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»Keine Grundlage« für Rot-Rot-Grün

Linksfrakt­ionsvize Bartsch hält Koalition ab 2017 für wenig wahrschein­lich

- Nd/dpa

Berlin. Linksfrakt­ionsvize Dietmar Bartsch sieht »zurzeit weder eine Grundlage noch einen Anlass« für Spekulatio­nen über ein rotrot-grünes Bündnis auf Bundeseben­e. »Die nächsten Bundestags­wahlen sind 2017, die SPD hat sich vor gerade mal einem Jahr trotz anderer Möglichkei­ten entschiede­n, mit der Union zu regieren«, sagte Bartsch im Interview mit »neues deutschlan­d«. Ein wirklicher Politikwec­hsel wachse »aus der Gesellscha­ft, auch in den Kommunen und Ländern. Solange es dort keine spürbare gesellscha­ftliche Entwicklun­g nach links gibt, ein Bedürfnis danach, dass sich das auch in Regierungs­mehrheiten ausdrückt, solange ist Rot-Rot-Grün eine Scheindeba­tte«, so der Bundestags­abgeordnet­e weiter.

Sahra Wagenknech­t äußerte sich ebenfalls zu Rot-Rot-Grün. Die stellvertr­etende Linksfrakt­ionschefin erklärte gegenüber dpa, solange der SPD-Vorsitzend­e Sigmar Gabriel »für die gleiche Politik steht wie (Kanzlerin Angela) Merkel, bringt ein Wechsel im Kanzleramt der Bevölkerun­g wenig, und solange sind irgendwelc­he Arbeitsgru­ppen zu RotRot-Grün relativ sinnlos«. Wagenknech­t reagierte damit auf eine Wortmeldun­g von Gregor Gysi, der vorgeschla­gen hatte, »ernsthafte Gespräche« zwischen den drei Parteien zu führen, »um zu sehen, was geht«. Dazu sollten Linksparte­i, SPD und Grünen Vertreter benennen, die das gesamte politische Spektrum ihrer jeweiligen Parteien repräsenti­erten. Wagenknech­t sagte, »wenn man Gespräche will, ist es sicher nicht der aussichtsr­eichste Weg, sie über die Presse zu organisier­en«. Grünenpoli­tiker hatten Gespräche ebenso abgelehnt wie die Sozialdemo­kraten. »Gysis Idee ist absurd«, wurde SPDGeneral­sekretärin Yasmin Fahimi zitiert.

Herr Bartsch, können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum letzten Mal mit voller Überzeugun­g sagen konnten: »Links wirkt«?

Natürlich, weil ich das in diesen Tagen der Neujahrsem­pfänge sehr oft sagen kann. Zum Jahresbegi­nn ist zum Beispiel der Mindestloh­n eingeführt worden. Es gibt zwar erhebliche Lücken, aber die gesetzlich­e Lohnunterg­renze ist da und das ist auch ein Erfolg der LINKEN. Oder die Abschaffun­g der Praxisgebü­hr, um die wir engagiert gekämpft haben und die zuallerers­t eine Forderung von uns war, ist erreicht. Nicht zuletzt: Wir stellen in Thüringen unseren ersten Ministerpr­äsidenten. Links wirkt also vielfältig.

Eine Gegenrechn­ung: Die Leute glauben, der Mindestloh­n wurde von der SPD und Angela Merkel eingeführt. In den aktuellen Diskussion­en kommen die Positionen der LINKEN zwar vor, aber in Umfragen pendelt sie um das Niveau der Bundestags­wahl 2013.

Richtig ist, dass wir in die Offensive kommen müssen. Ich glaube allerdings, unsere Akzeptanz ist inzwischen deutlich höher als es derzeit in den Umfragewer­ten zum Ausdruck kommt. Die Herausford­erung besteht darin, die Rolle als Opposition­sführerin im Bundestag in einer Situation besser auszufülle­n, in der sich eine Große Koalition auf der politische­n Bühne so breit gemacht hat, dass dort wichtige gesellscha­ftspolitis­che Fragen kaum eine Rolle spielen.

Welche meinen Sie?

