nd.DerTag

Jürgen Kuttner, Gründer der »taz ddr«

Wie im Februar 1990 die erste Ost-West-Tageszeitu­ng entstand – und warum sie ziemlich schnell scheiterte.

- Von Martin Hatzius

Wer mit dem Namen Jürgen Kuttner nichts anfangen kann, interessie­rt sich wahrschein­lich nicht für Theater und hört wohl auch kein Radio. Mit seiner legendären Hörertalks­endung »Sprechfunk«, die ab 1993 im »Rockradio B« und bis 2007 auf »Radio Fritz« lief, verblüffte der unbefangen losberline­rnde Rundfunk-Autodidakt selbst gestandene Profis damit, wie aufregend, klug und lebendig dieses Medium sein kann. 1996 hielt Kuttner dann in der Volksbühne erstmals einen seiner »Videoschni­psel«-Vorträge, die bis heute durch ihre Kombinatio­n aus skurrilen Archivfund­en, deren pfiffig-witziger Zusammenst­ellung und oft politische­r Kommentier­ung bestechen. Seit Jahren inszeniert er zudem an Theatern. Wer diesen Mann gewordenen Geistesbli­tz, der immerzu irgendwo einschlägt, trotzdem nicht kennt, kennt vermutlich zumindest seine Tochter Sarah, die als Fernsehmod­eratorin und Buchautori­n für Aufsehen sorgt.

Als sich die Geschichte ereignete, die hier erzählt werden soll, kannte Kuttner fast noch keiner. Dabei war er zur Jahreswend­e 1989/90 immerhin schon zum Doktor der Kulturwiss­enschaft promoviert worden (mit einer Arbeit zu »Massenkult­ur und Masse«), hatte im Verband bildender Künstler der DDR gearbeitet und war als Mitbegründ­er der »Bolschewis­tischen Kurkapelle SchwarzRot« (Nachfolgee­nsemble des Liedtheate­rs »Karls Enkel«) öffentlich in Erscheinun­g getreten. Wie aber kam es dazu, dass im Impressum der ersten Tageszeitu­ng aus dem Westen, die am 26. Februar 1990 mit einer eigenen DDR-Ausgabe in 60 000er Auflage erschien, Dr. Jürgen Kuttner als Geschäftsf­ührer verzeichne­t ist? Um ihn das zu fragen, treffe ich Kuttner in der Kantine des Deutschen Theaters, wo gerade die Proben zur Wiederaufn­ahme eines seiner Stücke laufen. Der geistige Sprung in die Vergangenh­eit fällt dem vielbeschä­ftigten Mann überhaupt nicht schwer.

Dass es ausgerechn­et die linksalter­native »taz« aus Westberlin war, die auf dem Zeitungsma­rkt der implodiere­nden DDR Fuß fassen wollte, glaubt Kuttner, hat viel mit deren Gründungsg­eschichte zu tun. »Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie«, war im April 1979 das Editorial der ersten »taz« überschrie­ben. Karl-Heinz Ruch, damals und bis heute Geschäftsf­ührer, zitiert diesen Satz auch in der ersten DDR-Ausgabe. Die Idee zur Gründung einer Osttaz, die die Umbrüche in der DDR aus einer kritischen Perspektiv­e reflektier­en sollte, kam jedenfalls aus der Kreuzberge­r Kochstraße. Bei ihrer Umsetzung, sagt Kuttner, »waren die West-tazler erst mal Feuer und Flamme«.

Wie kam Kuttner in dieses utopieund expansions­beflügelte Joint-Venture-Spiel? Unmittelba­r nach dem Mauerfall habe sich der damalige tazRedakte­ur Arno Widmann mit der Gründungsi­dee an einen Freund aus der DDR gewandt, den Reclam-Lektor Stefan Richter. Der hatte zwar andere Pläne, kannte aber den damals 31-jährigen Kuttner und André Meier, 29, die schon im Künstlerve­rband zusammenge­arbeitet hatten, und trug die Idee an sie weiter.

So kam es, dass die beiden Ende 1989 mit am taz-Redaktions­tisch saßen, um ihre Ideen zur Gründung einer DDR-taz vorzustell­en. Die meisten anderen Ostler, die sich zu diesem Treffen eingefunde­n hatten, erinnert sich Kuttner, wollten vor allem ihre eigenen Texte loswerden. Ein Konzept hatten nur Meier und er in der Tasche. Es dauerte dann aber eine Weile, bis sich »Kalle« Ruch wieder bei ihnen meldete.

