»Nicht alle sind Märtyrer«
Titel, Rekorde, Doping und Stasi: Heike Drechsler wird 50 und rechtfertigt ihre Aufnahme in die Hall of Fame der Leichtathletik
Zwei Mal Olympiagold, zwei Mal WM-Gold, fünf Mal EM-Gold: Heike Drechsler ist eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen der Geschichte – doch ihre Leistungen sind auch hoch umstritten.
Von der »Gerschen Fettgusche« zur Leichtathletik-Queen, vom DDRMustermädchen zur umstrittenen Legende: Heike Drechsler gilt als eine der größten Leichtathletinnen der Geschichte. Doch über ihren Erfolgen liegt auch ein dunkler Schatten: Bis heute bestreitet sie, wissentlich gedopt zu haben. »Keiner kann etwas dafür, dass er in so einem System geboren wird«, sagte sie jüngst über den Start ihrer Karriere in der DDR, »und nicht alle sind Märtyrer.« Am Dienstag feiert Drechsler ihren 50. Geburtstag. »Ich werde ihn ganz groß feiern. Mit über 140 Leuten in meiner Heimatstadt Gera«, sagte Drechsler.
Das Talent von Heike Drechsler, geborene Daute, hieß es früher, war so groß, dass sie selbst mit Schwimmtraining eine überragende Leichtathletin geworden wäre. Schon mit 17 war sie Weltmeisterin, sprang Weltrekord, holte zwei Mal Olympiagold (1992, 2000), zwei WM-Titel und fünf Mal EM-Gold (200 m und Weitsprung). Sie war Weltklasse im Siebenkampf, lief die 100 m unter elf Sekunden und hält noch heute den deutschen Rekord über 200 m (21,71 Sekunden) zusammen mit Marita Koch. Unter den zehn weitesten Sprüngen der Geschichte finden sich fünf Versuche von Drechsler, die 1988 und 1992 genau 7,48 m weit geflogen war.
»Das war die Geschichte der DDR im Sport. Aber jeder hat auch seine individuelle Geschichte«, sagte Drechsler zuletzt bei der IAAF-Gala in Monaco, bei der sie zusammen mit Koch in die Hall of Fame des Weltverbandes aufgenommen wurde, zum Thema Doping. »Man weiß, ob Ost oder West, dass es immer noch ein internationales Problem ist.« Und: »Auch die Athleten in der DDR haben hart trainiert für ihre Leistungen.«
Nach der Wende wiesen die Dopingaufklärer Brigitte Berendonk und Werner Franke nach, dass Drechsler in den 80er Jahren in der DDR kontinuierlich das Anabolikum Oral-Turi-
Heike Drechsler nabol verordnet bekommen hatte. Drechsler, die nach dem Fall der Mauer ihre größten Erfolge feierte und als »Goldesel« der deutschen Leichtathletik galt, ließ sich von den Beweisen nicht verunsichern und bezichtigte Berendonk, die sie als »Musterbeispiel für harmonisches Jugend-Doping« bezeichnet hatte, der Lüge. Den Prozess, den die Ehefrau von Werner Franke deswegen 1993 anstrengte, verlor Drechsler. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Drechsler als IM »Jump« für die Stasi gearbeitet hatte. Trotzdem sagt Drechsler: »Es war gut, in der DDR aufzuwachsen.« Vom ge- planten Antidoping-Gesetz erhofft sie sich, dass der Sport wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt: »Man kann nur lernen aus der Vergangenheit, um die Dinge zu gestalten für die Zukunft.«
Drechslers Aufnahme in die Hall of Fame war auf scharfe Kritik gestoßen. Ines Geipel, Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins, bezeichnete die Auswahl als »einfach nur erschütternd«. Für ein Gremium wie die IAAF sei es »ausgesprochen heikel, wenn es historische Aufar- beitung in Mitgliedsländern völlig negiert«. Die Ehrung sei »wie ein Schlag ins Gesicht«. Geipel ist eines von rund 200 staatlich anerkannten Dopingopfern.
Auch Clemens Prokop hatte die Auszeichnung kritisiert. Mit der Aufnahme in eine Ruhmeshalle sollte »eine Vorbildwirkung verbunden« sein, so der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Und: »Diese kommt nur Leistungen zu, die nicht unter Dopingverdacht stehen.« Drechsler reagierte mit Unverständnis. »Über diese Aussagen habe ich mich sehr geärgert, denn ich bin stolz auf diese Auszeichnung. Die IAAF hat sich ja etwas bei der Ehrung gedacht«, sagte sie.
Heute lebt Drechsler, die früher in ihrer Heimat Gera die berühmten Fettbemmen verputzt hatte, in Karlsruhe und arbeitet für eine große Krankenkasse. Die gelernte Unterstufenlehrerin setzt sich gegen Kindesmissbrauch ein und engagiert sich als Schirmherrin für Projekte im Kampf gegen Multiple Sklerose und Leukodystrophie.
»Es war gut, in der DDR aufzuwachsen.«