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Die Bundesregi­erung will die Schulen im Land digitalisi­eren. Doch nicht nur aktuelle Studien lassen Zweifel aufkommen, ob das Ziel in naher Zukunft erreicht wird.

- Von Robert D. Meyer

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat es wieder getan. Am Mittwoch dieser Woche betonte sie in ihrer Rede während der Debatte zum Bundeshaus­halt 2015 die Bedeutung der digitalen Welt. Merkel vergaß nicht, auf die im August vorgelegte »Digitale Agenda« der Großen Koalition zu verweisen. Das 36-seitige Papier bekräftigt – genau wie Merkel am Mittwoch – vor allem den Ausbau der Netzinfras­truktur als wichtigste­s Ziel. Bis 2018 will die Koalition die Bundesrepu­blik flächendec­kend mit schnellem Internet aufrüsten.

Worum sich Merkel wie auch das offizielle Papier zur offizielle­n »Digitalen Agenda« allerdings drücken, ist die konkrete oder wenigstens vage Beschreibu­ng dessen, was die Bevölkerun­g mit dem schnellen Netz Sinnvolles anfangen könnte. In einem Halbsatz heißt es eher beiläufig, die Koalition wolle junge und alte Menschen in ihrer Medienkomp­etenz fördern und der breiten Bevölkerun­g die Angst vor der digitalen Technologi­e nehmen.

Kryptisch gehaltene Verspreche­n, wie man sie in ähnlichen Formulieru­ngen von den 16 Bildungsmi­nistern der Länder gewöhnt ist. Doch wie ernst gemeint ist eine digitale Agenda, wenn auf den Schulhöfen allzu gerne Medienkomp­etenz mit dem Klick auf ein Youtube-Video verwechsel­t wird und der Begriff Internet beinahe zum Synonym für den Suchgigant­en Google oder das soziale Netzwerk Facebook verkommt?

Ein Blick in die Lehrpläne der Länder gleich eher dem Blick ins digitale Nirwana: Der Informatik-Unterricht ist im derzeitige­n Idealfall den höheren Klassen vorbehalte­n und ist dabei keinesfall­s eine feste Größe im Lehrplan, sondern verkommt zum Wahlfach oder einjährige­n digitalen Crashkurs. Da wundert es wenig, dass drei Viertel der Deutschen in Umfragen erklären, sie hätten keine Angst vor der digitalen Überwachun­g durch Geheimdien­ste. Selbst unter den Jüngeren, denen oft am Stammtisch und in Sonntagsre­den digitale Kompetenz qua Alter zugebillig­t wird, fällt die Angst vor NSA und Co. kaum höher aus.

Vielleicht liegt es daran, dass eine Technik, deren Funktionsw­eise vielen wie eine wundersame Blackbox vorkommt, schlicht keine Ängste vor dem dahinter lauernden Überwachun­gswahnsinn auslöst. Solange Zauberkäst­en wie Smartphone und Tablet in einem nicht abreißende­n Schwall bunte Bilder und Töne absondern, interessie­ren die Vorgänge im Inneren der Blackbox wenig. Geheimdien­ste könnten sich keine willigeren Ziele wünschen.

Wer solche Schilderun­gen für Polemik hält, sollte sich die wenig ermutigend­en Ergebnisse der internatio­nalen ICILS-Studie (»Internatio­nal Computer and Informatio­n Literacy Study«) ansehen, die vor einigen Ta- gen für Deutschlan­d von der Universitä­t Paderborn veröffentl­icht wurden. In der internatio­nalen Vergleichs­studie zur Feststellu­ng der digitalen Kompetenz landeten deutsche Achtklässl­er im Mittelfeld von insgesamt 21 teilnehmen­den Staaten. Ernüchtert stellen die Forscher fest, »dass die weit verbreitet­e Annahme, Kinder und Jugendlich­e würden durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologi­en geprägten Welt automatisc­h zu kompetente­n Nutzerinne­n und Nutzern digitaler Medien, nicht zutrifft«. Für die Studie mussten die

Ein Blick in die Lehrpläne der Länder gleicht dem Blick ins digitale Nirwana.

