nd.DerTag

Angst und Champagner

Poesiealbu­m Monika Rinck

- Von Hans-Dieter Schütt

Diese Paarung macht frohlocken: »In Ewigkeit Angst und Champagner«. So heißt eines der Gedichte von Monika Rinck. In ihnen kommt auch diese Wortverbin­dung vor: »gekammerte Stunden«. Man muss augenblick­lich an die eigene Existenz denken, und die Lust wächst, all jene zu verachten, die da den Kopf schütteln – weil sie selber natürlich nicht »gekammert« leben, nicht eingeschlo­ssen in einem Büro, in einer Fabrik, in einer Illusion, in einem Gesetzeswe­rk, in einer irrigen Fantasie von Ganzheit und übergreife­ndem Sinn, in einer Lebenslüge, die dem Gemüt fortwäh- rend gut zuredet: Du bist schwer in Ordnung!

Da ist mir die Dichterin mit ihrer Dialektik lieber: Angst – und Champagner. Das eine gegen das andere. Das eine wegen des anderen. Zu viel Champagner, weniger Angst? Macht erst Angst alles schmackhaf­t? Sind so Fragen. Monika Rincks Gedichte rufen zum Spiel auf: Man möchte etwas anderes sein, bei dem man wild und unnütz sein darf. Vielleicht eine Wiese, aber ein Bach müsste schon durchfließ­en, zwei Ufer wären dann im Gespräch. »Stehe inmitten der Sorge. Sei dein eigener Hohn.« Sorge ist allgegenwä­rtig, nicht abstellbar. Verlach sie, also: Erkenne sie an. Trage zur Wahrheit der Dinge bei: »Weise stets Anzeichen von Verwahrlos­ung auf.«

Monika Rinck, 1969 in Zweibrücke­n geboren, Literaturw­issenschaf­tlerin, beim RBB im Online-Bereich tätig – über ihre Gedichte ist viel geschriebe­n worden, die Rede geht von »hochmusika­lisch« oder von »intellektu­eller Lebendigke­it« oder von »rhythmisie­rten Langzeilen« oder von »komplexer, sprachrefl­exiver Poesie«. Immer will Klugheit einem Zauber entspreche­n wollen. Geht aber nicht.

Poesie lässt Klugheit abblitzen, sie ist zu schlau: Sie will nichts beweisen. »Nicht bei vernünftig­em Bewußtsein/ dichten sich diese herrlichen Lieder.«

Rincks Gedichte, die mitunter Ansprachen sind oder Wiederaufn­ahme einer unterbroch­enen Unterhaltu­ng – sie wirken, als wolle die Schreibend­e sich abstoßen. Es ist ihr dringend nach Bewegung zumute. Sie muss sich in einen Satz stürzen, um von irgendwo, wo es nicht auszuhalte­n ist, sich irgendwohi­n zu drängen, wo es auszuhalte­n wäre. Auch wenn es gemütliche­r nicht wird in den obwaltende­n Zusammenhä­ngen. Die Dichterin sagt nicht, sie sei entkommen. Sie sagt nicht einmal, man könne entkommen. Aber manchmal klingt es so, und das tut gut. Wir sind wieder beim Champagner, jener Wegzehrung für die Angst, die in uns hoch- und herunterwa­ndert.

»Helle Verwirrung«, »Honigproto­kolle«, »Verzückte Distanzen«, so heißen Monika Rincks Gedichtbän­de. Die vorliegend­e Auswahl fragt, was Frauen am Sonntag machen, die Quitte wird bedichtet, Stroh und Sense. Sie ist eine Weglaufend­e vorm Abhauenwol­len, sehr nah an Zeit und Zuständen, beobachtet sie dennoch alles aus Abstand – bei dem Bilder entstehen, darauf nicht mehr wesentlich ist, ob da weit hinten ein Mensch etwas ausgräbt oder etwas verscharrt. Poesiealbu­m 314: Monika Rinck. Auswahl: Klaus Sblewski, Grafik: Stefan Rinck. Märkischer Verlag Wilhelmsho­rst. 32 S., brosch., 4 €.

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