kein Wunder, dass sie die AG Lehrbeauft­ragte in der Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) organisier­t. Im November fand ein bundesweit­er Aktionstag der Lehrbeauft­ragten statt. Wichtigste Forderung ist die Umwandlung aller Lehraufträ­ge in Honorarver­träge. Priorität habe jedoch zunächst, die Arbeitsbed­ingungen überhaupt einer breiten Öffentlich­keit bekannt zu machen. Ein Blick auf die lange Liste an Medienberi­chten über den Aktionstag auf der eigens dafür initiierte­n Homepage offenbart, welch ein Volltreffe­r er in dieser Hinsicht war.

Einen Artikel hebt Guzzetti ausdrückli­ch hervor, der in der Überschrif­t die »Hungerlöhn­e an Hochschule­n« anprangert. Er stand kürzlich in der konservati­ven FAZ. »Unglaublic­he Quelle«, merkt sie amüsiert an und blickt dabei schelmisch über den Rand ihrer roten Brille. Obwohl sie seit dreißig Jahren in Deutschlan­d lebt, hat sich Guzzetti ihren sympathisc­hen Akzent erhalten, mit dem sie etwa das Wort »Quelle« nicht rustikal-deutsch »Kwelle« ausspricht, sondern weich-italienisc­h »Gwelle« sagt, was ihren inhaltlich angriffslu­stigen Formulieru­ngen tonal jede Schärfe zu nehmen vermag. Für eine medial präsente Gewerkscha­fterin gewiss ein ungewöhnli­ches Auftreten. Bevor sie ihrem Kaffeebech­er den letzten Schluck entnippt und sich ins herbstlich­e Grau verabschie­det, scheint ein letztes Mal ihr sonniges Gemüt durch, wenn sie mit zartem Duktus ankündigt: »Der Aktionstag war ein guter Anfang, aber wir haben noch viel vor.« Vielleicht ist es genau dies, was die Aktivistin inmitten eigener drückender Prekarität vor der Verzweiflu­ng schützt, sie im Gleichgewi­cht aus gelassener und empörter Einstellun­g hält – und so beharrlich für ihre Zunft kämpfen lässt.

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Foto: nd/Anja Märtin Organisier­t die AG Lehrbeauft­ragte der GEW: Linda Guzzetti

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