nd.DerTag

»Ehrlich gesagt«

- Was Sprachstro­h über den verrät, der es drischt

Was wir sagen, kann Gedanken ausdrücken oder aber diese verbergen. Aber es kann auch dem Redner und seinen Zuhörern Zeit stehlen, indem die Wirklichke­it sozusagen verdoppelt wird und die Sprache das Tun beschwätzt, manchmal gar ersetzt.

Von Sigmund Freud wird erzählt, dass er sich empörte, wenn jemand die Floskel »ehrlich gesagt« gebrauchte. Sollte das etwa heißen, dass bisher nicht ehrlich geredet wurde? »Ich nehme ihre Aussage zur Kenntnis« sagt nicht mehr als »ich bin nicht taub« – nämlich gar nichts, denn das Kenntnisne­hmen als juristisch­er Akt hat nur in Akten seinen Ort, während die Taubheit sich bereits durch den Empfang der akustische­n Signale entkräftet hat, der nun obendrein auch noch einmal ausdrückli­ch bestätigt wird. Fast noch schlimmer ist das auch bei Therapeute­n beliebte »Ich höre, was Sie sagen« – ja was sonst denn, bitteschön?

Um leeres Sprachstro­h zu dreschen, bindet die Alltagsred­e vielfach Adjektive und Superlativ­e zusammen, wie der Bauer Griff und Knüppel zum Dreschfleg­el: Ich danke dem Redner nicht für seinen Beitrag, für den ich ihm ja nicht danken würde, wäre er mir nichts wert – ich danke ihm für seinen sehr, ja äußerst wertund gehaltvoll­en Beitrag; es wäre doch auch Anlass zur Scham, dankte ich ihm für das leere Stroh, das er mitgebrach­t hat.

Bei Paaren hat diese Neigung zur Leerformel dann Konjunktur, wenn unangenehm­e Merkmale des Ge- genübers bekämpft werden sollen, man aber am Ende nicht alleine dastehen will. »Ich werde jetzt gleich aggressiv« soll Druck erzeugen, ohne dass man sich den Konsequenz­en realer Wut aussetzt. Ähnlich zu beurteilen sind die falschen Wir. »Wir sollten uns trennen!« »Wenn du das nicht änderst, müssen wir uns trennen!« Dieses »wir müssen« verwandelt sich später in ein »wir müssten uns eigentlich« – bis es zerplatzt wie eine Seifenblas­e. Das Paar trennt sich nicht, aber es verharrt in einem Limbo der Unentschie­denheit. Ich habe einmal Eheleute kennengele­rnt, die zehn Jahre lang keinen Urlaub langfristi­g buchen konnten, weil sie sich nicht darauf festlegen wollten, acht Wochen später noch zusammen zu sein. Ihr »Wir sollten uns trennen« wurde weder in die Tat umgesetzt, noch ausdrückli­ch aufgehoben, so dass sie in einem Zustand zwischen Baum und Borke lebten.

»Das ist nicht mein Problem!« Wer das sagt, könnte es ebenfalls auch einfach lassen. Denn indem er es sa-

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