Halbdunkel im Schatten
Wieso ist es im Schatten auf der Erde nicht völlig finster? Und wieso ist es auf dem Mond anders? Physikalisch gesehen ist eben nicht alles schwarz oder weiß.
Tritt man an einem schönen Sommertag, geblendet vom gleißenden Licht der Sonne, in den Schatten, ist es dort keineswegs dunkel. Die meisten Menschen dürften darüber noch nie nachgedacht oder deswegen gestutzt haben, doch liegt die Frage nahe, wieso man selbst im Schatten problemlos die Zeitung lesen kann und sogar dort manchmal noch eine Sonnenbrille tragen muss, um nicht blinzeln zu müssen. Schließlich fällt dorthin, wo Schatten herrscht, kein direktes Sonnenlicht.
Das gleiche Phänomen gibt es auch in geschlossenen Räumen: Selbst wenn nur eine Lampe brennt und von draußen bei Nacht und geschlossenem Rollladen sonst kein Lichtstrahl ins Zimmer dringt, ist es im Schatten der einzigen Lichtquelle im Raum keineswegs stockfinster. Selbst wenn man eine Schranktür in Richtung der einzigen Lichtquelle öffnet, so dass die Lampe sich hinter der Schranktür befindet und kein direktes Licht zwischen Mäntel oder Schüsseln schicken kann, erkennt man die meisten Dinge im Schrank problemlos.
Hexerei ist das nicht, sondern die Folge davon, dass Licht keineswegs nur auf direktem Weg auf die Netzhaut unserer Augen trifft, sondern sie zum Beispiel auch reflektiert oder gestreut erreicht. Der Unterschied ist simpel: Spiegel reflektieren das Licht komplett, wobei es im selben Winkel, in dem es die Spiegelfläche erreicht, von dieser auch wieder abgestrahlt wird, gemäß der Regel aus der Schulphysik »Eingangswinkel gleich Ausgangswinkel«. Zudem bleiben alle Lichtstrahlen bei diesem Vorgang parallel zueinander, wodurch wir in einem absolut ebenen Spiegel die Lichtquelle frei von jeder Verzerrung sehen können. Die Spiegelfläche selbst sehen wir hingegen nicht – alles darin ist Abbild.
Das ist bei einer diffusen Reflexion oder Streuung des Lichts anders. Dieser Fall tritt auf, wenn raue Oberflächen wie Baumrinde oder ein Teppich jeden einzelnen Lichtstrahl in einem anderen Winkel zurückstrahlen, nicht als Strahlenbündel, sondern gestreut. Erst dadurch wird der Gegenstand selbst überhaupt sichtbar und zeigt nicht bloß reflektierte andere Gegenstände. Zusätzlich schluckt die raue Oberfläche einen Teil des auf sie fallenden Lichts, außer sie wäre von perfektem Weiß.
Dass es zum Beispiel im Schatten eines Straßenbaums manchmal noch ziemlich hell ist, liegt daran, dass direktes Sonnenlicht von Hauswänden in den verschatteten Bereich unter dem Baum gestreut wird; zudem reflektieren Fensterscheiben und verspiegelte Flächen, wie sie an Bürogebäuden vorkommen, etwas Licht in voller Stärke dorthin, weshalb wir sogar im Baumschatten geblendet werden können.
Zu allem Überfluss schicken nicht nur feste Oberflächen Streulicht in den Schatten, sondern ebenso die Umgebungsluft. Diese ist ja nicht leer, sondern enthält neben Sauer- und Stickstoffmolekülen sowie Wasserdampfgas auch Schwebstoffe wie Rußpartikel oder Bremsabrieb, an denen Licht gestreut wird.
An den winzigen Wassertropfen feuchter Luft, also an Dunst, brechen sich Lichtstrahlen zudem wie an klitzekleinen Prismen aus Glas. Gebrochen heißt, dass ein Teil des Lichtes an der Oberfläche des kleinen Wassertropfens nicht reflektiert wird, sondern in das Tröpfchen eindringt und aufgrund des Dichte-Unterschiedes zwischen Wasser und Luft etwas abgelenkt wieder austritt – nun allerdings aufgeteilt in die Wellenlängenbereiche der sogenannten Spektralfarben. Indem das ehedem weiße Licht das Wassertröpfchen in jeweils unterschiedlichem Winkel wieder ver- lässt, werden seine Farbanteile von Rot über Blau, Grün und Gelb bis zum violetten Anteil sichtbar. »Dieser Effekt kann sehr schön bei der Betrachtung des Regenbogens erkannt werden«, sagt Thomas Rinder, Professor im Fachbereich Informatik und Elektrotechnik an der Fachhochschule Kiel. »Und damit haben wir einen weiteren Effekt, welcher Licht in den Schatten bringt.« Nämlich abgelenktes Licht aus Wassertröpfchen in der Luft, die das Auge allenfalls als feinen Dunst wahrnehmen kann.
