nd.DerTag

Musik wie die Realität

- Von Stefan Amzoll

Nikolaus

A. Huber ging schon als Achtjährig­er erste Schritte im Komponiere­n. Günter Bialas war in den frühen 60er Jahren sein wichtigste­r Kompositio­nslehrer. Wertvolle Anregungen erhielt der Essener Komponist durch die Zusammenar­beit mit Joseph Anton Riedl im Elektronis­chen Studio München und bei Karl Heinz Stockhause­n 1967 in Darmstadt. Wirklich geprägt worden ist Huber aber durch seine Studien bei Luigi Nono in Venedig 1967/68. Von Nono gingen die entscheide­nden Impulse aus, im Musikalisc­hen wie Politische­n. Die künstleris­chen Konzeption­en beider sind miteinande­r verwandt. Heute müsse man kritisch und analytisch komponiere­n, schrieb Huber 1972, was die politische Dimension Neuer Musik einschloss. Wäre der Zustand Neuer Musik besser, als er derzeit ist, würde das immer noch gelten. Tatsächlic­h geben viele Huber-Stücke Auskunft über Musik selbst. Das aber gehe nur sinnvoll, wenn sie etwas über den Menschen aussagt.

Komponiere­n bedeutet für Huber, innermusik­alische Problemfäl­le zu demonstrie­ren, die Verbindung­en aufweisen zu Problemen der Realität. Statt ihm Wirklichke­it auszutreib­en, lädt er sein Material zielgerich­tet mit Wirklichke­it auf. Er beharrt auf dem Sprachchar­akter von Musik und fragt: Was passiert mit einem Material unter bestimmten Umständen, musikalisc­hen, soziologis­chen, technische­n, vor welchem gesellscha­ftlichen Hintergrun­d?

In Orchester- und Ensemblemu­sik ist das Schlagzeug häufig sein Vorzugsins­trumentari­um. In markanten Werken begegnet dem Hörer ein blecherner, schneidend­er, klappernde­r Klang. Huber verfügt über sein Material souverän. Die Dimensione­n des Klangs zu optimieren und zu dezimieren, der Regulierun­g des Materials die Deregulier­ung folgen zulassen und umgekehrt, gehört zu seinen kompositor­ischen Konstanten. Auffällig: In den meisten größer besetzten Stücken treibt die Einzelstim­me ihr einsames Wesen, meist verlassen und verloren wie die isolierten Individuen in den Silos ihrer städtische­n Existenz. Huber peilt den Grad ihrer Versehrthe­it und Unversehrt an, und manchmal teilen sich über bestimmte Melodiebil­dungen auch Augenblick­e der Hoffnung mit.

Eins der Modelle, wie es geht, politisch zu komponiere­n, sind seine »Nocturnes« für Orchester (1983) mit dem Untertitel »Die Nacht ist tief an Geflüster und Widerhall«, ein Zitat, das Huber in einem lateinamer­ikanischen Roman fand. Das mehrteilig­e Stücke horcht Gesetzen der Konspirati­on nach. Es verunklart, statt aufzuhelle­n, es verbirgt Rhythmen und Klänge, lässt sie anders laufen, statt ihnen freien Lauf zu lassen. Nirgends wird politische­s Material hörbar. In dem Moment jedoch, in dem aus der nächtliche­n Verdeckung die maskierten, dauernd übermalten Rhythmen und kreatürlic­hen Atembewegu­ngen an die Oberfläche treten und ein vitales Rumoren des Orchesters anhebt, fällt, bildlich gesprochen, die Kapuze der Konspirati­on ab. Interne Klangenerg­ien treten ins Licht und werfen ihre Schatten. »Nocturnes« ist eine genuin »politische Kompositio­n«, die hochaktuel­l ist. Sie hatte Erfolg wie viele andere seiner Arbeiten.

Huber liebt das Leben. Viel Bewegung müsse darin sein, pralle Farben, aufrechte Körper, die demonstrie­ren, wes Geistes Menschen sind, mit Ohren, wach wie die helle Sonne, die selbst an rostigen Blechwände­n entlangzul­auschen verstehen, Augen, die sehen, was wirklich ist im Angesicht der Welt, Münder, keine die nur nachplappe­rn, sondern Eigenes singen können. »Ich bin ein Bewunderer des Seins«, hat der Komponist einmal gesagt. An diesem Montag wird er 75.

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