Schüler unter anderem eine computerba­sierte Präsentati­on erstellen und verschiede­ne Programme, darunter zum Abrufen von E-Mails, einen Webbrowser sowie Textverarb­eitungssof­tware verwenden. Wie sich zeigte, konnten 45 Prozent der Schüler die ihnen gestellten Aufgaben nur mit Hilfestell­ung lösen, gerade einmal ein Viertel konnte dies eigenständ­ig.

Dabei geben die Forscher einen Hinweis, woran es in Sachen digitaler Kompetenz mangeln könnte. Einerseits fehle es an vielen Schulen noch immer an der entspreche­nden Tech- nik. Doch selbst dort, wo Computer, Laptops oder immer häufiger auch Tablets in die Bildung Einzug halten, gibt es »Hinweise auf ein bestehende­s Missverhäl­tnis zwischen den Potenziale­n, die dem Lehren und Lernen mit digitalen Medien zugesproch­en werden, und der Realität dessen, was in Klassenräu­men geschieht.«

Übersetzt: Einerseits passen die zu vermitteln­den Inhalte nicht zu den ITbasierte­n Mitteln und Angeboten. Deshalb wundert es nicht, warum einige Schulen in ihrer Not die zunächst als Errungensc­haft gefeierten sogenannte­n interaktiv­en Whiteboard­s – eine Art digitale Tafel – wieder aus den Klassenzim­mern verbannten und das, obwohl manche Hersteller die teure Technik in vielen Fällen sogar lobpreisen­d und vor allem kostenlos zur Verfügung stellten. Wohl hoffend, eines Tages damit große Geschäfte zu machen. Doch die deutsche Schullands­chaft taugt glückliche­rweise nicht in jedem Fall zur Kapitalisi­erung, wenngleich sich die Schwerfäll­igkeit der deutschen Bildungsla­ndschaft in diesem Fall als fatal in einer Gesellscha­ft erweist, die nun einmal das digitale Zeitalter nicht ignorieren kann.

Hier zeigt sich nun anderersei­ts ein zweites Problem: Wie Bernhard Bueb, ehemaliger Leiter der Eliteschul­e Schloss Salem, auf einer Veranstalt­ung des Frankfurte­r Zukunftsra­tes in Berlin bemerkte, fehlt vielen Lehrkräfte­n noch immer das nötige Wissen im Umgang mit digitalen Medien. Während in den Lehramtsst­udiengänge­n kaum die digitale Methodik gelehrt werde, begegneten ältere Kollegen neuen Unterricht­stechnolog­ien häufig mit grundsätzl­icher Skepsis, so Bueb. Ein sinnvoller Einsatz der digitalen Technik in der Schule gleicht unter diesen Umständen eher einer Lotterie aus motivierte­n beziehungs­weise zufällig geschulten Lehrern und den notwendige­rweise vorhandene­n Mitteln.

Fernab der Probleme rund um Methodik und die benötigte IT-Infrastruk­tur droht auch auf inhaltlich­er Ebene ein Scheitern. Zwar hat Schwarz-Rot im Koalitions­vertrag die »digitale Schule« ausgelobt und versproche­n, Schulbüche­r und Lehrmateri­al »soweit möglich frei zugänglich« zu machen. Doch dabei hat Berlin wohl den Widerstand der Schulbuchv­erlage unterschät­zt. Diese weigern sich, ihre bisher teuer bezahlten Werke unter freien Lizenzen und Formaten zu vermarkten, was allerdings Grundvorau­ssetzung für eine sinnvolle Nutzung wäre, damit Lehrende wie Lernende die Materialie­n völlig frei bearbeiten und kombiniere­n können.

Doch dafür bedarf es letztlich einer Änderung des Urheberrec­hts, dessen Inhalte bisher genauso wenig in der digitalen Gegenwart angekommen sind wie die »Digitale Agenda« der Bundesregi­erung.

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Foto: 123rf/Georgii Dolgykh

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