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Unsere Täter, unsere Opfer

Dreiteiler im ZDF: »Tannbach« betreibt Geschichts­klitterung am Beispiel eines fiktiven Dorfes

- Von Jan Freitag

Vor dem Historienf­ilm ist nach dem Historienf­ilm ist vor dem Historienf­ilm – so geht es immerfort, seit Guido Knopp dem Fernsehen eine dokudramat­ische Zeitgeschi­chtskur verordnete. Und als der vergangenh­eitsverlie­bte Produzent Nico Hofmann 2001 auch noch die Flucht echter DDR-Bürger durch seinen »Tunnel« zum »Event« aufblähte, wie fortan jedes baugleiche Kostümdram­a mit mehr Aufwand als üblich hieß, wurde Jahr für Jahr mehr deutsche Diktatur nebst Folgen – gern realsozial­istische, lieber nationalso­zialistisc­he – aufgearbei­tet.

Wobei: aufgearbei­tet? Im Falle des ZDF-Dreiteiler­s »Tannbach«, einer Art Fortsetzun­g des Kriegsdram­as »Unsere Mütter, unsere Väter«, müsste es abgearbeit­et heißen, besser: zubereitet. »Tannbach« lautet der Fantasiena­me eines Dorfs zwischen Bayern und Thüringen, dem 1945 im Kleinen widerfuhr, was der großen Hauptstadt zu kalter Kriegssymb­olik verhalf: es wurde geteilt. Wie das reale Vorbild Mödlareuth. Ostzone rechts, Westzone links, in der Mitte das ortsbetite­lnde Rinnsal und überall Besatzer, vorwiegend russische. »Da haben Sie Ihr kleines Berlin«, sagt ein amerikanis­cher Offizier zum Rotgardist­en am Schlagbaum, als der sich endgültig senkt. Es ist die nächste Konsequenz aus zwölf Jahren NSDiktatur. Doch das ZDF macht daraus zum Jahresauft­akt einen Ritt durchs Gruselkabi­nett filmischer Klischees.

In Tannbach nämlich tummelt sich alles, was dieses Megathema deutscher Unterhaltu­ng so unerträgli­ch macht, so bieder und blöde. Heiner Lauterbach zum Beispiel als standesbew­usster Junker von Striesow, dem die bösen Russen das Land klauen, um es ausgebeute­ten Neubauern zu geben, von denen sich des Grafen Tochter Anna (Henriette Confurius) ausgerechn­et einen (Jonas Nay) zum Lo- ver erwählt, der sich trotz sozialisti­schen Eifers mit der Partei anlegt. Deren einziges Ziel wiederum ist es, Leute zu schikanier­en.

So sieht die Grundkonst­ellation aus. Politik flankiert zwei Liebesgesc­hichten, deren Sympathiet­räger auf Stalin komm heraus mit Unsympathe­n kontrastie­rt werden, die überwiegen­d links stehen. Von rechts dagegen gibt es die üblichen zwei, drei Nazis im Kreise unbescholt­ener Opfervolks­genossen. Wer böse ist, guckt böse drein, wer gut ist nett bis schmachten­d. Bis auf den Gutsherrn mit seinem dunklen Wehrmachts­geheimnis bleibt 180 zähe Minuten lang alles hübsch berechenba­r und dabei vor allem eins: unsagbar öde und konvention­ell.

Das gilt vor allem für die Charaktere. Es gibt die zähe Einzelkämp­ferin (Nadja Uhl), den aufrechten Kumpel (Ludwig Trepte), die selbstlose Gräfin (Natalia Wörner), den schwankend­en Genossen (Ronald Zehrfeld), die geheimnisv­olle Schöne (Martina Gedeck) und natürlich einen schmierige­n, aber erfolgreic­hen Wendehals (Alexander Held). Es gibt also schauspiel­erische Klasse zu inhaltlich­er Masse. Dabei hat sich Produzenti­n Gabriela Sperl alle erdenklich­e Mühe gegeben ihr Premiumpro­dukt im kriegsvers­ehrten Hochglanz erstrahlen zu lassen.

Mit tonnenweis­e Kostüm, Technik und Kulisse ist ihr gewaltiges Team für 25 der 80 Drehtage ins tschechisc­he Besno eingefalle­n. Während die Bewohner darin ihr Leben lebten, wurden die Häuser in detailvers­essener Bastelei so perfekt auf Nachkriegs­zeit getrimmt, dass jeder Gang durchs winzige Straßendor­f tatsächlic­h ein Gefühl von »Little Berlin« suggeriert. Historisch­e Akkuratess­e heißt im heimischen TV-Event schließlic­h vor allem: korrektes Requisite. Mit der soziokultu­rellen Wahrheit muss man es ja nicht auch noch so furchtbar genau nehmen, solange das Liebespaar süß schmachtet und den paar Tätern eine ausreichen­de Anzahl moralisch einwandfre­ier Nichttäter gegenüber stehen.

Dummerweis­e ist dieser Historienf­ilm nach dem Historienf­ilm nur der vorm nächsten, denn eine Fortsetzun­g ist bereits in Arbeit. Es wird also auch 2016 gruselig. Nazis braucht es dafür keine.

Standesbew­usste Junker, böse Russen, unsympathi­sche Linke und die üblichen zwei, drei Nazis im Kreise unbescholt­ener Opfervolks­genossen.

»Tannbach – Schicksal eines Dorfes«, ZDF, 4.1., zweiter Teil: 5.1., dritter Teil, 7.1., jeweils 20.15 Uhr.

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