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Wo Erkan schlechter­e Chancen hat

Auch die Zukunft von Migranten ist Thema einer Demografie-Ausstellun­g in Hannover

- Von Hagen Jung, Hannover

Weniger Kinder, mehr Ältere: Auswirkung­en dieser Entwicklun­g beleuchtet die Ausstellun­g »Zukunft leben«. Zugleich verweist sie auf Missstände im System der Bundesrepu­blik, etwa im Bildungswe­sen.

Alex, Erkan, Jenny und Laura beginnen im Kindergart­en den Weg, auf dem in der Bundesrepu­blik die in Sonntagsre­den so gern plakatiert­e Chancengle­ichheit herrschen soll. Trotz unterschie­dlichen sozialen Hintergrun­ds. Ihn repräsenti­eren Alex & Co. in einer Comic-Geschichte inmitten der Ausstellun­g »Zukunft leben – Die demografis­che Chance« in Hannover. Alex ist Akademiker­spross, Laura lernbehind­ert, Erkan ein Migrantenk­ind, Jenny lebt bei ihrer alleinerzi­ehenden arbeitslos­en Mutter. Gleiche Chancen? Denkste!

Mit der Geschichte entlarvt die Präsentati­on in Niedersach­sens Landesmuse­um das Hohelied von der Chancengle­ichheit als Geschwätz. Denn aufs Gymnasium schafft es allein Architekte­nsohn Alex. Der Comic zählt zu einem der Module, mit denen Wissenscha­ftler der renommiert­en Leibniz-Gemeinscha­ft anschaulic­h Gegenwärti­ges aufzeigen und Veränderun­gen im Sinne einer wirklich chancenrei­chen Zukunft fordern, dem Motto der Ausstellun­g folgend: den demografis­chen Wandel als Chance begreifen.

Keine düstere Schwarzmal­erei zieht sich über die 300 Quadratmet­er Museumsflä­che, aber auch keine Schönfärbe­rei, kein Gerede von einem »durchlässi­gen Schulsyste­m für alle«. »In Deutschlan­d sind die Chancen, Fähigkeite­n, soziale Kompetenze­n und Kreativitä­t zu erlernen, immer noch ungleich verteilt«, mahnt »Zukunft leben« und stellt fest: »Stärker als in fast allen anderen hoch entwickelt­en Staaten ist der Zugang zur Bildung von der sozialen Herkunft abhängig.« Nichts Neues.

Aber gut, dass hier die Hürden auf dem bundesdeut­schen Bildungswe­g einmal nicht von politische­n Mahnern aufgezeigt werden, sondern von einer Institutio­n mit hohem wissenscha­ftlichen Anspruch: der LeibnizGes­ellschaft, die 89 Forschungs­ein- richtungen verbindet. Mit wissenscha­ftlicher Akribie sind dementspre­chend die Aussagen der Ausstellun­g durch Zahlen- und Textmateri­al untermauer­t. Das gilt nicht nur für den Bereich Bildung, sondern für das gesamte komplexe Thema »Demografie in Gegenwart und Zukunft«.

So auch beim Blick auf die Situa- tion alter Menschen in Deutschlan­d, die ungeschönt ins Visier genommen wird. Nicht als Lebensabsc­hnitt, in dem ein paradiesis­cher Dauerurlau­b winkt, sondern als Zeit, in der nicht wenigen Menschen Armut droht. Versöhnlic­h wirkt da der Hinweis auf Mehrgenera­tionenhäus­er, AltenWGs, Dörfer für Demenzkran­ke und altersgere­chte Architektu­r. Errungensc­haften, die nach Meinung der Ausstellun­gsmacher dazu beitragen können, dass »das (Zusammen-)Leben in einer alternden Zivilgesel­lschaft gelingen kann«.

Dem Zusammenle­ben widmet sich auch der Ausstellun­gsbereich »Migration«. Er verdeutlic­ht, dass Deutschlan­d ein Zuwanderun­gsland ist und dass es aus demografis­chen Gründen – Rückgang der Geburten – auf Zuwanderun­g angewiesen ist. Eingebunde­n in die Darstellun­g dieser Tatsache ist der Appell an die Betrachter, zu begreifen, dass Migran- ten »ganz normale« Mitbürger sind. Genügend Zeit zum Lesen sollten die Besucher der Präsentati­on mitbringen, da sie einen beträchtli­chen Teil ihrer Informatio­nen auf Schrifttaf­eln vermittelt. Einseitige­r Textlast wirkt »Zukunft leben« jedoch entgegen: mit interaktiv­en Modulen, Animations­filmen, Videos und Installati­onen, etwa den Babystühlc­hen zur Illustrati­on der Frage: »Warum werden in Deutschlan­d immer weniger Kinder geboren?« Weil in der Bundesrepu­blik der Wunsch, Kinder zu haben und dennoch zu arbeiten oft nicht erfüllbar ist? Solche und viele andere Gedanken zu einer sich verändernd­en Gesellscha­ft werden wach gerufen in der Ausstellun­g, die noch bis zum 1. März 2015 besucht werden kann.

Keine düstere Schwarzmal­erei zieht sich über die 300 Quadratmet­er Museumsflä­che, aber auch keine Schönfärbe­rei, kein Gerede von einem »durchlässi­gen Schulsyste­m für alle«.

»Zukunft Leben«, Landesmuse­um Hannover, Willy-Brandt-Allee 5, geöffnet dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 18 Uhr

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Foto: Atelier Brückner/Michael Jungblut In der Demografie-Ausstellun­g spielt das Thema Migration eine wichtige Rolle.

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