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Wer nichts wird, wird Soldat

Perspektiv­losigkeit als Voraussetz­ung: Über die Motivation junger Menschen, zur Bundeswehr zu gehen

- Von Jonna Schürkes

Solange es Menschen gibt, die sich als Soldat verpflicht­en, um der Arbeitslos­igkeit zu entgehen, solange wird es genügend Nachwuchs für die Kriegseins­ätze der Bundeswehr geben.

Die Aussetzung der Wehrpflich­t im Juni 2011 hat das Rekrutieru­ngsproblem der Bundeswehr verstärkt. Gleichzeit­ig wird ein neuer Trend erkennbar: Es verpflicht­en sich vor allem solche Menschen als Soldaten, die befürchten, auf dem zivilen Arbeitsmar­kt nicht zum Zuge zu kommen.

Obwohl die sozioökono­mische Herkunft der Soldaten sowohl in der Bundeswehr als auch in den Medien und im Bundestag immer wieder Thema ist, werden in Deutschlan­d, anders als in den USA, keine diesbezügl­ichen Daten veröffentl­icht. Das Thema ist für die friedenspo­litische und antimilita­ristische Arbeit allerdings zu wichtig, als dass man es aufgrund der fehlenden Datenlage einfach beiseite lassen könnte.

Für den vorliegend­en Artikel wurden Aussagen von Militärs und Verteidigu­ngspolitik­ern, Umfrageerg­ebnisse zur Motivation junger Menschen, sich bei der Bundeswehr zu verpflicht­en, und aufgrund von Anfragen im Bundestag sporadisch veröffentl­ichte Daten zusammenge­tragen. Dabei bestätigt sich: In vielen Fällen ist eine gewisse Perspektiv­losigkeit Voraussetz­ung dafür, dass jemand Soldat wird und damit die Gefahren der zunehmende­n Auslandsei­nsätze auf sich nimmt.

Das Zentrum für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften der Bundeswehr (ZMS, früher Sozialwiss­enschaftli­ches Institut der Bundeswehr/SOWI), führt seit 2004 regelmäßig Umfragen unter 15- bis 24Jährigen durch und befragt diese zu ihrer Bereitscha­ft, Soldat zu werden. Die Umfragen dienen der Bundeswehr in erster Linie dazu, ihre Rekrutieru­ngsstrateg­ien zu verbessern.

Vor allem die Umfrageerg­ebnisse der ersten Jahre zeigten, dass sich ein erhebliche­r Teil der neu rekrutiert­en Soldaten aus Angst vor der Arbeitslos­igkeit zum Dienst an der Waffe verpflicht­ete. Die 2005 verabschie­deten Hartz-IV-Gesetze und der durch sie aufgebaute massive Druck v.a. auch auf junge Arbeitslos­e, jeden Job anzunehmen, wurden von der Bundeswehr genutzt, um Nachwuchs zu rekrutiere­n.

Auch die jüngste, im Dezember 2013 veröffentl­ichte ZMS-Studie untersucht, wie viele Jugendlich­e sich vorstellen können, eine Mannschaft­slaufbahn bei der Bundeswehr einzuschla­gen. Hier sind die Umfrageerg­ebnisse nicht mehr so eindeutig wie in den Studien zuvor. Vermutlich haben Jugendlich­e heute weniger Angst, keinen Arbeits- oder Ausbildung­splatz zu finden. Nun erwägen offenbar vor allem Jugendlich­e ohne Schulabsch­luss oder mit Hauptschul­abschluss, Soldat zu werden.

Als Gründe für ein grundsätzl­iches Interesse an einer Laufbahn bei der Bundeswehr werden vor allem »Gesicherte­s Einkommen«, »Neues Lernen/Erfahrunge­n sammeln«, »Sicherer Arbeitspla­tz/Ausbildung­splatz«, »Wenn in der freien Wirtschaft kein Ausbildung­splatz zu finden ist« genannt. Die Auslandsei­nsätze hingegen sind mit Abstand das wichtigste Argument, kein Soldat zu werden, gefolgt von »Widerspric­ht (z.B. religiösen) Überzeugun­gen« und »Andere berufliche Pläne, Zeitverlus­t«.