Die Luft selbst also lenkt auf unterschiedliche Weisen Licht in den
Nicht gestreut, aber gebeugt Schattenbereich des Baumes hinein. Das alles zusammengenommen ermöglicht es uns, selbst unter einer mächtigen Rotbuche, dort, wohin kein Sonnenstrahl auf direktem Wege trifft, noch ein Buch zu lesen – und zwar auch dann noch ein Zeit lang, wenn die Sonne schon eine Weile untergegangen ist und ihr Licht nur noch als Streulicht aus der Erdatmosphäre auf unsere Augen trifft.
An Luftteilchen gestreutes Licht setzt allerdings – man ahnt es schon – Luftteilchen voraus. In einem Vakuum kann es also kein Streulicht geben, sondern nur direktes Licht und völlig finsteren Schlagschatten dort, wohin kein Lichtstrahl fällt.
Das entspricht im Wesentlichen den Bedingungen auf dem irdischen Mond. »Es fehlt unserem Mond eine Atmosphäre, deren Teilchen Sonnenlicht dorthin streuen könnten, wohin keine Sonnenstrahlen auf direktem Weg gelangen«, sagt Jürgen Oberst, Planetenforscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. »Daher wäre es für einen menschlichen Beobachter auf der Mondrückseite in Vollmondnächten tatsächlich fast komplett dunkel.« Oberst schränkt seine Aussage auf Nächte mit Vollmond ein, weil Mond und Sonne dann von der Erde aus gesehen in entgegengesetzten Richtungen stehen, wodurch von der Erde aus kein zurück ins All gestreutes Sonnenlicht die Mondrückseite aufhellen kann. »Es gibt natürlich noch das Sternenlicht, das aber nur einen minimalen Effekt ausmacht«, merkt Oberst an. Immerhin dieses also würde einem Astronauten auf der erdfernen Mondrückseite ein ganz klein wenig Helligkeit zutragen, was für das menschliche Auge aber »zu wenig ist, um die Umgebung erkennen zu können«, wie Thomas Rinder anmerkt.
Ähnlich finster wie auf der Mondrückseite ist es im fernen Weltraum zwischen verschiedenen Sternen und Galaxien. Während die Erdatmosphäre in Meereshöhe unvorstellbare 2,5 x 10 Teilchen oder Moleküle pro Kubikzentimeter enthält (also 25 Milliarden mal eine Milliarde), schwirrt im interstellaren oder intergalaktischen Weltraum, also zwischen den Sternen beziehungsweise Galaxien, so gut wie nichts mehr herum, was Licht streuen und Schatten somit aufhellen könnte.
Dort findet sich pro Kubikzentimeter nämlich durchschnittlich nur etwa ein Wasserstoffatom – und sogar noch viel weniger in den riesigen Leerräumen zwischen den kleineren und größeren Galaxienhaufen des Alls, den sogenannten Voids. Grundsätzlich gilt: Je geringer durchsetzt ein Raum mit feiner Materie ist, desto schlechter kann Licht in Schlagschattenbereiche hinein gestreut werden – und umso dunkler ist es dort also, wohin kein Sternenstrahl auf direktem Wege vordringt.
Merken kann man sich folglich: »Lichtstreuung führt immer zur Aufhellung von Bereichen, die ansonsten dunkel sein sollten«, sagt Thomas Halfmann, Professor am Institut für angewandte Physik der Technischen Universität Darmstadt. »Dieses Prinzip wird bei auch bei der indirekten Beleuchtung mit Lampen genutzt.« Und gut erkennbar wirksam ist es auch im Nebel, wenn »eine Straßenlaterne unscharf und ausgedehnter wirkt, als sie tatsächlich ist«. Hübsch mag Streulicht nicht immer sein, aber es macht dort hell, wohin die Sonne nicht schnurstracks reicht.
»Für einen menschlichen Beobachter auf der Mondrückseite in Vollmondnächten wäre es tatsächlich fast komplett dunkel.«
Jürgen Oberst, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt