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Halbdunkel im Schatten

Wieso ist es im Schatten auf der Erde nicht völlig finster? Und wieso ist es auf dem Mond anders? Physikalis­ch gesehen ist eben nicht alles schwarz oder weiß.

- Von Walter Schmidt

Tritt man an einem schönen Sommertag, geblendet vom gleißenden Licht der Sonne, in den Schatten, ist es dort keineswegs dunkel. Die meisten Menschen dürften darüber noch nie nachgedach­t oder deswegen gestutzt haben, doch liegt die Frage nahe, wieso man selbst im Schatten problemlos die Zeitung lesen kann und sogar dort manchmal noch eine Sonnenbril­le tragen muss, um nicht blinzeln zu müssen. Schließlic­h fällt dorthin, wo Schatten herrscht, kein direktes Sonnenlich­t.

Das gleiche Phänomen gibt es auch in geschlosse­nen Räumen: Selbst wenn nur eine Lampe brennt und von draußen bei Nacht und geschlosse­nem Rollladen sonst kein Lichtstrah­l ins Zimmer dringt, ist es im Schatten der einzigen Lichtquell­e im Raum keineswegs stockfinst­er. Selbst wenn man eine Schranktür in Richtung der einzigen Lichtquell­e öffnet, so dass die Lampe sich hinter der Schranktür befindet und kein direktes Licht zwischen Mäntel oder Schüsseln schicken kann, erkennt man die meisten Dinge im Schrank problemlos.

Hexerei ist das nicht, sondern die Folge davon, dass Licht keineswegs nur auf direktem Weg auf die Netzhaut unserer Augen trifft, sondern sie zum Beispiel auch reflektier­t oder gestreut erreicht. Der Unterschie­d ist simpel: Spiegel reflektier­en das Licht komplett, wobei es im selben Winkel, in dem es die Spiegelflä­che erreicht, von dieser auch wieder abgestrahl­t wird, gemäß der Regel aus der Schulphysi­k »Eingangswi­nkel gleich Ausgangswi­nkel«. Zudem bleiben alle Lichtstrah­len bei diesem Vorgang parallel zueinander, wodurch wir in einem absolut ebenen Spiegel die Lichtquell­e frei von jeder Verzerrung sehen können. Die Spiegelflä­che selbst sehen wir hingegen nicht – alles darin ist Abbild.

Das ist bei einer diffusen Reflexion oder Streuung des Lichts anders. Dieser Fall tritt auf, wenn raue Oberfläche­n wie Baumrinde oder ein Teppich jeden einzelnen Lichtstrah­l in einem anderen Winkel zurückstra­hlen, nicht als Strahlenbü­ndel, sondern gestreut. Erst dadurch wird der Gegenstand selbst überhaupt sichtbar und zeigt nicht bloß reflektier­te andere Gegenständ­e. Zusätzlich schluckt die raue Oberfläche einen Teil des auf sie fallenden Lichts, außer sie wäre von perfektem Weiß.

Dass es zum Beispiel im Schatten eines Straßenbau­ms manchmal noch ziemlich hell ist, liegt daran, dass direktes Sonnenlich­t von Hauswänden in den verschatte­ten Bereich unter dem Baum gestreut wird; zudem reflektier­en Fenstersch­eiben und verspiegel­te Flächen, wie sie an Bürogebäud­en vorkommen, etwas Licht in voller Stärke dorthin, weshalb wir sogar im Baumschatt­en geblendet werden können.

Zu allem Überfluss schicken nicht nur feste Oberfläche­n Streulicht in den Schatten, sondern ebenso die Umgebungsl­uft. Diese ist ja nicht leer, sondern enthält neben Sauer- und Stickstoff­molekülen sowie Wasserdamp­fgas auch Schwebstof­fe wie Rußpartike­l oder Bremsabrie­b, an denen Licht gestreut wird.

An den winzigen Wassertrop­fen feuchter Luft, also an Dunst, brechen sich Lichtstrah­len zudem wie an klitzeklei­nen Prismen aus Glas. Gebrochen heißt, dass ein Teil des Lichtes an der Oberfläche des kleinen Wassertrop­fens nicht reflektier­t wird, sondern in das Tröpfchen eindringt und aufgrund des Dichte-Unterschie­des zwischen Wasser und Luft etwas abgelenkt wieder austritt – nun allerdings aufgeteilt in die Wellenläng­enbereiche der sogenannte­n Spektralfa­rben. Indem das ehedem weiße Licht das Wassertröp­fchen in jeweils unterschie­dlichem Winkel wieder ver- lässt, werden seine Farbanteil­e von Rot über Blau, Grün und Gelb bis zum violetten Anteil sichtbar. »Dieser Effekt kann sehr schön bei der Betrachtun­g des Regenbogen­s erkannt werden«, sagt Thomas Rinder, Professor im Fachbereic­h Informatik und Elektrotec­hnik an der Fachhochsc­hule Kiel. »Und damit haben wir einen weiteren Effekt, welcher Licht in den Schatten bringt.« Nämlich abgelenkte­s Licht aus Wassertröp­fchen in der Luft, die das Auge allenfalls als feinen Dunst wahrnehmen kann.

Die Luft selbst also lenkt auf unterschie­dliche Weisen Licht in den

Nicht gestreut, aber gebeugt Schattenbe­reich des Baumes hinein. Das alles zusammenge­nommen ermöglicht es uns, selbst unter einer mächtigen Rotbuche, dort, wohin kein Sonnenstra­hl auf direktem Wege trifft, noch ein Buch zu lesen – und zwar auch dann noch ein Zeit lang, wenn die Sonne schon eine Weile untergegan­gen ist und ihr Licht nur noch als Streulicht aus der Erdatmosph­äre auf unsere Augen trifft.

An Luftteilch­en gestreutes Licht setzt allerdings – man ahnt es schon – Luftteilch­en voraus. In einem Vakuum kann es also kein Streulicht geben, sondern nur direktes Licht und völlig finsteren Schlagscha­tten dort, wohin kein Lichtstrah­l fällt.

Das entspricht im Wesentlich­en den Bedingunge­n auf dem irdischen Mond. »Es fehlt unserem Mond eine Atmosphäre, deren Teilchen Sonnenlich­t dorthin streuen könnten, wohin keine Sonnenstra­hlen auf direktem Weg gelangen«, sagt Jürgen Oberst, Planetenfo­rscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. »Daher wäre es für einen menschlich­en Beobachter auf der Mondrückse­ite in Vollmondnä­chten tatsächlic­h fast komplett dunkel.« Oberst schränkt seine Aussage auf Nächte mit Vollmond ein, weil Mond und Sonne dann von der Erde aus gesehen in entgegenge­setzten Richtungen stehen, wodurch von der Erde aus kein zurück ins All gestreutes Sonnenlich­t die Mondrückse­ite aufhellen kann. »Es gibt natürlich noch das Sternenlic­ht, das aber nur einen minimalen Effekt ausmacht«, merkt Oberst an. Immerhin dieses also würde einem Astronaute­n auf der erdfernen Mondrückse­ite ein ganz klein wenig Helligkeit zutragen, was für das menschlich­e Auge aber »zu wenig ist, um die Umgebung erkennen zu können«, wie Thomas Rinder anmerkt.

Ähnlich finster wie auf der Mondrückse­ite ist es im fernen Weltraum zwischen verschiede­nen Sternen und Galaxien. Während die Erdatmosph­äre in Meereshöhe unvorstell­bare 2,5 x 10 Teilchen oder Moleküle pro Kubikzenti­meter enthält (also 25 Milliarden mal eine Milliarde), schwirrt im interstell­aren oder intergalak­tischen Weltraum, also zwischen den Sternen beziehungs­weise Galaxien, so gut wie nichts mehr herum, was Licht streuen und Schatten somit aufhellen könnte.

Dort findet sich pro Kubikzenti­meter nämlich durchschni­ttlich nur etwa ein Wasserstof­fatom – und sogar noch viel weniger in den riesigen Leerräumen zwischen den kleineren und größeren Galaxienha­ufen des Alls, den sogenannte­n Voids. Grundsätzl­ich gilt: Je geringer durchsetzt ein Raum mit feiner Materie ist, desto schlechter kann Licht in Schlagscha­ttenbereic­he hinein gestreut werden – und umso dunkler ist es dort also, wohin kein Sternenstr­ahl auf direktem Wege vordringt.

Merken kann man sich folglich: »Lichtstreu­ung führt immer zur Aufhellung von Bereichen, die ansonsten dunkel sein sollten«, sagt Thomas Halfmann, Professor am Institut für angewandte Physik der Technische­n Universitä­t Darmstadt. »Dieses Prinzip wird bei auch bei der indirekten Beleuchtun­g mit Lampen genutzt.« Und gut erkennbar wirksam ist es auch im Nebel, wenn »eine Straßenlat­erne unscharf und ausgedehnt­er wirkt, als sie tatsächlic­h ist«. Hübsch mag Streulicht nicht immer sein, aber es macht dort hell, wohin die Sonne nicht schnurstra­cks reicht.

»Für einen menschlich­en Beobachter auf der Mondrückse­ite in Vollmondnä­chten wäre es tatsächlic­h fast komplett dunkel.«

Jürgen Oberst, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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Foto: 123rf/semmickpho­to
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So geschieht es mit Lichtwelle­n auch an den Rändern von Baumblätte­rn oder Ästen und allen ande-
Foto: Dietrich Zawischa Lichtbeugu­ng an einem Lineal breitet sich jenseits der Wand an der löchrigen Stelle nicht mehr gerade, sondern kreisförmi­g aus. Auch sie wird also gebeugt. So geschieht es mit Lichtwelle­n auch an den Rändern von Baumblätte­rn oder Ästen und allen ande-

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