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Voller Elan zum Klimaschut­z

UN-Gipfel von Lima einigt sich auf vage Kriterien für die CO2-Minderung

- Nd

Lima. Wieder haben Klimadiplo­maten und Regierungs­vertreter von 195 Staaten tage- und nächtelang voller Elan und bis zur Erschöpfun­g verhandelt – doch ob im kommenden Jahr wie geplant ein neues, weltweites Klimaschut­zabkommen beschlosse­n werden kann, bleibt unklar. Zum Ende des UN-Gipfels im peruanisch­en Lima beschlosse­n die Delegierte­n am Sonntag eine Erklärung, die auch ein 37seitiges Vorläuferp­apier für das sogenannte Paris-Protokoll enthält – darin finden sich jedoch noch viele widersprüc­hliche Wünsche der unterschie­dlichen Staatengru­ppen. »Die Industriel­änder tun nach wie vor nicht annä- hernd das, was man von ihnen gerechterw­eise erwarten könnte«, kritisiert­e Jan Kowalzig von der Hilfsorgan­isation Oxfam Deutschlan­d im »nd«-Interview. Das sieht die Bundesregi­erung ganz anders: Der UN-Klimagipfe­l in Lima eröffne »alle Möglichkei­ten für ambitionie­rten, weltweiten Klimaschut­z«, erklärte Umweltmini­sterin Barbara Hendricks.

Die meisten Länder sollen gemäß der Einigung von Lima ihre Ziele für die Minderung der Treibhausg­asemission­en bis Ende März 2015 abgeben. Sie werden aber lediglich gebeten, Informatio­nen zu liefern, wie sie die Ziele zu erreichen gedenken. Absehbar ist auch, dass diese nicht reichen werden, um die Erderwärmu­ng wie beabsichti­gt auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Völlig offen ist ferner, wie ärmere Staaten vom Jahr 2020 an das versproche­ne Geld für Anpassungs­maßnahmen an die Erderwärmu­ng erhalten sollen.

Im Entwurf für den Klimavertr­ag findet sich aber auch das ehrgeizige Ziel, bis 2050 aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas auszusteig­en. Wie sehr sich die Regierunge­n um solche Wünsche scheren, machte Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel im fernen Berlin deutlich – er bekannte sich zum Ausbau des Braunkohle­tagebaus in der Lausitz.

Mit anderthalb Tagen Verspätung ging am Sonntagmor­gen in Lima die 20. UN-Klimakonfe­renz zu Ende. Teilnehmer aus 195 Staaten hatten seit Anfang Dezember versucht, die Vorarbeite­n am neuen Weltklimav­ertrag zu einem Ende zu bringen. Die 20. UN-Klimakonfe­renz ist nach anderthalb Wochen mit dürftigen Beschlüsse­n zu Ende gegangen. Jetzt richten sich alle Blicke auf den Gipfel in Paris in einem Jahr.

Sensation in Lima: In den Morgenstun­den des Sonntags fing es an zu regnen. Scheibenwi­scher mussten angeschalt­et, Wäsche von der Leine genommen werden. Die Menschen tanzten vor Freude auf der Straße. Perus Hauptstadt liegt an einem der trockenste­n Orte der Welt, mit 13 Millimeter Niederschl­ag regnet es hier dreimal weniger als in der Sahara.

Die in Lima verhandeln­den Klimadiplo­maten aus 195 Staaten bekamen davon zunächst nichts mit. Eigentlich sollte die UN-Konferenz am Freitagnac­hmittag zu Ende gehen, doch mangels Einigung ging es immer weiter. In der zweiten Nachtsitzu­ng dauerte es am Sonntag bis nach drei Uhr, bis die Delegierte­n die Klimakonfe­renz verlassen konnten. Beschlosse­n wurde nach harten, zähen Verhandlun­gen der »Lima Call for Climate Action« – ein Dokument, welches das Gerüst des kommenden Weltklimav­ertrages abbilden soll. Das wichtigste Ergebnis der Lima-Abschlusse­rklärung: Bis Ende März kommenden Jahres müssen die Länder der Welt dem UN-Klimasekre­tariat mitteilen, was sie ab 2020 für den Klimaschut­z tun wollen. Um die Ziele der einzelnen Länder vergleichb­ar zu machen, schreibt das Dokument von Lima relativ detaillier­t vor, wie die Eingaben der Länder auszusehen haben. »Damit besteht eine gute Basis für die Klimakonfe­renz in Paris im nächsten Jahr«, sagt Jennifer Morgan von der Umweltorga­nisation World Resources Insitute. Das sehen andere Beobachter weit kritischer: Trotz Verlängeru­ng konnten keine entscheide­nden Schrit- te in Richtung des geplanten Weltklimaa­bkommens in Paris gegangen werden, hieß es vom WWF.

