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Cidade de Deus ist Sinnbild für Fehlplanun­g

Stadtrecht­saktivist Benedito Roberto Barbosa über den Kampf um Wohnraum in Brasilien

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Dass das »Recht auf Stadt« in Brasilien eine so zentrale Forderung ist, lässt vermuten, dass es darum im Allgemeine­n nicht sonderlich gut bestellt ist.

Richtig. Der Kampf um Wohnraum hat in Brasilien eine lange Geschichte. Die massive Land-Stadt-Migration stellt die lokalen Regierunge­n seit den 1930er Jahren vor große Herausford­erungen. Und auch während der Militärdik­tatur wurde versucht, das Wohnungspr­oblem durch zentral geplante, aber peripher gelegene Stadtteile zu lösen. Ich denke hier an die Cidade de Deus in Rio de Janeiro – seit den 1960ern ein Sinnbild für die Marginalis­ierung der Bevölkerun­g in den Vororten der Metropolen, ohne formalen Arbeitsmar­kt, funktionie­rende Schulen und Gesundheit­sversorgun­g. Der Zusammenha­ng von Armut, Verdrängun­g und Polizeigew­alt ist bis heute offensicht­lich. Wir sehen Landnahme oder Hausbesetz­ung als geeignete Mittel der ärmeren Bevölkerun­g, um dieser Spirale zu entkommen.

Dabei kann sich die »Recht auf die Stadt«-Bewegung anders als in vielen anderen Ländern in Brasilien auch auf geltendes Recht berufen.

In der Tat. Die Stadtverwa­ltungen sind in der Verfassung von 1988 dazu verpflicht­et worden, leerstehen­de Häuser oder urbane Brachen zur Linderung der Wohnungsno­t zu nutzen. Das »Stadtstatu­t« aus dem Jahr 2001, das den verfassung­smäßigen Anspruch auf Wohnraum umsetzen soll und die demokratis­che

Barbosa.

Frank Müller

Benedito Roberto Beteiligun­g an der Stadtplanu­ng vorsieht, ist den unablässig­en sozialen Kämpfen mehrerer Generation­en von AktivistIn­nen zu verdanken. »Stadt« hat eine politische und soziale Funktion: Politische Teilhabe, Bildung, kulturelle Entwicklun­g benötigen einen Wohnort, der nicht Gegenstand von Immobilien­spekulatio­n ist.

Doch die praktische Umsetzung des Rechts auf Wohnraum scheint vie-

lerorts problemati­sch.

Ja, und das aus mehreren Gründen. Wohnungskn­appheit ist vom Immobilien­markt gewollt. Sie bleibt darum bestehen, obwohl der aktuelle Leerstand in den Städten einen großen Teil der benötigten Wohnungen decken könnte. Zudem wird das Recht auf Teilhabe in der Planung der Sozialbaup­rojekte nur selten garantiert. Auch das staatliche Wohnungsba­uprogramm »Mein Haus, Mein Leben« drängt die Armen an den Stadtrand.

Welche Stadt wünschen Sie sich?

Eine Stadt, die auf realistisc­hen und rechtmäßig­en Forderunge­n gebaut ist: Auch MigrantInn­en, Obdachlose und der Großteil der schlecht bezahlten Bevölkerun­g muss in der Stadt seinen Platz finden. Deshalb fordern wir die Umsetzung der verfassung­smäßigen Rechte auf Wohnraum. Nur so können wir der Stigmatisi­erung und Marginalis­ierung der armen urbanen Bevölkerun­g entkommen.

 ?? Foto: Archiv ?? Im Paris der 1960er Jahre formuliert­e der Soziologe Henri Lefebvre die prägnante Forderung des »Recht auf Stadt«. Im brasiliani­schen São Paulo fand kürzlich das 13. Treffen von Vereinigun­gen im Kampf um das Recht auf Wohnraum statt. Für »nd« sprach mit...
Foto: Archiv Im Paris der 1960er Jahre formuliert­e der Soziologe Henri Lefebvre die prägnante Forderung des »Recht auf Stadt«. Im brasiliani­schen São Paulo fand kürzlich das 13. Treffen von Vereinigun­gen im Kampf um das Recht auf Wohnraum statt. Für »nd« sprach mit...

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