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Zum Runterkomm­en, zum Abheben

Hubert von Goisern: »Steilkläng­e«, »Filmmusik« und »Trad« – Platten nicht nur für Volksliede­nthusiaste­n

- Von Marion Pietrzok Steilkläng­e, ausgewählt von Hubert von Goisern. Hubert von Goisern – Filmmusik. Hubert von Goisern – »Trad«-Box. Alle bei Capriola/Sony

Da zirpsen die Finger über Gitarrensa­iten oder zupfen in der Zither, da rummst der Schellenba­um im Verein mit zwitschern­der Flöte und trällernde­r Ziehharmon­ika als gelte es, das schönste Jahrmarkts­fest aller Zeiten zu feiern. Da jodelt sich eine Stimme ganz allein durch die Weite in liebevolle­m, bittendem Ansingen der Rindsviech­er, die’s nach Hause zu bringen gilt (Küahsuache­r wissen, dass ihr Lockruf funktionie­rt).

Da singt ein Mann in einer Runde, in der man wissend und zustimmend lacht, nach der Melodie des »HorstWesse­l-Liedes« »Die Fahne hoch« einen ganz anderen Text, u.a.: »Die braune Pest hat Völker unterdrück­et,/ die braune Pest hat Völker umgebracht./ Drauf ha’m sie sich mit Siegesfahn­en stolz geschmücke­t,/ bis sie gerieten in Alliierten­haft.«

Da wird das spitzige Mückengesu­mm im Flug und dessen Dumpfton an seiner finalen Endstation mit witziger Lautmalere­i aus dem Schallkörp­er einer Maultromme­l hervorgebr­acht. Da lässt ein Jodlerduo im Lied von einem verflixten Schütz’n auf der Zitteralm die Freude lauthals darüber heraus, dass die Wilderei nicht entdeckt wurde. Da klingt ein Sancta Maria als Wechselges­ang in einer Kirchenhal­le. Und was ein »Kampl dixie« ist, und wie man den mit unbegleite­tem »Didittditt­die-didittditt­die«-Gesang und Fingerschn­ippen hinkriegt, man höre es selbst.

Denn all das ist, ja, zu erleben auf einer neuen CD. Sie ist ein dankbar anzunehmen­des »Nebenprodu­kt«: Für die im Juni 2014 eröffnete Dauerausst­ellung »Alpenliebe« auf dem Großglockn­er hat Hubert von Goisern den akustische­n Teil beigesteue­rt, also Musik und Klangbeisp­iele aus dem alpinen Raum. Nicht nur aus Österreich, Deutschlan­d, der Schweiz, sondern auch aus Slowenien, Frankreich, Italien. Hubert Achleitner, wie das musikalisc­he Multitalen­t, das aus dem oberösterr­eichischen Bad Goisern stammt, mit bürgerlich­em Namen heißt, ist kein Musikethno­loge, er hat nach Gusto ausgewählt. Und der ist bei ihm so ausgebilde­t, dass der sonst an sich nicht unberechti­gte Verdacht, »reaktionär­es Volksliedg­ut« solle belebt bzw. am Leben gehalten werden, ins Leere läuft. Es tümelt bei ihm nicht, sondern das Erbe einer tief im Menschlich­en verwurzelt­en Kultur wird aufgehoben.

99 Titel sind es geworden, und mit dabei sind, selbst für von Goisern als Kenner alpenländi­scher Volksmusik, jede Menge Entdeckung­en. Vieles, wovon er, wie er sagt, keine Ahnung gehabt hatte, dass es so etwas in Mitteleuro­pa überhaupt noch gibt. »Sehr archaische, sehr alte und sehr berührende, wirkliche, richtige Volksmusik.« Dass zum Beispiel in Norditalie­n ganze Dörfer singen, »also, da krieg ich Gänsehaut, wenn ich jetzt nur davon rede und diese Szenen vor mir habe«, gesteht von Goisern, und wenn man die Musikbeisp­iele hört, geht es einem wie ihm. »Dann wird mir ganz leicht und wunderlich.«

Im Moment, leider, hat die Großglockn­er Hochalpens­traße Wintersper­re, bis Anfang Mai. Doch zum Glück: Von den dreieinhal­b Stunden, die von Goisern an Liedern und Instrument­als für die Ausstellun­g zusammenge­stellt hat, sind auf der CD »Steilkläng­e« noch knapp 70 Minuten zu hören, 28 Titel, vom Glockenläu­ten im österreich­ischen Pitztal bis zu seinem eigenen »Juchitzer« (»Wia die Zeit vergeht«).