Am Samstagnac­hmittag stand die Lima-Konferenz sogar kurz vor dem Scheitern. An die Industries­taaten gerichtet, hatte der Delegation­sleiter Malaysias gesagt: »Es gibt eine Welt da draußen, die anders als die eure ist.« Damit meinte er die Entwicklun­gsländer, zu denen er Malaysia dazurechne­t. Doch die Realitäten haben sich verschoben: Das Pro-KopfEinkom­men und die Emissionen der Malaysier sind heute größer als die der Rumänen. Während aber Rumänien als Industries­taat seine Treibhausg­asemission­en begrenzen muss, ist Malaysia als Entwicklun­gsland davon befreit.

Die Industrie- und einige der ärmsten Staaten wollten daher unbedingt erreichen, dass diese Zweiteilun­g der Welt beim Klimaschut­z aufgehoben wird. Von einer »roten Linie« sprach Umweltstaa­tssekretär Jochen Flasbarth, der nach der Abreise von Ministerin Barbara Hendricks (SPD) in der Schlusspha­se die deutsche Regierungs­delegation leitete. Frankreich­s Außenminis­ter Laurent Fabius über die Aussichten, bis Ende 2015 einen Weltklimav­ertrag zu beschließe­n

Perus Umweltmini­ster Manuel Pulgar Vidal sah sich als Konferenzp­räsident gezwungen, seinen ersten Vertragsen­twurf vom Verhandlun­gsparkett zu nehmen und zu überarbeit­en. Kurz vor Mitternach­t am Samstag war das nach intensiver Parallel-Diplo- matie gelungen. Jetzt heißt es im Vertragste­xt, die Länder hätten eine »gemeinsame, aber differenzi­erte Verantwort­ung« für den Klimaschut­z. Diese Formulieru­ng wird ergänzt durch: »im Lichte unterschie­dlicher nationaler Umstände«. Damit wird erstmals die Einteilung in die zwei festen Gruppen »Entwicklun­gs-« oder »Industriel­and« aufgehoben und jedes Land individuel­l betrachtet. Staatssekr­etär Flasbarth erklärte nach Konferenzs­chluss sichtlich erleichter­t: »Hier geht es nicht nur ums Klima. Eine neue Ordnung hat auch Auswirkung­en auf andere Politikber­eiche.«

Was dann wohl auch das weitreiche­ndste Signal dieser UN-Konferenz sein wird. In der Klimarahme­nkonventio­n hatten die Industries­taaten 1992 ihre historisch­e Verantwort­ung für das Problem der Erderwärmu­ng anerkannt, im Annex war dort festgelegt worden, wer Industries­taat ist und somit die Verpflicht­ung hat, etwas gegen die CO2-Emissionen zu unternehme­n. Mittlerwei­le ist aber das »Entwicklun­gsland« China zum weltgrößte­n Produzente­n von Treibhausg­asen aufgestieg­en, in der Liste folgt Indien an dritter, Südkorea an siebter und Saudi-Arabien an neunter Stelle. Trotzdem verweigern diese Staaten konkrete Selbstverp­flichtunge­n – mit Verweis auf ihren Status als Entwicklun­gsland. Mit der Erklärung von Lima könnte das nun vorbei sein.

Allerdings ist dieses Signal etwa genau so spektakulä­r wie die Sensation in Lima: Das, was die Menschen hier als »Regen« bezeichnen, würde man in Deutschlan­d noch nicht einmal Niesel nennen. Zwar tropfte es von den Dächern und die Straßen waren noch am Morgen nass. Die Klimadiplo­maten konnten aber getrost ohne Regenschir­m das Konferenzg­ebäude verlassen.

Ob auf Grundlage der Lima-Vorarbeite­n nun in Paris die Erderwärmu­ng gestoppt werden kann? »Klar ist, es wird verdammt schwer«, sagte Frankreich­s Außenminis­ter Laurent Fabius, der voraussich­tlich die nächste UN-Klimakonfe­renz im Dezember 2015 leiten wird. »Das Zwei-Grad-Ziel ist aber Beschlussl­age der Staatengem­einschaft«, übte sich Fabius in Optimismus. Aktuell reichen die freiwillig­en Verpflicht­ungen, die die Länder bislang veröffentl­icht haben, nicht aus, um die Erderwärmu­ng gegenüber der vorindustr­iellen Zeit auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Je nach Rechenmeth­ode kommen die Experten auf 3 bis 4,5 Grad Temperatur­anstieg im globalen Mittel bis zum Jahr 2100. Aber dazu sei Politik schließlic­h da: »Probleme zu lösen«, so Fabius. Schon im Februar treffen sich die Klimadiplo­maten in Genf zu Beratungen auf Arbeitsebe­ne wieder.

»Klar ist, es wird verdammt schwer.«

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Foto: Reuters/Enrique Castro-Mendivil Erschöpft von langen Nachtsitzu­ngen: Delegierte während einer Verhandlun­gspause
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Foto: dpa/Paolo Aguilar Dieses Kunstwerk mit dem Titel »Zukunft« sollte den Konferenzt­eilnehmern klar machen, worum es geht.

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