Musik wie die Realität
Nikolaus
A. Huber ging schon als Achtjähriger erste Schritte im Komponieren. Günter Bialas war in den frühen 60er Jahren sein wichtigster Kompositionslehrer. Wertvolle Anregungen erhielt der Essener Komponist durch die Zusammenarbeit mit Joseph Anton Riedl im Elektronischen Studio München und bei Karl Heinz Stockhausen 1967 in Darmstadt. Wirklich geprägt worden ist Huber aber durch seine Studien bei Luigi Nono in Venedig 1967/68. Von Nono gingen die entscheidenden Impulse aus, im Musikalischen wie Politischen. Die künstlerischen Konzeptionen beider sind miteinander verwandt. Heute müsse man kritisch und analytisch komponieren, schrieb Huber 1972, was die politische Dimension Neuer Musik einschloss. Wäre der Zustand Neuer Musik besser, als er derzeit ist, würde das immer noch gelten. Tatsächlich geben viele Huber-Stücke Auskunft über Musik selbst. Das aber gehe nur sinnvoll, wenn sie etwas über den Menschen aussagt.
Komponieren bedeutet für Huber, innermusikalische Problemfälle zu demonstrieren, die Verbindungen aufweisen zu Problemen der Realität. Statt ihm Wirklichkeit auszutreiben, lädt er sein Material zielgerichtet mit Wirklichkeit auf. Er beharrt auf dem Sprachcharakter von Musik und fragt: Was passiert mit einem Material unter bestimmten Umständen, musikalischen, soziologischen, technischen, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund?
In Orchester- und Ensemblemusik ist das Schlagzeug häufig sein Vorzugsinstrumentarium. In markanten Werken begegnet dem Hörer ein blecherner, schneidender, klappernder Klang. Huber verfügt über sein Material souverän. Die Dimensionen des Klangs zu optimieren und zu dezimieren, der Regulierung des Materials die Deregulierung folgen zulassen und umgekehrt, gehört zu seinen kompositorischen Konstanten. Auffällig: In den meisten größer besetzten Stücken treibt die Einzelstimme ihr einsames Wesen, meist verlassen und verloren wie die isolierten Individuen in den Silos ihrer städtischen Existenz. Huber peilt den Grad ihrer Versehrtheit und Unversehrt an, und manchmal teilen sich über bestimmte Melodiebildungen auch Augenblicke der Hoffnung mit.
Eins der Modelle, wie es geht, politisch zu komponieren, sind seine »Nocturnes« für Orchester (1983) mit dem Untertitel »Die Nacht ist tief an Geflüster und Widerhall«, ein Zitat, das Huber in einem lateinamerikanischen Roman fand. Das mehrteilige Stücke horcht Gesetzen der Konspiration nach. Es verunklart, statt aufzuhellen, es verbirgt Rhythmen und Klänge, lässt sie anders laufen, statt ihnen freien Lauf zu lassen. Nirgends wird politisches Material hörbar. In dem Moment jedoch, in dem aus der nächtlichen Verdeckung die maskierten, dauernd übermalten Rhythmen und kreatürlichen Atembewegungen an die Oberfläche treten und ein vitales Rumoren des Orchesters anhebt, fällt, bildlich gesprochen, die Kapuze der Konspiration ab. Interne Klangenergien treten ins Licht und werfen ihre Schatten. »Nocturnes« ist eine genuin »politische Komposition«, die hochaktuell ist. Sie hatte Erfolg wie viele andere seiner Arbeiten.
Huber liebt das Leben. Viel Bewegung müsse darin sein, pralle Farben, aufrechte Körper, die demonstrieren, wes Geistes Menschen sind, mit Ohren, wach wie die helle Sonne, die selbst an rostigen Blechwänden entlangzulauschen verstehen, Augen, die sehen, was wirklich ist im Angesicht der Welt, Münder, keine die nur nachplappern, sondern Eigenes singen können. »Ich bin ein Bewunderer des Seins«, hat der Komponist einmal gesagt. An diesem Montag wird er 75.