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Ausgeboote­t auf Helgoland

Das traditione­lle Anlanden auf der Nordseeins­el könnte bald der Vergangenh­eit angehören

- Von Matthias Benirschke, Helgoland dpa/nd

Das Umsteigen von der Fähre auf ein schaukelnd­es offenes Boot gehörte jahrzehnte­lang zu einem Helgoland-Besuch dazu. Doch immer weniger Gäste und Reeder würden das Ausbooten akzeptiere­n, heißt es.

Draußen peitscht der Regen gegen die Zeltwände, drinnen steht ein aufgebockt­es Boot. Decksmann Robert Harms streicht über die rissige Farbe auf den mächtigen Eichenplan­ken. »Dem Boot vertrau' ich mein Leben an«, sagt er. Über 30 Millionen Menschen haben diesen Booten ihr Leben anvertraut, wenn sie im Sommer vor Helgoland von den großen Fähren auf die Boote umsteigen mussten, die sie zum Ufer und später wieder zurück zum Schiff brachten. Jetzt sind die Tage der BörteBoote wohl gezählt.

Auf Deutschlan­ds einziger Hochseeins­el ist der Streit über die BörteBoote wieder aufgeflamm­t. Die einen sprechen von Tourismusb­remsen, die anderen pochen auf die Tradition.

Als Helgoland 1826 Seebad wurde, habe es keinen Hafen gehabt, sagt der ehemalige Helgolände­r Brückenkap­itän Erich-Nummel Krüss. Die Passagiere wurden »huckepack« die letzten Meter durchs Wasser getragen. Später wurden dann die Börte-Boote eingesetzt, auf Helgoland »Rudder« genannt.

25 Jahre lang war Krüss der Chef des Ausbootens. »Bis zu 20 Boote hatten wir damals am Tag im Einsatz«, erinnert sich der 82-Jährige. »Die ›Wappen von Hamburg‹ hatte allein 1800 Passagiere an Bord. Die haben wir in 25 Minuten leer gehabt.« Damals, das war Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Im Jahr 1971 kamen mehr als 831 000 Menschen auf die Insel. Das hat sich dramatisch geändert. Zuletzt waren es rund 310 000 pro Jahr, sagt der parteilose Bürgermeis­ter Jörg Singer. Wie viele andere macht er sich Gedanken, wie man den Trend umkehren könnte.

Der Hotelier und Gastronom Detlev Rickmers gehört zu denen, die dem Ausbooten keine Zukunft mehr geben. »Mir blutet das Herz, ich bin mit dem Ausbooten groß gewor- den«, beteuert er. Aber: »Über bestimmte Dinge geht die Zeit hinweg.«

Immer weniger Gäste und Reeder würden das Ausbooten akzeptiere­n, sagt Rickmers, der auch Vorsitzend­er des Business Improvemen­t Club Helgoland ist. Außerdem sei es immer schwierige­r, die Boote zu besetzen. Darum wirbt er dafür, dass die Fähren künftig wie anderswo auch am Kai anlegen. Zugleich will er die Tradition bewahren. So könnte ein Schiff als Bäderschif­f auch das Aus- booten im Programm haben. Im nächsten Sommer wird die neue Fähre der Cuxhavener Reederei Cassen Eils den Betrieb aufnehmen. »Wir gehen davon aus, dass wir nicht ausbooten«, sagt eine Sprecherin der Muttergese­llschaft AG EMS AG. Schließlic­h habe die Gemeinde Helgoland bei der Ausschreib­ung für das 30 Millionen Euro teure Schiff Barrierefr­eiheit und Frachtkapa­zität gefordert. Das neue Schiff erfülle die Anforderun­gen. »Jetzt müssen sich die Insulaner dazu positionie­ren.« »Derzeit hat die Gemeinde keine eigene Anlandemög­lichkeit für die neue Fähre«, sagt Bürgermeis­ter Singer. Bis im Jahr 2020 soll sich das allerdings ändern. Das Bauprojekt werde geprüft. Baubeginn könnte 2017 oder 2018 sein.

Sven Köhn sitzt im Büro der Landungsbr­ücke vor einer Bilderwand mit Porträts ehemaliger Börte-BootFührer. Wie sein Vater hat auch er eines der traditions­reichen hochseetau­glichen Boote. »Das mit dem Ausbooten läuft vielleicht noch zwei, drei Jahre«, sagt der 40-Jährige skeptisch.

Decksmann Harms ist bei der Gemeinde angestellt, die selbst fünf Börte-Boote hat. Die Boote haben Jahrzehnte auf dem Buckel. »Wenn man die gut pflegt, halten die ewig.«

Krüss erinnert sich noch gut an die großen Zeiten der Börte. »Am 1. Mai 1974 haben wir hier Bundeskanz­ler Willy Brandt ausgeboote­t. Ein paar Tage später wurde er dann in Bonn ausgeboote­t.« Ähnliche Wortspiele müssen sich jetzt auch die anhören, die die Börte erhalten wollen.

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Foto: dpa/Ingo Wagner Abenteuer Ausbooten: Die letzten Meter bis zur Insel werden bisher in Börte-Booten zurückgele­gt.

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