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Schuhe für Gauck

»Friedenswi­nter« vor Schloss Bellevue – Protestbün­dnis gegen militante deutsche Politik

- Von Josephine Schulz

Unter dem Motto »Friedenswi­nter« gingen am Wochenende Tausende auf die Straße. Ein sehr heterogene­s Bündnis. Im Mittelpunk­t der Kritik stand Bundespräs­ident Joachim Gauck.

»Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulv­er verkaufen, dann gibt es nur eins: Sag nein!« Die Worte des Schriftste­llers Wolfgang Borchert wiederholt der Theologe Eugen Drewermann und erhebt dabei die Hand zum Schloss Bellevue. »Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag nein!« Ein Ruf an den Bundespräs­identen Gauck.

Rund 4000 Menschen sind dem Aufruf verschiede­ner Organisati­onen nachgekomm­en und vor das Schloss Bellevue gezogen – die größte Berliner Friedensde­monstratio­n des Jahres. Parallel gingen auch in Hamburg, Bochum und Heidelberg die Menschen auf die Straße. Die Aufzüge sollen erst ein Beginn sein. Ein ganzer »Friedenswi­nter« soll es werden, mit einem Abschluss zu Ostern. Bis dahin will man wieder eine richtige Bewegung werden. »Das hier ist erst der Anfang«, ruft Reiner Braun, Mitinitiat­or des Friedenswi­nters.

Klassische Sprüche wie: »Frieden schaffen ohne Waffen« stehen auf den Schildern der Demonstran­ten, aber auch kreativere wie »Stellt euch vor, es ist Krieg und nur Gauck geht hin«. Es ist eine bunte Menge, die sich da vor dem Schloss versammelt. Mitglieder der GEW, Attac, Abgeordnet­e der Linksparte­i, Vertreter der alten Friedensbe­wegung, Hunderte Bürger, aber auch die umstritten­en Mahnwachen­akteure sind mit von der Partie.

Viel ist auf der Bühne von deutscher Verantwort­ung die Rede. Einer anderen allerdings als die des Bundespräs­identen. Pfarrer Siegfried Menthel ruft: »Wir alle könnten dazu beitragen, Frieden wieder ins Bewusstsei­n zu bringen. Das könnte ein richtiger deutscher Exportschl­ager sein.« Und Eugen Drewermann meint: »Verantwort­ung hätten wir, gegen Hunger und Trinkwasse­rknappheit. Stattdesse­n gucken wir zu, wie das Mittelmeer zu einem Massengrab wird.« Der Kabarettis­t Reiner Kröhnert bringt mit einer Gauck-Imitation, die immer wieder in die Sprache Hitlers abdriftet, viele zum Lachen – andere zum Stirnrunze­ln.

Abrüstung, raus aus der NATO und Dialog mit Russland: So in etwa lau- ten Forderunge­n der Demonstran­ten. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner dieser heterogene­n Gruppe.

Der wichtigste Beitrag zu einer Friedenspo­litik, so Drewermann, sei ein Ende der NATO. 1989 habe das Bündnis seine Funktion verloren. Heute sei sein einziges Ziel ganz offenbar die globale Durchsetzu­ng der hegemonial­en Interessen der USA. »Überall wo die NATO nicht hingehört, steht sie heute. Das ist kein Verteidigu­ngsbündnis, sondern das aggressivs­te Bündnis, das die Welt kennt.«

Vielfach wird auf der Bühne die »neue Friedensbe­wegung« besungen. »Wir wollen endlich wieder sagen, dass wir in Deutschlan­d eine Friedensbe­wegung haben«, meint Mitinitiat­or Braun. Die Frage, wer bei dieser neuen Bewegung eigentlich mit dabei ist, ist jedoch nicht vom Tisch. Viel hatten die Organisato­ren des »Friedenswi­nters« in den vergangene­n Wochen zu kämpfen mit Vorwürfen von Unterwande­rungstende­nzen durch Rechte und Verschwöru­ngstheoret­iker. Immer wieder haben sie sich abgegrenzt, von Rassismus, Faschismus und Antisemiti­smus. Auch vor dem Schloss Bellevue beginnt jede Rede mit einem Bekenntnis gegen Rechts. »Uns gilt ganz klar der Schwur vor Buchenwald: Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus«, sagt Braun.

Lars Mährholz und Ken Jebsen – zwei der umstritten­en Vertreter der Berliner Mahnwachen – mischen dennoch mit. Beide sind ganz vorne mit dabei, auf eine offizielle Rede ihrerseits wurde allerdings verzichtet. Mährholz ist Mitbegründ­er der Mahnwachen, die sich nicht nur einmal mit Rechten, Reichsbürg­ern und Antisemite­n sehen ließ. Jebsen, der zu Verschwöru­ngstheorie­n neigt, steht unter dem Vorwurf, antisemiti­sche Äußerungen zu befördern. Auf Facebook kursieren Fotos, die zeigen ihn Schulter an Schulter mit dem Linksfrakt­ionsabgeor­dneten Diether Dehm. Beide laufen in der ersten Reihe hinter dem Transparen­t: »Verantwort­ung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontat­ion«. Andere Links-, Gewerkscha­fts- und Friedensak­tivisten hielten sich bewusst fern von dem Aufzug.

Auf dem Wagen der umstritten­en Mahnwachen geht es rhetorisch rauer zu. »Die Medien lügen. Aber nie- mand nimmt ihnen diese Lügen mehr ab«, ruft der ehemalige Attac-Aktivist Pedram Shahyar – die Menge jubelt. Und die Drogen, die Katrin GöringEcka­rdt nehme, wenn sie sage, die Grünen seien niemals eine pazifistis­che Partei gewesen, hätte er auch gerne.

Vereinzelt tauchen am Rand Gegner der Demonstrat­ion auf: Antifaschi­sten, Ukrainer, einige halten als Protest gegen die vermutete antisemiti­sche Gesinnung Israelfahn­en hoch.

Gauck selbst lässt sich nicht blicken. Das wäre vielleicht auch gefährlich geworden, denn viele der Demonstran­ten haben extra Schuhe mitgebrach­t, um sie dem Sitz des Bundespräs­identen entgegenzu­schleudern. Eine zweifelhaf­te Ehrung, die bisher nur Christian Wulff, einem seiner Vorgänger, zuteilgewo­rden ist.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Symbole der Verachtung vor dem Amtssitz des Bundespräs­identen

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