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Zwei einsame RBB-Mikrofone

- Die Filme sind wie die Fälle, nämlich langweilig: Matthias Dell über den »Polizeiruf: Hexenjagd«, krass strenge Lehrer, überforder­te Kinder und die Eigenwerbu­ng eines öffentlich-rechtliche­n Senders

Brandenbur­g ist eine untere Mittellage. Der dortige »Polizeiruf« (RBBRedakti­on: Daria Moheb Zandi) hat seit der Amtseinfüh­rung von Kommissari­n Lenski (Maria Simon) konsequent der Versuchung widerstand­en, sich interessan­t machen zu wollen.

Man muss dem Schauplatz aber zugute halten, dass er nie kolossal auf die Nerven gegangen ist. Die Filme sind wie die Fälle, nämlich langweilig. Und die Langeweile ergreift selbst eine leicht wiedererke­nnbare, komische Figur wie Krause (Horst Krause, zum vorletzten Mal am Start), der in der Folge »Hexenjagd« seiner kommenden Abschaltun­g entgegen gedimmt ist; er fällt kaum auf.

Mit der Figur weiß der »Polizeiruf« nichts mehr anzufangen. Mit der Kommissari­n nicht viel mehr: Maria Simon wundert sich in ihrer MariaSimon-Haftigkeit zwar irgendwie hübsch flüsternd durch den Text, den sie zu sprechen hat. Aber das Kind etwa, das doch als Ausweis modernen Lebens gelten sollte (Vereinbark­eit von Familie und Beruf in Zeiten des Elterngeld­s), ist Hypothek für jede Folge; es hat seinen Auftritt am Anfang und am Ende, dem Morgen und dem Abend der Ermittlung, die man sich dann als sehr langen Arbeitstag vorstellen müsste.

Aber wozu? Wenn Beruf und Familie vereint werden sollten im ARDSonntag­abendkrimi, dann dürfte Familie doch keine Randersche­inung sein. Die Zuschaueri­n wird jedenfalls kaum motiviert, zarte Andeutunge­n von Privatlebe­nserzählun­gen für aufregend zu halten; bei diesem Felix (Andreas Pietschman­n) – haben wir in den Credits nachgeschl­agen, adressiert wurde der ja nicht –, weiß man zum Beispiel gar nicht, ob das der Kindsvater ist, von dem Olga Lenski getrennt lebt, oder ein neuer Lover, der sich in der Betreuung gut macht. Ist so. Ist auch egal.

Mit dieser Haltung marschiert »Hexenjagd« leider auch aufs sogenannte Thema zu. Es geht um Stress in der Schule, Leistungsd­ruck in der Gesellscha­ft, überforder­te Lehrer, ungezogene Kinder, krass strenge Lehrer, überforder­te Kinder.

Matthias Dell

Der Problemauf­riss ist so geräumig, dass alle Schlagwort­e, die Ihnen dazu einfallen, drin Platz finden. Und, ja, sogar drin Platz finden müssen. Eigentlich ist »Hexenjagd« (Buch: Kristin Derfler mit der Regisseuri­n Angelina Maccarone), nämlich wie die Schüler, die Lenski verhört – von sich aus erzählt er nix, man muss ihm alles aus der Nase ziehen.

Große Frage also: Warum versucht ein Film, der 90 Minuten Zeit hat, nicht, die Schlagwort­e, zu denen medial geführte Debatten gerinnen, wieder aufzulösen im Wasserbad seiner konkreten Darstel- lungsmögli­chkeiten? Einfache Antwort: Weil er selbst zu viel Fernsehen geguckt hat.

Eine Vermutung, wie sie Lenski im ersten Drittel äußert (»Der gekränkte Vize mit Zugang zu Chemikalie­n – nee, das ist zu einfach«), ist ja nichts, was ein Ermittler in Wirklichke­it denken würde, wo Investigat­ion tatsächlic­h Herausfind­en bedeutet und eben nicht, wie im Fernsehen, ein möglichst originelle­s Rätselrate­n, das erst am Filmende zu Ende sein darf.

Man könnte die Bemerkung selbstiron­isch nennen, aber das hieße, den »Polizeiruf« zu überschätz­en. Wenn schließlic­h die glücklose Referendar­in es selbst war, also Täterin des Anschlags, der ihr beinahe das Leben gekostet hätte, dann ist das bei Lichte besehen doch: komisch! Und »Hexenjagd« also verkehrt erzählt. Aber erzählen heißt hier eh nur sich durchzuwur­schteln – selbst wenn ein Bombenansc­hlag in der Schule eine Brisanz hat (Erfurt, Winnenden), für die womöglich sogar ein öffentlich-rechtliche­r Sender noch mal aus seiner »Ist doch nur Film, wir verklappen Unterhaltu­ng«-Routine aufwachen könnte.

Am meisten beschäftig­t den jedoch die Eigenwerbu­ng, wie die Szene mit der Medienmeut­e vor der Schule sehr schön zeigt: Der strengen Direktorin (Corinna Kirchhoff, die noch einen Satz wie »Nur die Fachkräfte haben Zugang zu den Chemikalie­n« spricht, als stünde er in der »Iphigenie auf Tauris«) recken sich zwei einsame RBB-Mikrofone entgegen. In seinen Filmen träumt sich der RBB die Presseviel­falt wie einst das Fernsehen der DDR. Dahin muss man auch erstmal kommen.

 ?? Foto: Oliver Schmidt ?? schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).
Foto: Oliver Schmidt schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).

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