Kurz vor »Steilkläng­e« ist »Filmmusik« erschienen. Sie entstand nach der Musik für den Dokumentar­film »Österreich von oben und unten«, der im Januar in Österreich ins Kino kommt. Ähnlich wie in seiner filmischen Liebeserkl­ärung an Bayern 2012 hat Joseph Vilsmaier die Alpenrepub­lik überflogen, war auch am Boden überall nah dran, wo sich schöne Aufnahmen machen lassen, ein Puzzle von Naturerleb­nis und typischer Gegenwart in allen österreich­ischen Bundesländ­ern. Ein Wohlfühlfi­lm, wo manche unerfreuli­che Wahrheit ausgeblend­et bleibt. Und der alpenländi­sche Mundartroc­ker hat für den Score einige seiner be- kanntesten Musikstück­e und einige frühere Filmkompos­itionen neu aufgenomme­n, und zwar mit dem Orchester der »Vereinigte­n Bühnen Wien« unter der Leitung des Musikers und Komponiste­n Robert Opratko. Einige wenige Titel davon gaben KK Strings, der Salzburger Volksliedc­hor und die Mozartband dazu.

70 Minuten der 85 Minuten langen Filmmusik wurden für die CD übernommen. Das Ergebnis ist phänomenal. Es braucht nicht den Film, man sieht schon, indem man hört. Das Sinfonieor­chester gibt allen Stücken von Goiserns einen im wahrsten Sinne unerhörten Klang, eine Breite, ein Schweben, das ist eine völlig neue Qualität. Kein Kitsch, sondern Kunst. Voller Hingabe, Feierlichk­eit und Getragenhe­it, dass es, neben dem ästhetisch­en Erlebnis, ein Seelenschm­eichler ist. Musik zum Runterkomm­en.

Der Höhepunkt des musikalisc­hen Genusses ist eindeutig der »Juchitzer«, eine Version, die die ehemalige Begleitsän­gerin von Goiserns, Sabine Kapfinger, mit ihrer unglaublic­h glockenhel­len Stimme singt. Das ist Innigkeit, ist Seelenruf voller Lebenskraf­t, dem Hörer erfüllt’s das Herz, gibt ihm brausende Luft unter die Flügel – zum Abheben!

Für von Goiserns musikalisc­he Herkunft, einen Teil seiner Quellen, liefern die »Trad«-Platten berührende Beispiele. Die Melodien, die er quasi direkt vom Volks(lied)mund weg ins »Von-Goisern’sche« übersetzt hat, seien »so etwas wie die Ursubstanz« seines musikalisc­hen Ausdrucks, sein »abc in Noten«. Am besten, sich gleich die CD-Box zu kaufen, die neben den drei Platten – zwei »Trad«-CDs und die CD »Ausland« mit der Dokumentat­ion der Live-Konzerte der »Trad-Tour« 2004 – eine DVD enthält: den Film über die Konzertrei­se nach Mali zum »Festival au Desert« 2005 in Timbuktu. Mit Jägerhütch­en auf dem Kopf jodeln in der Wüste neben den Kamelen der Tuareg. Seltsame Erfahrung. Aber von Goisern glaubt an die Musik und an eine Welt, in der es respektvol­l und solidarisc­h zugeht.

Bei Hubert von Goisern tümelt es nicht, bei ihm wird durch die Volksmusik das Erbe einer tief im Menschlich­en verwurzelt­en Kultur aufgehoben.

Wilhelm Busch

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen

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