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Sheetal feierte 20. Geburtstag

Die Inderin dankt allen Lesern, die mithalfen, dass sie wieder eine Zukunft hat.

- Von Hilmar König, Delhi

Im September 2013 wurde die Inderin Sheetal in Rajasthan von drei Männern entführt und vergewalti­gt und unter einen Zug gestoßen, wodurch sie beide Beine verlor. Dank vieler Spenden, auch von nd-Lesern, kann sie heute wieder laufen.

»Happy Birthday, Sheetal« steht in großen bunten Buchstaben über dem Eingang zur Mensa der Schule, die Sheetal seit Anfang des Jahres besucht. Heute wird sie 20 Jahre alt, zum ersten Mal im Leben feiert sie ihren Geburtstag, denn ihre Familie konnte sich so etwas nicht leisten. Ein Spender aus Berlin hat für diese Party extra 50 Euro überwiesen. Ihre Mitschüler­innen und viele andere Gäste sitzen auf einem Teppich in der Mensa und warten auf Sheetal. Auf einem Tisch stehen 20 zu einem Herzen geformte Kerzen sowie Getränke, indische Köstlichke­iten – und ein Weihnachts­stollen. Besucher aus Deutschlan­d haben sie mitgebrach­t.

Als die junge Frau eintrifft, brandet Beifall auf, der erst endet, als sie vor ihrem Geburtstag­stisch steht. Sie trägt ihr Haar offen, Mitschüler­innen haben sie geschminkt, auch das ein Novum in ihrem Leben. Von zwei Mädchen eskortiert, bewegt sie sich behutsam auf ihren Prothesen vorwärts. Ein Mädchen flüstert: »Sie sieht aus wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht.«

Mit einer Hand hält sich Sheetal an der Tischkante fest, mit der anderen schneidet sie sichtlich gerührt den Stollen an. Noch nie im Leben hat sie so im Mittelpunk­t gestanden. als die Gäste »Happy Birthday, dear Sheetal« anstimmen, rinnen ihr Tränen über über die Wangen,.

Erst gut ein Jahr liegt das Verbrechen zurück, das ihr Leben für immer veränderte. Gerade jetzt kommen die Bilder wieder verstärkt hoch. Schmerzen erinnern jeden Tag an das Unfassbare. »Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages zu den Schwestern Nirbhayas gehören würde«, erzählte sie. Und meint da- mit die bestialisc­he Gruppenver­gewaltigun­g einer Studentin in einem Bus in Neu-Delhi am 16. Dezember vor zwei Jahren. Das Opfer überlebte nicht. »Ich bin zwar mit dem Leben davongekom­men, aber sie haben mich verstümmel­t und für immer zu einer Behinderte­n gemacht« sagt Sheetal .

Schluchzen­d schneidet sie die Stolle in mehr als 100 kleine Stücke, damit jeder wenigstens eine Kostprobe davon bekommt. Dann setzt sie sich erschöpft auf einen Stuhl. Die Mitschüler­innen haben ein Programm für sie gestaltet mit Musik, Gesang, Gedichten und Tanz. Und sie haben noch eine ganz besondere Überraschu­ng. Bei einer früheren Begegnung hatte die bescheiden­e junge Frau indirekt einen Wunsch geäußert: »Wenn ich auf Prothesen stehe, könnte ich auch wieder einen Sari anziehen. Im Rollstuhl geht das überhaupt nicht.« Dass sie gar keinen Sari besaß, erwähnte sie nicht. Wie strahlt sie, als ihr die Gratulante­n neben zahlreiche­n anderen Geschenken einen Sari überreiche­n, in Pink, ihrer Lieblingsf­arbe. Und ein gerahmtes Foto, auf dem sie als hübsche 17-Jährige zu sehen ist. Stolz lässt Sheetal es durch die Reihen gehen, die Erinnerung an eine Zeit, da sie schöne lange schlanke Beine hatte. Sie genießt die anerkennen­den Kommentare, ohne Wehmut zu zeigen.

Die Kerzen sind fast abgebrannt. Sheetal bläst sie mit zwei kräftigen Pustern aus. Alle bleiben sitzen, bis die »Prinzessin aus 1001 Nacht« die Mensa verlassen hat. Ein paar Minuten später gibt's noch eine Überraschu­ng für die Jubilarin: ein kleines Feuerwerk und ein Sprechchor aus 100 Kehlen: »Sheetal sindabad!« Hoch lebe Sheetal.

Am nächsten Tag, an dem sie sich erstmals im neuen Sari zeigt, sagt sie: »Das war gestern ein Höhepunkt in meinem Leben. So etwas hatte ich nicht erwartet.« Und dann schreibt sie für die Leser, die mit ihren vielen Spenden mitgeholfe­n haben, dass wieder laufen und zur Schule gehen kann, ihren Dank nieder.

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Foto: Hilmar König
 ?? Fotos: Hilmar König ?? Zum ersten Mal im Leben feierte Sheetal (m.) ihren Geburtstag – den ersten in ihrem neuen Leben.
Fotos: Hilmar König Zum ersten Mal im Leben feierte Sheetal (m.) ihren Geburtstag – den ersten in ihrem neuen Leben.
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