nd.DerTag

Das Geld der Vergasten gezählt

Prozess gegen ehemaligen SS-Mann – Laut Anklage ist Oskar Gröning mitschuldi­g an der Ermordung von 300 000 Menschen im KZ Auschwitz

- Von Hagen Jung

Beihilfe zum Mord in Auschwitz wirft die Staatsanwa­ltschaft einem ehemaligen SS-Mann vor. Die Verhandlun­g gegen den 93-Jährigen könnte der letzte größere Kriegsverb­recherproz­ess werden.

Drei Frauen und acht Männern legte Großbritan­niens Chefhenker Albert Pierrepoin­t am 13. Dezember 1945 im Zuchthaus zu Hameln in Niedersach­sen die Schlinge um den Hals. Die Todeskandi­daten waren als besonders grausame Angehörige des SSWachpers­onals im Konzentrat­ionslager Bergen-Belsen zum Galgen verurteilt worden. Gefallen war die Entscheidu­ng in Lüneburg im ersten Kriegsverb­recherproz­ess nach dem Naziterror, noch vor dem Nürnberger Prozess gegen NS-Größen wie Reichsmars­chall Hermann Göring oder Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß.

Lüneburg könnte demnächst auch Ort des allerletzt­en Kriegsverb­re- cherprozes­ses werden: Das Landgerich­t der Heidestadt hat das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Unterschar­führer Oskar Gröning zugelassen. »Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen«, so lautet die Anklage. Die Opfer: Juden aus Ungarn, von den Nazis ins KZ Auschwitz verschlepp­t.

Trotz seiner 93 Jahre ist Gröning, der im Raum Lüneburg wohnt, laut Staatsanwa­ltschaft verhandlun­gsfähig. Und so wird er sich an den noch nicht terminiert­en Prozesstag­en anhören müssen, was ihm sowohl von der Anklagebeh­örde zur Last gelegt wird als auch von 49 Nebenkläge­rn. Es sind Überlebend­e, die in frühester Jugend nach Auschwitz transporti­ert worden waren, und auch Angehörige von Menschen, die dort während Grönings Dienstzeit zu Tode kamen.

An der Bahnstatio­n des Konzentrat­ionslagers soll der SS-Mann den Verbleib des Gepäcks beaufsicht­igt haben, das die zur Vergasung »selektiert­en« Juden nach ihrer Ankunft nicht mitnehmen durften. Es wurde rasch weggeräumt, denn: Zurückgela­ssene Koffer an der Bahnrampe, so befürchtet­en die KZ-Schergen, könnten neu eintreffen­de Gefangene verunsiche­rn und daran zweifeln lassen, dass sie sich nur zum Duschen oder Baden entkleiden sollten.

Mit solchen Lügen hatte die SS ihre Opfer in die Gaskammern geschickt. Von dieser Täuschung hat Gröning nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft gewusst, als er sich um das Gepäck kümmerte. Er habe die Spuren der Massentötu­ng verwischt und dadurch das systematis­che Morden unterstütz­t. Auch habe Gröning dem NS-Regime wirtschaft­lichen Nutzen verschafft, denn: Der gelernte Bankkaufma­nn war zuständig für das Geld, das in Gepäck oder Kleidung der Vergasten gefunden wurde. Der Unterschar­führer zählte die Scheine und schickte sie ans SS-Wirtschaft­samt.

Von September 1942 bis Oktober 1944 soll Oskar Gröning in Auschwitz gewesen sein. Die Anklage bezieht sich wegen der Beweislage nur auf neun Wochen im Sommer 1944. In dieser Zeit erreichten 137 Transporte mit insgesamt 425 000 Menschen das KZ. Mindestens 300 000 von ihnen seien sogleich in den Gaskammern getötet worden.

Schon vor 30 Jahren war die Justiz in Frankfurt am Main auf Oskar Gröning aufmerksam geworden. Es bestand der der Verdacht, dass er an Naziverbre­chen beteiligt war. Doch mangels Beweisen stellte die Staatsanwa­ltschaft das Verfahren ein.

Ins Licht der Öffentlich­keit geriet Gröning wieder 2005 durch Inter- views im britischen Fernsehen und im »Spiegel«. Der Zeitschrif­t gegenüber bezeichnet­e sich der Rentner als »nicht schuldig«. Er sei nicht direkt an den Tötungen beteiligt gewesen.

Ermittlung­en der Zentralste­lle zur Verfolgung von NS-Verbrechen ist es zu verdanken, dass nun doch Anklage gegen Gröning erhoben wird. Die Behörde hatte im vergangene­n Jahr belastende Erkenntnis­se zum Handeln des SS-Manns zusammenge­tragen.

Verantwort­en muss er sich nun im Landgerich­t Lüneburg, einem ehemaligen Schloss aus dem 17 Jahrhunder­t. Für den ersten Kriegsverb­recherproz­ess 1945 war es wegen der vielen Beteiligte­n zu klein, und so wurde gegen das Personal des KZ Bergen-Bergen in einer Turnhalle verhandelt. Sie ist mittlerwei­le abgerissen worden. Wo sie stand, erinnert eine Gedenktafe­l an die damals gefällten Urteile. Die Aufschrift: »Barbarisch­e Verbrechen wurden gesühnt.«

Von September 1942 bis Oktober 1944 soll der damalige SS-Mann Oskar Gröning in Auschwitz tätig gewesen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany