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Das Hormonorch­ester

- Von Iris Rapoport, Berlin und Boston

Es ist ein großes Konzert, das die Hormone lebenslang in uns spielen. Ihr Auftreten ändert sich rhythmisch in der Zeit. Ständig finden sie im Körper in wechselnde­n Verhältnis­sen zueinander. Und manchmal tritt eines dominieren­d hervor.

Durchaus nicht alle Hormone stammen aus Drüsen. Das Fettgewebe etwa hat sich als wichtiger Bildungsor­t entpuppt, das Hormone über das Blut zu anderen Zellen und Organen schickt. Und lokal tauschen einzelne Zellen wie Leukozyten Gewebshorm­one genannte Substanzen aus. Was sind das für wundersame Verbindung­en, die chemische Kommunikat­ion ermögliche­n?

Jedenfalls keine Exoten. Viele werden aus Aminosäure­n gebildet. Entweder werden einzelne chemisch modifizier­t wie beim Adrenalin oder mehrere verbinden sich zu einem Peptid wie etwa beim Insulin. Die Muttersubs­tanz anderer ist Cholesteri­n. Deshalb werden sie Steroide genannt. Dazu gehören Cortisol, die Sexualhorm­one und selbst das Vitamin D. Schließlic­h leiten sich etliche von Fettsäuren ab, wie zum Beispiel viele Gewebshorm­one.

Nur wenn eine Zelle einen entspreche­nden Rezeptor besitzt, kann ein Hormon auf sie wirken. Oft besitzen Zellen verschiede­ner Organe für dasselbe Hormon unterschie­dliche Rezeptoren. So können Hormone an verschiede­nen Orten durchaus gegensätzl­ich wirken. Doch selbst eine einzige Zelle kann für das gleiche Hormon mehrere Rezeptorty­pen besitzen. So ergibt sich allein für ein Hormon eine ganze Klaviatur! Und es wirken gleichzeit­ig verschiede­nste Hormone auf eine einzige Zelle, was ihre konzertant­e Wirkung ergibt.

Die Rezeptoren sind Proteine. Für Steroide, die die Lipidbarri­ere einer Membran durchdring­en, befinden sie sich in der Zelle. Doch für die Hormone, die gut wasserlösl­ich sind – und das sind die meisten – durchspann­t der Rezeptor die Zellmembra­n. Sein Bindungsor­t ragt aus der Zelle heraus und dort dockt das Hormon auch an. In beiden Fällen werden im Zellinnern Signalkask­aden ausgelöst, bei denen ein Faktor den nächsten aktiviert. Dabei wird die Botschaft weniger Hormonmole­küle dramatisch vervielfäl­tigt. Am Ende der Kette löst das unterschie­dlichstes Geschehen aus: Viele Hormone beeinfluss­en die Ablesung von Genen.

Andere Kaskaden beeinfluss­en die Wirkung anderer Proteine, darunter vieler Enzyme. So regeln Hormone auf vielen Ebenen die Prozesse, aus denen unser Leben besteht: Embryonale­ntwicklung und Fortpflanz­ung ebenso wie Wachstum, Stoffwechs­el oder Stressreak­tionen. Und selbst unsere Gefühle und unser Verhalten werden von ihnen maßgeblich beeinfluss­t.

Dirigiert wird das Hormonorch­ester vom Gehirn. Hier ist es auch mit der nervalen Regulation verknüpft. Den Taktstock schwingt letztendli­ch die Hypophyse. Nebenbei pfeifen Adrenalin und ein paar Gewebshorm­one ihr eigenes Lied. Die Hormone des Körpers bewirken eine Rückkopplu­ng zum Dirigenten und so ergibt sich ein selbst regulieren­des System. Wohlbekann­t ist der Komponist dieses großartige­n Konzerts – es ist die Evolution.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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