Gemeinsamer Markt für Eurasien
Start für ehrgeiziges Projekt Russlands zur Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken
Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) ist seit Beginn des neuen Jahres Realität: ein neues ehrgeiziges Projekt von Nachfolgern der Sowjetunion.
Über 20 Millionen Quadratkilometer, bewohnt von über 183 Millionen Menschen, die zusammen ein Bruttoinlandprodukt von fast vier Billionen US-Dollar erzeugen. Das ist die Eurasische Wirtschaftsunion, die am 1. Januar 2015 offiziell an den Start ging. Sie ist eines der ehrgeizigsten Projekte von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, Ziel die Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken.
Eine solche Absichtserklärung unterzeichneten die Präsidenten der Gründungsmitglieder Russland, Belarus und Kasachstan – bereits 2010. Im gleichen Jahr trat die erste Stufe in Kraft: die Zollunion. Ihr schlossen sich Armenien und Kirgisistan an. Beide traten inzwischen auch den eigentlichen Gründungsverträgen bei, die Putin und seine Amtskollegen Alexander Lukaschenko und Nursultan Nasarbajew im Mai unterzeichneten. Der Beitritt wird, weil das Ratifizierungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, für Mai erwartet.
Auch sonst ist das Tempo beeindruckend. In nur einem Jahrzehnt soll schrittweise ein Gemeinsamer Markt entstehen, auf dem die Regeln der Welthandelsorganisation WTO gelten. Er soll den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften ermöglichen. Bis 2025 wollen die Mitglieder, die sich zu einer einheitlichen Wirtschaftspolitik verpflichten, sogar die Voraussetzungen für eine gemeinsame Finanzpolitik schaffen. Das hat selbst die Europäische Union, deren Frühform – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG – Vorbild war, bis heute nicht geschafft.
Usbekistan und Tadschikistan erwägen daher ebenfalls den Beitritt. Doch selbst dann wäre der Kreis der Mitglieder in etwa der gleiche überschaubare wie bei der Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit – dem Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS.
Das macht aus Sicht von Experten deutlich, wie begrenzt Moskaus Einfluss auf seine früheren Bündnispartner inzwischen ist. Ändern würde sich das Kräfteverhältnis zwischen pro-westlichen und pro-russischen UdSSR-Spaltprodukten, deren Differenzen die GUS seit Jahren paralysieren, erst nach einem Frontwechsel der Ukraine. Putin weiß genau um die Sogwirkung der nach wie vor zweitgrößten Volkswirtschaft im postsowjetischen Raum und versuchte daher nach Kräften, Kiews Assoziierungsabkommen mit der EU zu hintertreiben. Damit scheiterte er.
Wegen gravierender Wirtschaftsprobleme verschlechtern sich auch Russlands Möglichkeiten, unsichere Kantonisten wie etwa die Republik Moldau wieder auf Linie zu trimmen. Zwar will Moskau, um den Bedeutungsverlust zu kompensieren, die Eurasische Union für die Separatistenregime öffnen: für Moldawiens abtrünnige Slawenregion Transnistrien, für Georgiens Abspaltungen Abchasien und Südossetien, für das von Armenien wie von Aserbaidschan beanspruchte Karabach und eventuell für die pro-russischen Volksrepubliken in der Ostukraine.
Doch das würde de facto auf deren Anerkennung hinauslaufen. Die verweigern bisher sogar hochgradig von Russland abhängige Staaten wie Armenien oder Kirgisistan. Ganz zu schweigen von Kasachstan, wo die starke russische Minderheit im Norden das Signal falsch interpretieren könnte. Differenzen mit KasachenPräsident Nasarbajew – neben Putin der konsequenteste »Euroasiate« – hätten für das Bündnis die Wirkung von Dynamit.
Auch ist Russlands Verhältnis zum zweiten Mitgründer derzeit alles andere als harmonisch. Wegen des stark schwankenden Rubel-Kurses bestand Belarus Ende Dezember darauf, im Außenhandel vorübergehend den Dollar als Clearing-Währung zu etablieren.