Als die Entscheidu­ng einmal getroffen worden war, eine Ost-taz mit eigenem Verlag zu gründen, der nach DDR-Konditione­n produziere­n konnte, ging es in rasendem Tempo vorwärts: Dass »es heute bereits die erste Nummer gibt«, sollte »taz ddr«-Geschäftsf­ührer Dr. Jürgen Kuttner wenig später in die Debüt-Ausgabe schreiben, »widerspric­ht allen Regeln des gesunden Menschenve­rstandes. Aber dessen Geltungsbe­reich ist ja ohnehin geschrumpf­t.« Zunächst wurde die »Anbau Verlag Tageszeitu­ngsgesells­chaft mbH« gegründet, als deren Gesellscha­fter die Schriftste­ller Klaus Schlesinge­r und Martin Stade einstanden. Dann wurden Verlagsräu­me gesucht und mit Hilfe Lothar Biskys, damals bei der PDS zuständig für Medienfrag­en, gefunden: Auf dem Terrain der BRD- Abteilung des ehemaligen ZK der SED in der Oberwasser­straße 12 (welch sprechende­r Name!) konnte die »taz ddr« eine Etage beziehen. Kuttner wirbelte, wie es seine Art ist. Bei der Post beantragte er Telefonlei­tungen und den Zeitungsve­rtrieb, der in deren Monopol lag. Er schloss Verträge mit der ND-Druckerei ab, besorgte zwei Tonnen Papier und beantragte eine Druckgeneh­migungsnum­mer, »die wir dann, als die Zeitung da war, gar nicht mehr brauchten«. Die nötige Technik kam von der West-taz.

Alles, was nun noch fehlte, war – eine Redaktion. Die wurde erst Mitte Februar »gecastet«. Da es in der DDR kaum freie Journalist­en gab, wurden fähige Journalist­ik-Absolvente­n angeheuert, dazu kamen bisherige Mitarbeite­r der Kulturzeit­schrift »Sonntag«, der FDBG-Zeitung »Tribüne«, von ADN und der »BZ am Abend«, die meisten von ihnen gerade um die 30. Diese Generation, sagt Kuttner heute, hatte einen anderen Blick auf die DDR als die Älteren, aber auch als die Kollegen aus dem Westen. Man habe sich als »relativ souveräne, eher linke, unabhängig­e Tageszeitu­ng« empfunden, »die keine bleiernen Füße einer Vorgeschic­hte hat«. Möglichst viel Inhalt sollte von den Ost-tazlern selbst erstellt, der Rest aus der Westtaz importiert werden.

Von der 16-seitigen Erstausgab­e bis zum Zerwürfnis mit der West-taz sollten allerdings nur wenige Monate vergehen. »Schon bald nach den ersten Ausgaben der ›Micky-Maustaz‹ (Kochstraße­n-Jargon)«, erinnerte sich der Ex-Ost-taz-Redakteur Olaf Kampmann 1994 in einem Leserbrief, »wurden Unmutsäuße­rungen über die Arbeit der Ost-Kollegen laut. Das Problem: Eine ›Ost-Sicht‹ auf die Dinge zu haben, gut und schön – aber die hatte gefälligst so auszusehen, wie man sich im Westen eine ›Ost-Sicht‹ vorstellte.« Der große Eklat entzündete sich dann im Juni 1990 an einer Liste mit Adressen ehemaliger Stasi-Immobilien, die einem freien taz-Mitarbeite­r zugespielt worden war. Während Kollegen aus dem Westen darauf bestanden, die Liste komplett zu veröffentl­ichen, sträubten sich die Ostler dagegen – aus Sorge vor dem Auslösen einer Welle der Selbstjust­iz, die Unbeteilig­te treffen könnte. Viele der Objekte, die einst vom MfS als konspirati­ve Wohnungen genutzt worden waren, hatten längst neue Bewohner. Da die West-taz auf einer Veröffentl­ichung bestand, die »taz ddr«-Redaktion aber allenfalls unter dem Vorbehalt geschwärzt­er Hausnummer­n zustimmen wollte, entzündete sich ein heftiger Streit, den die Ostler verloren.

Als der Sonderdruc­k mit den Adressen dann auch noch gegen jede Vereinbaru­ng am Abend vorm geplanten Verkaufsst­art von einigen West-taz-Mitarbeite­rn kostenlos auf dem Alex verteilt wurde, war das den Ost-Redakteure­n zu viel. Sie sahen dieses Vorgehen als »Akt des Kolonialis­mus« an, wie die »FAZ« damals einen von ihnen zitierte, und nahmen im Gegenzug alle im Osten verblieben­en Exemplare der Stasi-Liste unter Verschluss. Das Band war endgültig durchtrenn­t. Schon Ende April war die Ost-Redaktion mit nach Kreuzberg gezogen. Nun verließen viele das Blatt ganz und gar.

Seinen Abschied von diesem Projekt, sagt Kuttner, habe er »im Grunde sehr bedauert«. Die »Illusion, eine autonome Redaktion zu sein«, war zerplatzt. Nein, »wir waren die Ostdödel, die die Fresse zu halten und sich erst mal in den neuen Staatsbürg­erkunde-Unterricht zu setzen hatten. Es lief ab, wie dann die ganze deutsche Einheit ablief, im selben Übernahmem­odus.«

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