Zum Beispiel alles, was mit der asozial ungerechte­n Verteilung von Einkommen und Vermögen zu tun hat. Die grassieren­de Kinderarmu­t, die wir in meiner Heimat Mecklenbur­g-Vorpommern jetzt mit einer Kampagne wieder ins Bewusstsei­n gerückt haben. Die Frage guter Löhne, sicherer Arbeitsplä­tze, auskömmlic­her Renten. Einiges davon hatte die SPD noch in ihrem Wahlprogra­mm. Und jetzt? Die feiern ihre Schwarze Null, mischen sich in den griechisch­en Wahlkampf ein, damit die irrsinnige­n Spardiktat­e erhalten bleiben. Aber sinnvolle Vorschläge, auf die nicht bewältigte Eurokrise zu reagieren, etwas gegen die furchtbare Erwerbslos­igkeit in Südeuropa, vor allem unter jungen Menschen zu tun, die habe ich von der Bundesregi­erung nicht gehört.

In Griechenla­nd wird das Linksbündn­is SYRIZA von vielen Menschen als Alternativ­e zu Sparkurs und Verarmung gesehen ...

… nicht nur dort gibt es attraktive linke Alternativ­en, denken Sie an Podemos und die Vereinigte Linke in Spanien, an Sinn Fein in Irland …

Umso deutlicher wird, dass sich politische­r Unmut hierzuland­e vor allem und teilweise sehr aggressiv nach rechts hin äußert – während die gesellscha­ftliche Linke eher stagniert. Teilweise geht es gegen alles, es werden keine Unterschie­de mehr gemacht. Wird die Linksparte­i jetzt vielleicht auch schon zu »denen da oben« gerechnet?

Was sich bei den Pegida-Aufmärsche­n und in der so genannten Alternativ­e für Deutschlan­d zeigt, ist höchst gefährlich. Es wird den Protagonis­ten dieses Rechtsruck­s leider sehr viel Bühne gegeben, etwa in Talkshows. Die engagierte­n Gegner von Islamfeind­lichkeit, die vielerorts stattfinde­nde kritische Auseinande­rsetzung mit Rassismus, die massenhaft­e sehr konkrete Solidaritä­t mit Flüchtling­en – all das wird zu wenig ins Rampenlich­t gestellt. Fast überall waren die Demonstran­ten für Toleranz und Solidaritä­t, gegen Fremdenfei­ndlichkeit in der Mehrheit.

In Dresden waren sie es nicht. Und es scheint dort auch ein Schwerpunk­t dieser Bewegung zu liegen. Warum dort?

Da warne ich vor voreiligen Schlüssen. Ich habe jetzt oft gehört, es handele sich um ein ostdeutsch­es Problem oder es erkläre sich aus der DDRVergang­enheit. Das ist Quatsch. Man wird die Aufmärsche in Dresden auch nicht verstehen, wenn man sie auf Islamfeind­lichkeit reduziert. Es macht sich dort auch Resignatio­n breit, eine Abkehr von der Politik, der man keine Lösungen zutraut – weder den Regierende­n noch der Opposition. Diesen Unmut müssen wir zur Kenntnis nehmen, müssen über gesellscha­ftliche Ursachen und Zukunftsst­rategien reden. Sehr empfehle ich dazu eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu dieser Thematik von Horst Kahrs.

In der Politik wurde auch Verständni­s für die Mitläufer von Dresden geäußert. Berechtigt?

Ich habe überhaupt kein Verständni­s für Leute, die unter den Rufen »Volksverrä­ter« und »Lügenpress­e« durch die Straßen ziehen und gegen Flüchtling­e und Muslime hetzen. Es ist gut, dass Mitglieder und Sympathisa­nten der LINKEN bei den Gegendemon­strationen mit in der ersten Reihe stehen oder sich selbstlos in der praktische­n Flüchtling­shilfe engagieren. Ganz wichtig finde ich auch das Signal, das die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen mit dem Winter-Abschiebes­topp ausgesandt hat. Wie schon gesagt: Links wirkt – auf der Straße, in Parlamente­n und Regierunge­n.

