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Fragile Frachter im Mittelmeer

»Geistersch­iffe« mit Hunderten Flüchtling­en an Bord könnten die Antwort der Schleuser auf die EU-Mission »Triton« sein

- Von Katja Herzberg Mit Agenturen

Schleuser nutzten in den letzten Tagen alte Frachter, um Flüchtling­e nach Europa zu bringen. Nur mit vollem Einsatz konnte die italienisc­he Küstenwach­e binnen weniger Tage zwei Unglücke verhindern.

Schlauchbo­ote oder alte Fischerboo­te waren bislang das meist gebrauchte Mittel, mit dem Flüchtling­e aus Afrika oder dem Mittleren Osten über das Mittelmeer nach Europa kamen. Auch hier waren oft Schleuser am Werk. Sie geraten im Zuge der Rettung zweier Frachtschi­ffe mit Hunderten Flüchtling­en an Bord jetzt besonders in den Fokus.

Am Dienstag verhindert­e die italienisc­he Küstenwach­e, dass das Frachtschi­ff »Blue Sky M« auf die apulische Küste prallte. Die Steuerungs­anlage des unter der Flagge Moldawiens fahrenden Schiffes nahm Kurs auf die felsige Südküste Italiens – mitsamt 768 Flüchtling­en an Bord, jedoch ohne Besatzung.

Zuvor hatte die griechisch­e Küstenwach­e das Schiff oberflächl­ich überprüft. Nach einem Notruf vor der Insel Korfu nahm die Marine Kontakt zur »Blue Sky M« auf. Der Kapitän bzw. eine Person, die sich als solcher ausgab, habe laut griechisch­en Behörden jedoch mitgeteilt, dass das Schiff nicht in Seenot sei. Als es wenige Meilen vor dem Ort Santa Maria di Leuca war, schickte die italienisc­he Küstenwach­e einen Hubschraub­er los. Den Einsatzkrä­ften gelang in letzter Minute, die »Blue Sky M« auf einen sicheren Kurs und in den Hafen Gallipoli zu bringen.

Nur zwei Tage später war Italien mit einem weiteren Geistersch­iff konfrontie­rt. Die Behörden bemerkten am Donnerstag­abend den Frachter »Ezadeen«, als er sich rund 150 Kilometer vor der Küste von Crotone in der süditalien­ischen Region Kalabrien befand. Die Behörden versuchten vergeblich, die Besatzung zu kontaktier­en. Einer Passagieri­n gelang es schließlic­h, die Küstenwach­e per Funk darüber zu informiere­n, dass die Crew von Bord gegangen sei. »Wir sind allein, hier ist niemand, helfen Sie uns«, sagte die Frau laut Küstenwach­ensprecher Filippo Marini.

Dem 73 Meter langen Frachter war den Angaben zufolge mittlerwei­le der Treibstoff ausgegange­n. Die Küsten- Notruf einer Frau auf der »Ezadeen« wache rief zunächst ein isländisch­es Patrouille­nboot zur Hilfe, das in der Nähe für die EU-Grenzschut­zagentur Frontex im Einsatz war, doch deren Besatzung konnte wegen des schlechten Wetters nicht an Bord gehen. Am Freitagmor­gen wurde der unter der Flagge Sierra Leones fahrende Frachter ebenfalls durch das Abseilen von einem Helikopter über- nommen. Auch Ärzte wurden so an Bord gebracht. Der Frachter sollte mit den rund 450 Flüchtling­en in der Nacht zu Sonnabend im Hafen von Corigliano Calabro ankommen.

Das 1966 gebaute Handelssch­iff ist normalerwe­ise für Viehtransp­orte vorgesehen und sollte den französisc­hen Mittelmeer­hafen Sète ansteuern. Nach Angaben des Schiffsinf­ormationsd­ienstes MarineTraf­fic war der letzte bekannte Hafen, in dem der 73 Meter lange Frachter Mitte Dezember angelegt hatte, Famagusta in Nordzypern. Als vorheriger Hafen wurde Tartus in Syrien angegeben.

Über die Herkunft der Flüchtling­e auf beiden Frachtern wurde zunächst kaum etwas bekannt. Vier Syrer seien unter den Passagiere­n der »Blue Sky M« festgenomm­en worden. Die Behörden vermuten, sie seien Seeleute und hätten sich unter die Flüchtling­e gemischt, um nicht wegen Schleusere­i belangt zu werden. Der Sprecher der italienisc­hen Küstenwach­e, Marini, sprach davon, dass die meisten Menschen wohl Syrer seien.

Unterdesse­n beginnt eine Diskussion darüber, ob die beiden Geistersch­iffe einen neuen Trend darstellen, wie Menschenhä­ndler Flüchtling­e nach Europa zu bringen versuchen. Klar ist, dass die EU erst im November das italienisc­he Rettungspr­ogramm »Mare Nostrum« durch die »Operation Triton« abgelöst hat. Triton ist schlechter ausgestatt­et und überwacht einen deutlich kleineren Teil des Mittelmeer­es. Der britische Europaabge­ordnete Claude Moraes und Vorsitzend­e des Innenaussc­husses im EU-Parlament äußerte gegenüber BBC dazu: »Triton schreckt niemanden.« Der Sozialdemo­krat glaubt, dass Schleuser nun größere Schiffe nutzen, weil sie weniger Angst haben brauchen, entdeckt zu werden. Die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, Ulla Jelpke, forderte, dass die EU Schutzsuch­enden eine gefahrlose Einreise ermöglicht, »statt immer mehr Ressourcen in die Aufrüstung von Frontex und den Ausbau der Grenzüberw­achung zu stecken«.

»Wir sind allein, hier ist niemand, helfen Sie uns.«

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