Ohne Foto droht Schikane
Elektronische Gesundheitskarte ist jetzt Pflicht, Nutzen steht noch aus
Mehr als eine Milliarde Euro hat die Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte gekostet. Wer ab jetzt ohne sie einen Arzt konsultiert, wird wie ein Privatpatient behandelt und erhält eine Rechnung.
Beim ersten Arztbesuch im neuen Jahr sollte die Anmeldung am Tresen nur eine Formsache sein. Die meisten Patienten haben schon seit Monaten die elektronische Versicherungskarte in der Brieftasche – die mit dem Foto. Bislang ist das der einzige Unterschied zu den alten Karten. Die sind nun nicht mehr gültig und können auch nicht mehr eingelesen werden – angeblich. Denn seitens »sonstiger Kostenträger«, darunter Feuerwehr, Polizei und diverse andere, gibt es immer noch die alten Karten.
Abgesehen von diesen Behördenmitarbeitern werden es einige wenige gesetzlich Versicherte mit der alten Karte versuchen – und könnten seit dem 1. Januar zusätzliche Wege haben, selbst wenn sie von ihrem Be- handler nicht abgewiesen werden. Sie müssen die neue elektronische Gesundheitskarte (eGK) binnen zehn Tagen vorlegen und bekommen ansonsten – wie Privatpatienten – eine Rechnung, die sie zunächst selbst begleichen müssen. Die Kassen stellen zwischenzeitlich auf Anfrage eine Einzelfallbescheinigung aus, die Voraussetzung für die Erstattung der Privatrechnung ist. Die Kassen erstatten aber nur innerhalb des jeweiligen Quartals – wer sich bis Ende März weder Versicherungsnachweis oder die neue Karte besorgt, bleibt auf seinen Kosten sitzen. Bestellen lässt sich die neue Karte bei den Kassen direkt oder auch online, die Auslieferung sollte nur wenige Tage dauern.
Kompliziert wird es ohne die eGK bei Medikamenten: Dann gibt es nur noch Privatrezepte vom Arzt, in der Apotheke ist der volle Preis ohne Zuzahlung fällig. Richtig schwierig dürfte dann die Rückerstattung werden, weil viele Medikamente seitens der Kassen mit Herstellerrabatten belegt sind, auf das Privatrezept mög- licherweise nicht erstattungsfähige Pillen verkauft werden.
Die größere Gruppe derjenigen, die noch keine Karte haben, dürfte aus Menschen bestehen, die den Umtausch entweder vergessen haben – etwa, weil sie im Ausland leben – oder vom Prozedere schlicht überfordert sind. Hinzu kommt ein kleiner, aber harter Kern von Verweigerern. Die Kassen sprechen von insgesamt höchstens zwei bis drei Prozent ihrer Versicherten ohne neue Karte, in der Regel bleibt der Anteil der Säumigen unter einem Prozent. Das Bündnis »Stoppt die e-Card!« hingegen schätzt die Anzahl der Versicherten ohne das neue Dokument auf fünf Prozent.
Seit zehn Jahren wird am Projekt elektronische Gesundheitskarte gewerkelt, mehr als eine Milliarde Euro wurde investiert. Von der einst lautstarken Gruppe der Gegner, zu denen neben Ärzten auch Datenschützer gehören, war immer weniger zu hören. Dabei bleibt die Kritik an den Möglichkeiten der Karte und den Gefahren für die Datensicherheit bestehen. Der Eindruck erhärtet sich, dass auch die Entwickler und Auftraggeber selbst die Probleme sehen und deshalb vor der Freigabe weiterer Funktionen noch zurückschrecken. In Zukunft soll etwa eine persönliche Kennzahl des Patienten den Zugang zu dezentral gespeicherten Arztbriefen oder Röntgenbildern ermöglichen.
In Aussicht steht noch für Januar ein Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium für ein neues eHealth-Gesetz, das für mehr Tempo bei der Umsetzung sorgen soll. Unabhängig davon müssten Kassen, Ärzteverbände und Apotheken ihre bisherigen Streitpunkte zur eGK beilegen, sind ihre Verbände doch zuständig dafür, dass es mit dem Verfahren vorangeht. Erschwerend kommt hinzu: Gerade erst hat der Spitzenverband der Krankenkassen für das ausführende Unternehmen Gematik eine Haushaltsperre für 2015 verhängt. Auf der anderen Seite sehen Ärzte persönliche Daten der Versicherten gefährdet und fürchten über diese Daten stärkere Kontrollen ihrer Tätigkeit durch die Kassen.