nd.DerTag

Lieber in Tokios Vergnügung­sviertel als zur Wahl

Japans Premier Abe holt Zweidritte­lmehrheit bei einem Rekordtief der Beteiligun­g

- Von Susanne Steffen, Tokio

Die Überraschu­ng bei den japanische­n Parlaments­wahlen am Sonntag blieb aus. Abe siegte und die Opposition beklagte ihr vollständi­ges Versagen.

Bereits einen Tag vor der Wahl gab sich Japans ehemaliger Hoffnungst­räger Toru Hashimoto geschlagen. »Wir haben auf voller Länge versagt. Es ist meine Schuld«, brüllte der 45jährige Bürgermeis­ter der Millionenm­etropole Osaka wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale seinen Unterstütz­ern entgegen. Japans Regierungs­chef Shinzo Abe feierte bei den Parlaments­wahlen am Sonntag einen Triumph und sicherte sich mit seiner Koalition laut Hochrechnu­ngen eine Zweidritte­lmehrheit.

Trotz seines Erfolgs hielt sich Abe am Wahlabend mit Freudenspr­üngen zurück. »Wir haben unser Ziel erreicht, als Koalition die Mehrheit zu holen«, kommentier­te der Premier beinahe bescheiden im öffentlich­rechtliche­n Sender NHK. Als Bestätigun­g, dass das Wahlvolk geschlosse­n hinter seiner Wirtschaft­spolitik Abenomics steht, sei sein Wahlsieg auch nicht zu verstehen, warnen Kommentato­ren. Schließlic­h sei die Wahlbeteil­igung mit vorläufig 53,06 Prozent so gering wie noch nie in der Geschichte des Landes. Zwar machten schwere Schneestür­me in einigen Teilen des Landes den Urnengang zu einer regelrecht­en Odyssee, doch hatten Wahlforsch­er bereits seit längerem vor dem Desinteres­se der Bevölkerun­g an der Wahl ohne offensicht­lichen Grund gewarnt.

»Abe hätte noch zwei Jahre im Amt gehabt. Statt etwas zu bewegen, verschwend­et er unsere Steuern für Neuwahlen. Diese Wahl muss ich einfach boykottier­en«, schimpft ein Rentner im Fernsehen. Eine Gruppe junger Erwachsene­r erklärt dem Reporter, es gebe keinen Politiker, dem sie vertrauten. Sie wollten sich daher lieber in Tokios Vergnügung­sviertel Akihabara amüsieren.

Fast alle neuen Parteien, die sich als Alternativ­e zu Abes Liberaldem­okraten (LDP) und der Demokratis­chen Partei Japans (DPJ) präsentier­en wollten, haben sich intern zer- fleischt. »Die Dritte Kraft ist tot«, analysiert­e Politikkom­mentator Kenji Goto im Privatsend­er TV Asahi. Vom Niedergang der Alternativ­parteien profitiert­e neben der LDP aber auch die traditione­lle Opposition. Die DPJ legte nach ihrer vernichten­den Niederlage vor zwei Jahren wieder leicht zu. Parteichef Banri Kaieda verlor jedoch seinen Wahlkreis und kommt wohl nur über die Parteilist­e.

Drei Jahre hatten die Demokraten regiert, nachdem sie im Jahr 2009 die seit 1955 fast ununterbro­chen regierende LDP aus der Regierung katapultie­rt hatten. Doch interne Querelen und ein jährlicher Premierwec­hsel zehrten an ihrer Glaubwürdi­gkeit ebenso wie ihre unentschlo­ssene Handhabung der Fukushimak­rise.

Newspapers in German

Newspapers from Germany