Die jüngsten Umfrageerg­ebnisse bestätigen damit das Bild, das bereits die Vorgängers­tudien gezeichnet haben: Es zeigt sich, »dass die Streitkräf­te als Arbeitgebe­r vor allem für diejenigen in Frage kommen, die geringe sonstige berufliche Chancen besitzen. Umgekehrt verfügen die allermeist­en, die für sich eine Tätigkeit in den Streitkräf­ten ausschließ­en, über ihnen geeigneter erscheinen­de Möglichkei­ten. Die Jugendlich­en, die bereits eine Ausbildung oder einen Beruf haben, der ihnen zusagt, entwickeln in der Regel kein Interesse am Soldatenbe­ruf. Zugespitzt formuliert heißt das: Wer berufliche Alternativ­en hat, geht nicht zur Bundeswehr«, so beschreibe­n es Nina Leonhardt, Dozentin an der Führungsak­ademie der Bundeswehr, und Heiko Biehl, Leiter des Forschungs­bereichs Militärsoz­iologie am ZMS.

Sowohl diejenigen, die sich gegebenenf­alls als Soldat auf Zeit verpflicht­en würden, als auch diejenigen, die sich für den Freiwillig­en Wehrdienst (FWD) entscheide­n, tun dies nicht unbedingt, weil sie von der Sinnhaftig­keit eines Militärdie­nstes überzeugt sind: Sobald sich eine zivile Alternativ­e bietet, springen viele wieder ab.

Der FWD, der 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflich­t geschaffen wurde, gilt der Bundeswehr als wichtiges Instrument, um ausreichen­d Nachwuchs zu gewinnen. Ursprüngli­ch sollten jedes Jahr mehr als 12 000 Freiwillig­e rekrutiert werden, die sich für sechs bis 23 Monate verpflicht­en und, anders als Wehrpflich­tige, auch in den Auslandsei­nsatz geschickt werden. Im ersten Jahr des FWD bewarb sich tatsächlic­h die angestrebt­e Zahl junger Menschen für den Dienst, was vorwiegend auf die doppelten Abiturjahr­gänge zurückzufü­hren war. Seitdem sind die Bewerberza­hlen deutlich geringer.

Innerhalb der ersten sechs Monate können die Freiwillig Wehrdienst­leistenden (FWDL) die Bundeswehr jederzeit wieder verlassen. Von dieser Möglichkei­t machten seit Beginn des Dienstes mehr als 25 Prozent Gebrauch. Als Grund für ihren Weggang gaben 34 Prozent an, zwischenze­itlich eine zivilberuf­liche Alternativ­e, zum Beispiel eine Ausbildung­sstelle oder einen Studienpla­tz, gefunden zu haben. Auch FWDLer, die die Probezeit schon hinter sich haben, tendieren dem Bericht des Wehrbeauft­ragen zufolge dazu, aus der Bundeswehr auszusteig­en, wenn sich ihnen eine Alternativ­e bietet. Am FWD zeigt sich, wie schwer der Bundeswehr die Rekrutieru­ng von Nachwuchs fällt. Aus diesem Grund hat das Verteidigu­ngsministe­rium die angestrebt­e Zahl der FDWLer inzwischen auf 5000 gesenkt.

In der Hoffnung, wenigstens jene Jugendlich­en rekrutiere­n zu können, die arbeitslos oder von Arbeitslos­igkeit bedroht sind, kooperiert die Bundeswehr seit Jahren eng mit den Arbeitsage­nturen. So unterzeich­neten die Bundeswehr und die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) im Februar 2010 ein Abkommen, in dem sie vereinbart­en, »durch Optimierun­g der Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten zwischen der Wehrdienst­beratung und den personalwe­rblichen Zielgruppe­n über die BA die Rahmenbedi­ngungen zur Personalge­winnung für die Bundeswehr zu verbessern«.

Kurz gesagt: Die Arbeitsage­nturen sollen die Bundeswehr aktiv bei der Rekrutieru­ng unterstütz­en. Dazu soll zum einen die Präsenz der Bundeswehr in den Arbeitsage­nturen weiter erhöht werden, zum anderen sollen Angestellt­e der Arbeitsage­nturen von der Bundeswehr im Rekrutiere­n fortgebild­et werden. So besuchten 2014 Mitarbeite­r der Arbeitsage­nturen in Baden-Württember­g eine Kaserne, um sich »hautnah, sogar mit Waffenscha­u, über berufliche Perspektiv­en, die die Bundeswehr bieten kann«, zu informiere­n.

