Schuhe für Gauck
»Friedenswinter« vor Schloss Bellevue – Protestbündnis gegen militante deutsche Politik
Unter dem Motto »Friedenswinter« gingen am Wochenende Tausende auf die Straße. Ein sehr heterogenes Bündnis. Im Mittelpunkt der Kritik stand Bundespräsident Joachim Gauck.
»Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins: Sag nein!« Die Worte des Schriftstellers Wolfgang Borchert wiederholt der Theologe Eugen Drewermann und erhebt dabei die Hand zum Schloss Bellevue. »Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag nein!« Ein Ruf an den Bundespräsidenten Gauck.
Rund 4000 Menschen sind dem Aufruf verschiedener Organisationen nachgekommen und vor das Schloss Bellevue gezogen – die größte Berliner Friedensdemonstration des Jahres. Parallel gingen auch in Hamburg, Bochum und Heidelberg die Menschen auf die Straße. Die Aufzüge sollen erst ein Beginn sein. Ein ganzer »Friedenswinter« soll es werden, mit einem Abschluss zu Ostern. Bis dahin will man wieder eine richtige Bewegung werden. »Das hier ist erst der Anfang«, ruft Reiner Braun, Mitinitiator des Friedenswinters.
Klassische Sprüche wie: »Frieden schaffen ohne Waffen« stehen auf den Schildern der Demonstranten, aber auch kreativere wie »Stellt euch vor, es ist Krieg und nur Gauck geht hin«. Es ist eine bunte Menge, die sich da vor dem Schloss versammelt. Mitglieder der GEW, Attac, Abgeordnete der Linkspartei, Vertreter der alten Friedensbewegung, Hunderte Bürger, aber auch die umstrittenen Mahnwachenakteure sind mit von der Partie.
Viel ist auf der Bühne von deutscher Verantwortung die Rede. Einer anderen allerdings als die des Bundespräsidenten. Pfarrer Siegfried Menthel ruft: »Wir alle könnten dazu beitragen, Frieden wieder ins Bewusstsein zu bringen. Das könnte ein richtiger deutscher Exportschlager sein.« Und Eugen Drewermann meint: »Verantwortung hätten wir, gegen Hunger und Trinkwasserknappheit. Stattdessen gucken wir zu, wie das Mittelmeer zu einem Massengrab wird.« Der Kabarettist Reiner Kröhnert bringt mit einer Gauck-Imitation, die immer wieder in die Sprache Hitlers abdriftet, viele zum Lachen – andere zum Stirnrunzeln.
Abrüstung, raus aus der NATO und Dialog mit Russland: So in etwa lau- ten Forderungen der Demonstranten. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner dieser heterogenen Gruppe.
Der wichtigste Beitrag zu einer Friedenspolitik, so Drewermann, sei ein Ende der NATO. 1989 habe das Bündnis seine Funktion verloren. Heute sei sein einziges Ziel ganz offenbar die globale Durchsetzung der hegemonialen Interessen der USA. »Überall wo die NATO nicht hingehört, steht sie heute. Das ist kein Verteidigungsbündnis, sondern das aggressivste Bündnis, das die Welt kennt.«
Vielfach wird auf der Bühne die »neue Friedensbewegung« besungen. »Wir wollen endlich wieder sagen, dass wir in Deutschland eine Friedensbewegung haben«, meint Mitinitiator Braun. Die Frage, wer bei dieser neuen Bewegung eigentlich mit dabei ist, ist jedoch nicht vom Tisch. Viel hatten die Organisatoren des »Friedenswinters« in den vergangenen Wochen zu kämpfen mit Vorwürfen von Unterwanderungstendenzen durch Rechte und Verschwörungstheoretiker. Immer wieder haben sie sich abgegrenzt, von Rassismus, Faschismus und Antisemitismus. Auch vor dem Schloss Bellevue beginnt jede Rede mit einem Bekenntnis gegen Rechts. »Uns gilt ganz klar der Schwur vor Buchenwald: Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus«, sagt Braun.
Lars Mährholz und Ken Jebsen – zwei der umstrittenen Vertreter der Berliner Mahnwachen – mischen dennoch mit. Beide sind ganz vorne mit dabei, auf eine offizielle Rede ihrerseits wurde allerdings verzichtet. Mährholz ist Mitbegründer der Mahnwachen, die sich nicht nur einmal mit Rechten, Reichsbürgern und Antisemiten sehen ließ. Jebsen, der zu Verschwörungstheorien neigt, steht unter dem Vorwurf, antisemitische Äußerungen zu befördern. Auf Facebook kursieren Fotos, die zeigen ihn Schulter an Schulter mit dem Linksfraktionsabgeordneten Diether Dehm. Beide laufen in der ersten Reihe hinter dem Transparent: »Verantwortung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontation«. Andere Links-, Gewerkschafts- und Friedensaktivisten hielten sich bewusst fern von dem Aufzug.
Auf dem Wagen der umstrittenen Mahnwachen geht es rhetorisch rauer zu. »Die Medien lügen. Aber nie- mand nimmt ihnen diese Lügen mehr ab«, ruft der ehemalige Attac-Aktivist Pedram Shahyar – die Menge jubelt. Und die Drogen, die Katrin GöringEckardt nehme, wenn sie sage, die Grünen seien niemals eine pazifistische Partei gewesen, hätte er auch gerne.
Vereinzelt tauchen am Rand Gegner der Demonstration auf: Antifaschisten, Ukrainer, einige halten als Protest gegen die vermutete antisemitische Gesinnung Israelfahnen hoch.
Gauck selbst lässt sich nicht blicken. Das wäre vielleicht auch gefährlich geworden, denn viele der Demonstranten haben extra Schuhe mitgebracht, um sie dem Sitz des Bundespräsidenten entgegenzuschleudern. Eine zweifelhafte Ehrung, die bisher nur Christian Wulff, einem seiner Vorgänger, zuteilgeworden ist.