Die Bundesregierung will die Schulen im Land digitalisieren. Doch nicht nur aktuelle Studien lassen Zweifel aufkommen, ob das Ziel in naher Zukunft erreicht wird.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat es wieder getan. Am Mittwoch dieser Woche betonte sie in ihrer Rede während der Debatte zum Bundeshaushalt 2015 die Bedeutung der digitalen Welt. Merkel vergaß nicht, auf die im August vorgelegte »Digitale Agenda« der Großen Koalition zu verweisen. Das 36-seitige Papier bekräftigt – genau wie Merkel am Mittwoch – vor allem den Ausbau der Netzinfrastruktur als wichtigstes Ziel. Bis 2018 will die Koalition die Bundesrepublik flächendeckend mit schnellem Internet aufrüsten.
Worum sich Merkel wie auch das offizielle Papier zur offiziellen »Digitalen Agenda« allerdings drücken, ist die konkrete oder wenigstens vage Beschreibung dessen, was die Bevölkerung mit dem schnellen Netz Sinnvolles anfangen könnte. In einem Halbsatz heißt es eher beiläufig, die Koalition wolle junge und alte Menschen in ihrer Medienkompetenz fördern und der breiten Bevölkerung die Angst vor der digitalen Technologie nehmen.
Kryptisch gehaltene Versprechen, wie man sie in ähnlichen Formulierungen von den 16 Bildungsministern der Länder gewöhnt ist. Doch wie ernst gemeint ist eine digitale Agenda, wenn auf den Schulhöfen allzu gerne Medienkompetenz mit dem Klick auf ein Youtube-Video verwechselt wird und der Begriff Internet beinahe zum Synonym für den Suchgiganten Google oder das soziale Netzwerk Facebook verkommt?
Ein Blick in die Lehrpläne der Länder gleich eher dem Blick ins digitale Nirwana: Der Informatik-Unterricht ist im derzeitigen Idealfall den höheren Klassen vorbehalten und ist dabei keinesfalls eine feste Größe im Lehrplan, sondern verkommt zum Wahlfach oder einjährigen digitalen Crashkurs. Da wundert es wenig, dass drei Viertel der Deutschen in Umfragen erklären, sie hätten keine Angst vor der digitalen Überwachung durch Geheimdienste. Selbst unter den Jüngeren, denen oft am Stammtisch und in Sonntagsreden digitale Kompetenz qua Alter zugebilligt wird, fällt die Angst vor NSA und Co. kaum höher aus.
Vielleicht liegt es daran, dass eine Technik, deren Funktionsweise vielen wie eine wundersame Blackbox vorkommt, schlicht keine Ängste vor dem dahinter lauernden Überwachungswahnsinn auslöst. Solange Zauberkästen wie Smartphone und Tablet in einem nicht abreißenden Schwall bunte Bilder und Töne absondern, interessieren die Vorgänge im Inneren der Blackbox wenig. Geheimdienste könnten sich keine willigeren Ziele wünschen.
Wer solche Schilderungen für Polemik hält, sollte sich die wenig ermutigenden Ergebnisse der internationalen ICILS-Studie (»International Computer and Information Literacy Study«) ansehen, die vor einigen Ta- gen für Deutschland von der Universität Paderborn veröffentlicht wurden. In der internationalen Vergleichsstudie zur Feststellung der digitalen Kompetenz landeten deutsche Achtklässler im Mittelfeld von insgesamt 21 teilnehmenden Staaten. Ernüchtert stellen die Forscher fest, »dass die weit verbreitete Annahme, Kinder und Jugendliche würden durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologien geprägten Welt automatisch zu kompetenten Nutzerinnen und Nutzern digitaler Medien, nicht zutrifft«. Für die Studie mussten die
Ein Blick in die Lehrpläne der Länder gleicht dem Blick ins digitale Nirwana.
Schüler unter anderem eine computerbasierte Präsentation erstellen und verschiedene Programme, darunter zum Abrufen von E-Mails, einen Webbrowser sowie Textverarbeitungssoftware verwenden. Wie sich zeigte, konnten 45 Prozent der Schüler die ihnen gestellten Aufgaben nur mit Hilfestellung lösen, gerade einmal ein Viertel konnte dies eigenständig.
Dabei geben die Forscher einen Hinweis, woran es in Sachen digitaler Kompetenz mangeln könnte. Einerseits fehle es an vielen Schulen noch immer an der entsprechenden Tech- nik. Doch selbst dort, wo Computer, Laptops oder immer häufiger auch Tablets in die Bildung Einzug halten, gibt es »Hinweise auf ein bestehendes Missverhältnis zwischen den Potenzialen, die dem Lehren und Lernen mit digitalen Medien zugesprochen werden, und der Realität dessen, was in Klassenräumen geschieht.«
Übersetzt: Einerseits passen die zu vermittelnden Inhalte nicht zu den ITbasierten Mitteln und Angeboten. Deshalb wundert es nicht, warum einige Schulen in ihrer Not die zunächst als Errungenschaft gefeierten sogenannten interaktiven Whiteboards – eine Art digitale Tafel – wieder aus den Klassenzimmern verbannten und das, obwohl manche Hersteller die teure Technik in vielen Fällen sogar lobpreisend und vor allem kostenlos zur Verfügung stellten. Wohl hoffend, eines Tages damit große Geschäfte zu machen. Doch die deutsche Schullandschaft taugt glücklicherweise nicht in jedem Fall zur Kapitalisierung, wenngleich sich die Schwerfälligkeit der deutschen Bildungslandschaft in diesem Fall als fatal in einer Gesellschaft erweist, die nun einmal das digitale Zeitalter nicht ignorieren kann.
Hier zeigt sich nun andererseits ein zweites Problem: Wie Bernhard Bueb, ehemaliger Leiter der Eliteschule Schloss Salem, auf einer Veranstaltung des Frankfurter Zukunftsrates in Berlin bemerkte, fehlt vielen Lehrkräften noch immer das nötige Wissen im Umgang mit digitalen Medien. Während in den Lehramtsstudiengängen kaum die digitale Methodik gelehrt werde, begegneten ältere Kollegen neuen Unterrichtstechnologien häufig mit grundsätzlicher Skepsis, so Bueb. Ein sinnvoller Einsatz der digitalen Technik in der Schule gleicht unter diesen Umständen eher einer Lotterie aus motivierten beziehungsweise zufällig geschulten Lehrern und den notwendigerweise vorhandenen Mitteln.
Fernab der Probleme rund um Methodik und die benötigte IT-Infrastruktur droht auch auf inhaltlicher Ebene ein Scheitern. Zwar hat Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag die »digitale Schule« ausgelobt und versprochen, Schulbücher und Lehrmaterial »soweit möglich frei zugänglich« zu machen. Doch dabei hat Berlin wohl den Widerstand der Schulbuchverlage unterschätzt. Diese weigern sich, ihre bisher teuer bezahlten Werke unter freien Lizenzen und Formaten zu vermarkten, was allerdings Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Nutzung wäre, damit Lehrende wie Lernende die Materialien völlig frei bearbeiten und kombinieren können.
Doch dafür bedarf es letztlich einer Änderung des Urheberrechts, dessen Inhalte bisher genauso wenig in der digitalen Gegenwart angekommen sind wie die »Digitale Agenda« der Bundesregierung.