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Immer mehr Lücken beim Mindestloh­n

Anwaltskan­zleien unterstütz­en bei Umgehung

- Dpa/nd *Name geändert

Am 1. Januar soll der Mindestloh­n von 8,50 Euro gelten. Viele Arbeitnehm­er klagen über Umgehungsv­ersuche.

Der Schlag traf Michael Bauer* unvorberei­tet. Sein Vorgesetzt­er eröffnete dem 55-Jährigen im Oktober, sein Arbeitsver­trag werde gekündigt. Der Grund war der Mindestloh­n. Offenbar kein Einzelfall – die Liste möglicher Umgehungen der neuen Lohnunterg­renze ist lang.

Bauer ist angestellt bei einer Sozialeinr­ichtung in einer kleineren Stadt in Bayern, die ihn an einen Mittelstän­dler vermittelt hat. Er bekommt für kleinere Büroarbeit­en 4,95 Euro pro Stunde. Ab dem 1. Januar wäre der Mindestloh­n fällig geworden. Stattdesse­n sollte er eine Vereinbaru­ng unterzeich­nen, nach der es beim alten Lohn bleiben sollte – nur dass der nun »Motivation­szulage« heißen sollte. Lohnfortza­hlung im Krankheit sollte es dagegen nicht mehr geben.

Bauer unterschri­eb nicht – obwohl ihm sein Chef in Gesprächen die Vereinbaru­ng schmackhaf­t machen wollte. Seine Empörung wuchs: »Was sich die Leute für Tricks ausdenken!« Doch auf die 370 Euro pro Monat kann der 55-Jährige bei einer Erwerbsmin­derungsren­te von 650 Euro nicht verzichten. »Wir können nichts dafür«, sagte ihm sein Chef. Die Bezirksver­waltung, die die Sozialeinr­ichtung finanziert, wolle nicht mehr zahlen. »Das ist der größte Skandal«, sagt Bauer, »dass eine staatliche Stelle zur Aushebelun­g des Mindestloh­ns drängt.«

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund kennt die Strategien. »Es scheint Arbeitgebe­r in Deutschlan­d zu geben, die sich mehr Gedanken über eine Umgehung statt um die Umsetzung des Mindestloh­ns machen«, sagt DGB-Vorstandsm­itglied Stefan Körzell. »Wir wissen von Anwaltskan­zleien, die ihnen dabei helfen.«

3,7 Millionen Menschen sollen ab Neujahr vom Mindestloh­n profitiere­n. Wird er durchlöche­rt? Beispiel Vertriebsu­nternehmen: hier werden erwachsene Zusteller durch Minderjähr­ige ersetzt, die keinen Mindestloh­n bekommen. »Dann gibt es das Schlupfloc­h, dass die Arbeitszei­t nicht von Anfang bis zum Ende, sondern als Dauer angegeben werden muss«, sagt Körzell. Die Gefahr: Für eine Tour eines Austrägers würden etwa vier Stunden kalkuliert. »Wenn dieser aber fünf Stunden braucht, bekommt er dennoch nur vier Stunden zu 8,50 bezahlt.« Bei Langzeitar­beitslosen bereiten sich Branchen darauf vor, Betroffene nur für sechs Monate einzustell­en. Grund: So lange muss für sie kein Mindestloh­n bezahlt werden.

Auch im Arbeitsmin­isterium ist man hellhörig. »Den Mindestloh­n nun mit Tricks zu umgehen, ist gegenüber den Beschäftig­ten wie auch den ehrlichen, aufrichtig­en Arbeitgebe­rn unsozial«, sagt ein Sprecher. Arbeitgebe­r müssten mit hohen Strafen rechnen. Kontrolleu­re gibt es jedoch nicht genügend.

Für Michael Bauer gibt es Hoffnung. Der Mittelstän­dler, bei dem er weiterarbe­iten möchte, will ihn halten – auch zu Bedingunge­n des Mindestloh­ns. Selbst anstellen will er ihn aber nicht und sucht nun nach einer Zeitarbeit­sfirma, die Bauer beschäftig­en soll.

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