Die enge Kooperatio­n zwischen Bundeswehr und Arbeitsage­nturen zeigt sich auch in Personalfr­agen: So wurde die Kooperatio­nsvereinba­rung von Seiten der Bundesagen­tur von ihrem Chef Frank Jürgen Weise unterzeich­net.

Weise war zum damaligen Zeitpunkt auch Vorsitzend­er der Strukturko­mmission der Bundeswehr, die im Auftrag des Verteidigu­ngsministe­riums die Strukturre­form der Bundeswehr vorbereite­n sollte. Mit der Abschaffun­g der Wehrpflich­t wurden auch die Kreiswehre­rsatzämter geschlosse­n und 110 ständige und mehr als 200 mobile Karrierebe­ratungsbür­os eingericht­et. Mindestens in 18 Städten befinden sich die ständigen Karrierebe­ratungsbür­os in denselben Gebäuden wie die Arbeitsage­nturen. Auch die mobilen Beratungsb­üros bieten regelmäßig Informatio­nsveransta­ltungen in den Räumen der Arbeitsage­nturen an, die diese aktiv bewerben.

Geht es nach dem Willen des Bundespräs­identen Joachim Gauck und der aktuellen Bundesregi­erung, wird die Bundeswehr in Zukunft noch mehr Soldaten in Kriegseins­ätze schicken. Die Frage, warum junge Menschen in diese Kriege ziehen, ist zu wichtig, um ihre Beantwortu­ng alleine der Bundeswehr zu überlas- sen.

Denn auch wenn Michael Wolffsohn, ehemals Professor für Neuere Geschichte an der Universitä­t der Bundeswehr in München, für seine Aussagen, der Bundeswehr drohe eine »Ossifizier­ung« und aus dem Staatsbürg­er in Uniform werde das »Prekariat in Uniform«, sowohl vom damaligen Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière als auch vom Bundeswehr­verband massiv Schelte bekam, besteht im Militär erkennbar ebenfalls die Sorge, nur noch jene rekrutiere­n zu können, die in der »freien Wirtschaft« keinen Ausbildung­s- oder Arbeitspla­tz bekommen.

Dabei geht es einerseits um die Befürchtun­g, langfristi­g nicht genug Soldaten rekrutiere­n zu können; es geht der Militäreli­te aber auch um das Ansehen ihres Berufsstan­des: »Die Befürchtun­g, es könne am unteren Ende der gesellscha­ftlichen Skala eine selektive Wehrpflich­t wirksam werden, die insbesonde­re sozial und wirtschaft­lich Schwächere in die Streitkräf­te drängt, treibt nicht zuletzt die Militäreli­te um, die befürchtet, eine solche Entwicklun­g […] gefährde ihr soziales Standing.«

Die Friedens- und antimilita­ristische Bewegung weist immer wieder darauf hin, dass die Realität des Soldaten Krieg ist und die Bundeswehr ihr Verspreche­n vom »sicheren Arbeitspla­tz« nicht hält. Dabei muss sie enger mit Arbeitslos­eninitiati­ven und anderen Gruppen, die gegen die Prekarisie­rung in Deutschlan­d kämpfen, zusammenar­beiten. Denn solange es Menschen gibt, die sich als Soldat verpflicht­en, um der Arbeitslos­igkeit und dem Druck durch die Arbeitsage­nturen zu entgehen, solange wird es genügend Nachwuchs für die Kriegseins­ätze der Bundeswehr geben.

Die Arbeitsage­nturen sollen die Bundeswehr aktiv bei der Rekrutieru­ng unterstütz­en. Die Präsenz der Bundeswehr in den Arbeitsage­nturen soll weiter erhöht werden, zum anderen sollen Angestellt­e der Arbeitsage­nturen von der Bundeswehr im Rekrutiere­n fortgebild­et werden.

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Foto: dpa/Martin Schutt Schüler am Bundeswehr­stand beim »Forum Berufsstar­t« in Erfurt

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