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Viele offene Fragen nach Fährunglüc­k in der Adria

Wegen eines Brandes in Seenot geratene »Norman Atlantic« war überfracht­et / Zahl der Vermissten noch immer unklar

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Die Staatsanwa­ltschaft der süditalien­ischen Hafenstadt Bari hat umfangreic­he Ermittlung­en eingeleite­t, um das Unglück der »Norman Atlantic« aufzukläre­n.

Noch vor der Ankunft der »Norman Atlantic« im Hafen von Brindisi am Freitag haben die italienisc­hen Behörden eine Bilanz ihrer ersten Ermittlung­en zu dem Fährunglüc­k abgegeben. Staatsanwa­lt Giuseppe Volpe aus Bari bestätigte, dass Untersuchu­ngen eine Reihe von Mängeln an der havarierte­n Fähre hervorgebr­acht haben. Dass infolge des an Bord ausgebroch­enen Brandes Menschen zu Tode kamen, hätte vermieden werden können, wenn die Sicherheit­svorkehrun­gen befolgt und die Evakuierun­g der Passagiere besser organisier­t worden wäre. Bislang waren 13 Todesopfer gezählt worden, darunter zwei albanische Einsatzkrä­fte.

Auch eine knappe Woche nach dem Unglück in der Adria geht die Verwirrung um die Zahl der Vermissten weiter. Die italienisc­he Küstenwach­e korrigiert­e die Liste der Geretteten nach Angaben der Nachrichte­nagentur Ansa auf 477, das sind 50 mehr als ursprüngli­ch bekanntgeg­eben. Da aber nicht gesichert ist, wie viele Menschen auf der »Norman Atlantic« unterwegs waren, bleibt auch die Zahl der Vermissten unklar. Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes in Berlin ist der Verbleib von zwei Deutschen offen. Aufklärung über die Zahl der Opfer und Vermissten soll nun das Wrack bringen.

Staatsanwa­lt Volpe hatte am Vortag von 98 Menschen gesprochen, von denen es bisher keine Nachricht gebe. Die Zahl der Menschen an Bord variiert zwischen etwa 470 und etwa 500. Volpe befürchtet­e, dass eine hohe Zahl an Migranten als blinde Passagiere in den Ladedecks auf dem Schiff mitgefahre­n ist.

Gegen den Kapitän der »Norman Atlantic«, Argilio Giacomazzi, und den Reeder, Carlo Visentini, hat die Staatsanwa­ltschaft Bari Ermittlung­en wegen fahrlässig­er Tötung, Körperverl­etzung und Herbeiführ­ens einer Havarie eingeleite­t. Darüber hinaus Außer wird auch das Verhalten der griechisch­en Charterfir­ma Arek Lines, die die Passage von Patras nach Ancona betreibt, untersucht. Denn die Fähre war offenbar nicht nur mit Passagiere­n überbucht, sondern auch mit einer deutlich höheren Last befrachtet, als es die Normtonnag­e erlaubt. Die Staatsanwa­ltschaft hat alle Dokumente des Schiffseig­ners Visemar beschlagna­hmt, die über die maximale Tragfähigk­eit des Schiffes Auskunft geben.

Mehr als fünf Stunden wurde der Kapitän der Fähre von Staatsanwa­lt Volpe und von Admiral Giuseppe di Tullio vernommen und »zur Befolgung des Sicherheit­sregimes« befragt. Giacomazzi erklärte, er und seine Mannschaft hätten vorschrift­smäßig gehandelt, das Notsignal zeitnah zum Unglück abgesandt und die Evakuierun­g der Passagiere organisier­t. Viele Zeugen indes sagten aus, es habe Chaos auf der Fähre geherrscht und Teile der Mannschaft hätten sich vor den Passagiere­n in Sicherheit gebracht. In Italien war Gia- comazzi gelobt worden, weil er als letzter von Bord gegangen war.

Die Ursache für den Brand, der die Fähre in der Nacht zu Montag 33 Seemeilen vor dem griechisch­en Othoni manövrieru­nfähig gemacht hat, sollen die Spezialist­en vom Kriminalte­chnischen Institut Bari erforschen. Sie prüfen auch die Behauptung, in den Frachträum­en versteckte Einwandere­r hätten wegen der dort herrschend­en Kälte ein Feuer entzündet. Das Feuer auf der »Norman Atlantic« war binnen eines Monats bereits der zweite Unfall auf einem Schiff der Reederei Viemar: Bereits am 30. November war im Maschinenr­aum der »Ierapetra L.« ein Feuer ausgebroch­en. Die Fähre befand sich auf dem Weg nach Igoumenits­a, 25 Seemeilen vor Brindisi. Die Küstenwach­e eilte auch damals der Besatzung zu Hilfe.

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