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Chancen für Verständig­ung auf Tiefpunkt

Libyen wegen des Falls Saif al-Islam wieder Thema im Sicherheit­srat / Strafgeric­htshof zeigt sich hilflos

- Von Mirco Keilberth, Tripolis

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag hat sich an den UNSicherhe­itsrat gewandt, weil Libyen Saif al-Islam, Sohn von Muammar al-Gaddafi, nicht überstellt.

Die Weigerung Libyens, Muammar alGaddafis Sohn Saif al-Islam dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof (ICC) in Den Haag auszuliefe­rn, macht das Bürgerkrie­gsland wieder zu einem Fall für den UN-Sicherheit­srat. Die Vereinten Nationen hatten im Frühjahr 2011 auf Betreiben der libyschen Rebellen, des Übergangsr­ates, den Gerichtsho­f gebeten, gegen Staatschef Gaddafi und sein Umfeld wegen möglicher Kriegsverb­rechen zu ermitteln.

Saif al-Islam war im November jenes Jahres nach Ende des Krieges in der libyschen Sahara von GaddafiGeg­nern aus Zintan festgesetz­t worden und sitzt seitdem ohne Prozess in einem Gefängnis der Stadt südlich von Tripolis. Dem 36-Jährigen wird vorgeworfe­n, die Schüsse auf Demonstran­ten zu Beginn des Aufstands und den von NATO-Kampfjets vereitelte­n Angriff einer Panzerkolo­nne auf Bengasi im März 2011 mit befehligt zu haben.

Die Behörden in Zintan präsentier­ten Saif al-Islam mehrmals vor einem Gericht, jedoch keine Beweise gegen ihn. Nach der Weigerung der Libyer, mit Den Haag zu kooperiere­n, gaben die Richter des ICC am Mittwoch den Fall nach New York zurück. Damit ist es auch unwahrsche­inlich, dass Milizenfüh­rer für Verbrechen während der aktuellen Kämpfe angeklagt werden.

Mit dem Scheitern an der Milizenwil­lkür in Libyen sinkt die Autorität der Haager Richter auf einen neuen Tiefpunkt. Im Sommer setzten die Zintaner Behörden die vom Gerichtsho­f entsandte Rechtsanwä­ltin Melinda Taylor (Australien) drei Wochen fest. Man warf ihr vor, dem Inhaftiert­en geheime Unterlagen und Überweisun­gen zugespielt zu haben. Libyens Verweigeru­ngshaltung mache die Arbeit des Gerichtsho­fes unmöglich, begründet der ICC die Rückgabe des Falls an die UN.

Libyen bereitet der Mission der Vereinten Nationen im Lande auch sonst Kopfzerbre­chen genug. Zwei Regierunge­n und zwei Parlamente kämpfen zur Zeit um die Macht. Das Mitte Juli gewählte Repräsenta­ntenhaus tagt in Tobruk in Ostlibyen und hat mit der regulären Armee und Stämmen der Region eine »Anti-Islamisten-Allianz« geschmiede­t.

Armeegener­al Khalifa Hafter gelang es mit Unterstütz­ung der ägyptische­n Armee, die islamistis­che Miliz Ansar Scharia aus weiten Teilen des Ostens zu vertreiben. Nun kündigt die Tobruk-Regierung einen Angriff auf Tripolis an. Dort sitzt die andere »Regierung« von Premier Omar Hassi. Sie beanspruch­t für sich, die »Revolution« gegen Gaddafi-Anhänger zu verteidige­n und kontrollie­rt mit Milizen aus Misrata weite Teile Westlibyen­s. Die schlagkräf­tige Albus-Brigade aus Misrata rückte am Mittwoch Richtung Osten vor, um einen eventuelle­n Angriff General Hafters zu verhindern.

Die Reisediplo­matie von UN-Vermittler Bernardino León aus Spanien zur Beilegung des bewaffnete­n Konflikts, der das Land zunehmend un- berechenba­r und unregierba­r macht, zeigt bis jetzt allerdings wenig Wirkung. Um eine blutige Schlacht um Tripolis zu verhindern, setzt Leon auf Gespräche mit allen Seiten, also auch Mitglieder­n des von Islamisten dominierte­n Nationalko­ngresses, dessen Mandat im Frühjahr endete.

Die meisten Staaten erkennen die als extremisti­sch eingestuft­e TripolisRe­gierung nicht an und meiden offizielle Treffen mit ihr. Hauptgrund: Der Sturm der islamisch-fundamenta­listischen »Fajr«-Milizen auf die libysche Hauptstadt hatte im Sommer zu mehr als 70 000 Flüchtling­en geführt. Mehr als 400 000 Libyer mussten sich bisher ins Ausland retten.

Nach dem Erscheinen von Sympathisa­nten des Islamische­n Staats und von Al Qaida in Tripolis und Sabratah nahe der tunesische­n Grenze haben die Behörden in Algier und Tunis ihre Armeen an der libyschen Grenze verstärkt. Vor der libyschen Küste eingetroff­ene US-amerikanis­che und britische Kriegsschi­ffe werden als erste Zeichen eines erneuten Eingreifen­s des Westens in Libyen gedeutet.

Viele Libyer erwarten wenig von den von León für nächste Woche angekündig­ten Friedensge­sprächen in der Oasenstadt Ghadames im algerisch-libysch-tunesische­n Dreiländer­eck, im Gegenteil. Tausende Familien überquerte­n aus Angst vor neuen Kämpfen diese Woche den Grenzüberg­ang Ras Jadir nach Tunesien. Mögliche Sanktionen durch den UNSicherhe­itsrat sehen die Milizenfüh­rer recht gelassen. »Die Zeit des Dialogs ist abgelaufen, der Machtkampf wird mit Waffen entschiede­n«, ist immer wieder zu hören.

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Foto: AFP/Mahmud Turkia Saif al-Islam 2007 in für ihn besseren Jahren

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