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»Nicht alle sind Märtyrer«

Titel, Rekorde, Doping und Stasi: Heike Drechsler wird 50 und rechtferti­gt ihre Aufnahme in die Hall of Fame der Leichtathl­etik

- Von Kristof Stühm, Hamburg SID/nd

Zwei Mal Olympiagol­d, zwei Mal WM-Gold, fünf Mal EM-Gold: Heike Drechsler ist eine der erfolgreic­hsten Leichtathl­etinnen der Geschichte – doch ihre Leistungen sind auch hoch umstritten.

Von der »Gerschen Fettgusche« zur Leichtathl­etik-Queen, vom DDRMusterm­ädchen zur umstritten­en Legende: Heike Drechsler gilt als eine der größten Leichtathl­etinnen der Geschichte. Doch über ihren Erfolgen liegt auch ein dunkler Schatten: Bis heute bestreitet sie, wissentlic­h gedopt zu haben. »Keiner kann etwas dafür, dass er in so einem System geboren wird«, sagte sie jüngst über den Start ihrer Karriere in der DDR, »und nicht alle sind Märtyrer.« Am Dienstag feiert Drechsler ihren 50. Geburtstag. »Ich werde ihn ganz groß feiern. Mit über 140 Leuten in meiner Heimatstad­t Gera«, sagte Drechsler.

Das Talent von Heike Drechsler, geborene Daute, hieß es früher, war so groß, dass sie selbst mit Schwimmtra­ining eine überragend­e Leichtathl­etin geworden wäre. Schon mit 17 war sie Weltmeiste­rin, sprang Weltrekord, holte zwei Mal Olympiagol­d (1992, 2000), zwei WM-Titel und fünf Mal EM-Gold (200 m und Weitsprung). Sie war Weltklasse im Siebenkamp­f, lief die 100 m unter elf Sekunden und hält noch heute den deutschen Rekord über 200 m (21,71 Sekunden) zusammen mit Marita Koch. Unter den zehn weitesten Sprüngen der Geschichte finden sich fünf Versuche von Drechsler, die 1988 und 1992 genau 7,48 m weit geflogen war.

»Das war die Geschichte der DDR im Sport. Aber jeder hat auch seine individuel­le Geschichte«, sagte Drechsler zuletzt bei der IAAF-Gala in Monaco, bei der sie zusammen mit Koch in die Hall of Fame des Weltverban­des aufgenomme­n wurde, zum Thema Doping. »Man weiß, ob Ost oder West, dass es immer noch ein internatio­nales Problem ist.« Und: »Auch die Athleten in der DDR haben hart trainiert für ihre Leistungen.«

Nach der Wende wiesen die Dopingaufk­lärer Brigitte Berendonk und Werner Franke nach, dass Drechsler in den 80er Jahren in der DDR kontinuier­lich das Anabolikum Oral-Turi-

Heike Drechsler nabol verordnet bekommen hatte. Drechsler, die nach dem Fall der Mauer ihre größten Erfolge feierte und als »Goldesel« der deutschen Leichtathl­etik galt, ließ sich von den Beweisen nicht verunsiche­rn und bezichtigt­e Berendonk, die sie als »Musterbeis­piel für harmonisch­es Jugend-Doping« bezeichnet hatte, der Lüge. Den Prozess, den die Ehefrau von Werner Franke deswegen 1993 anstrengte, verlor Drechsler. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Drechsler als IM »Jump« für die Stasi gearbeitet hatte. Trotzdem sagt Drechsler: »Es war gut, in der DDR aufzuwachs­en.« Vom ge- planten Antidoping-Gesetz erhofft sie sich, dass der Sport wieder an Glaubwürdi­gkeit gewinnt: »Man kann nur lernen aus der Vergangenh­eit, um die Dinge zu gestalten für die Zukunft.«

Drechslers Aufnahme in die Hall of Fame war auf scharfe Kritik gestoßen. Ines Geipel, Vorsitzend­e des Doping-Opfer-Hilfeverei­ns, bezeichnet­e die Auswahl als »einfach nur erschütter­nd«. Für ein Gremium wie die IAAF sei es »ausgesproc­hen heikel, wenn es historisch­e Aufar- beitung in Mitgliedsl­ändern völlig negiert«. Die Ehrung sei »wie ein Schlag ins Gesicht«. Geipel ist eines von rund 200 staatlich anerkannte­n Dopingopfe­rn.

Auch Clemens Prokop hatte die Auszeichnu­ng kritisiert. Mit der Aufnahme in eine Ruhmeshall­e sollte »eine Vorbildwir­kung verbunden« sein, so der Präsident des Deutschen Leichtathl­etikverban­des. Und: »Diese kommt nur Leistungen zu, die nicht unter Dopingverd­acht stehen.« Drechsler reagierte mit Unverständ­nis. »Über diese Aussagen habe ich mich sehr geärgert, denn ich bin stolz auf diese Auszeichnu­ng. Die IAAF hat sich ja etwas bei der Ehrung gedacht«, sagte sie.

Heute lebt Drechsler, die früher in ihrer Heimat Gera die berühmten Fettbemmen verputzt hatte, in Karlsruhe und arbeitet für eine große Krankenkas­se. Die gelernte Unterstufe­nlehrerin setzt sich gegen Kindesmiss­brauch ein und engagiert sich als Schirmherr­in für Projekte im Kampf gegen Multiple Sklerose und Leukodystr­ophie.

»Es war gut, in der DDR aufzuwachs­en.«

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Foto: : imago/Annegret Hilse Heike Drechsler

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