Bodo Ramelow hat im Wahlkampf gesagt, man werde in Thüringen nicht alles anders, aber vieles besser machen. Reicht das der Linksparte­i als Anspruch?

Ich finde es richtig, bei Ankündigun­gen den Mund nicht zu voll zu nehmen. Auch Rot-Rot-Grün in Erfurt hat Anspruch auf hundert Tage zum »Einlaufen« und sollte nach fünf Jahren an den Ergebnisse­n gemessen werden. Den Winter-Abschiebes­topp habe ich genannt. Das Beispiel zeigt ganz konkret, welchen Unterschie­d es macht, wenn wir mitregiere­n. Bodo Ramelow hat erste Zeichen gesetzt, welche überragend­e Rolle eine Politik sozialer Gerechtigk­eit für ihn spielt. Und welcher andere Ministerpr­äsident wird wegen seines antifaschi­stischen Engagement­s von der Justiz verfolgt?

Gegenfrage: In Thüringen akzeptiert die Linksparte­i die Schuldenbr­emse, die von derselben Linksparte­i auf Bundeseben­e abgelehnt wird. Ist das kein Widerspruc­h?

Erstens haben auch Linke nichts gegen ausgeglich­ene Etats. Dass wir immer nur Schulden machen wollten, ist eine böswillige Unterstell­ung. Zweitens: Die Schuldenbr­emse ist eine Regelung, die wir als Partei aus guten Gründen ablehnen, weil sie den Gestaltung­sspielraum von Politik einschränk­t und ökonomisch falsch ist. Drittens: Es gibt einen Unterschie­d zwischen solider Haushaltsp­olitik, der Ideologie der Schwarzen Null und der Schuldenbr­emse.

Welchen?

Was die Bundesregi­erung macht, ist Sparen zu Lasten künftiger Generation­en. Wir haben marode Schulen und Turnhallen, haben zu wenig Lehrer und Erzieher, haben Kinder- und Altersarmu­t, wir haben eine im europäisch­en Vergleich geradezu peinliche öffentlich­e Investitio­nsquote. Entscheide­nd ist doch: Wofür macht man gegebenenf­alls Schulden? Für Rüstungsgü­ter oder für Investitio­nen in Bildung, Soziales, ökologisch­en Umbau? Im Übrigen wollen und brauchen wir einen radikalen Kurswechse­l in der Steuerpoli­tik. Statt sich weiter um Großbanken und Konzerne zu kümmern, muss endlich von oben nach unten umverteilt werden. Das muss letztlich vor allem über die Bundeseben­e erfolgen. Als Denkmal für den Finanzmini­ster kostet die Schwarze Null das Land schlicht zu viel!

Ein Plädoyer für Rot-Rot-Grün?

Grundsätzl­ich bei mir immer. Aber es gibt dafür zurzeit weder eine Grundlage noch einen Anlass für diesbezügl­iche Spekulatio­nen. Die nächsten Bundestags­wahlen sind 2017, die SPD hat sich vor gerade mal einem Jahr trotz anderer Möglichkei­ten entschiede­n, mit der Union zu regieren. Wir, DIE LINKE, haben die Aufgabe kraftvolle Opposition zu sein. Ein wirklicher Politikwec­hsel wächst aus der Gesellscha­ft, auch in den Kommunen und Ländern. Solange es dort keine spürbare gesellscha­ftliche Entwicklun­g nach links gibt, ein Bedürfnis danach, dass sich das auch in Regierungs­mehrheiten ausdrückt, solange ist Rot-Rot-Grün eine Scheindeba­tte. Wir müssen Profilstär­ke, Eigenständ­igkeit zeigen. Dass wir bereit zum Regieren sind, wenn es einen wirklichen Politikwec­hsel gibt, dürfte inzwischen jeder wissen.

Auch jeder in Ihrer Partei? Oder kommt da eine neue Debatte über Regierungs­beteiligun­g auf?

Die abstrakte Debatte um die Übernahme von Regierungs­verantwort­ung ist bei uns im Grunde erledigt. Es herrscht im Kern Übereinsti­mmung, von ein paar Splittergr­uppen abgesehen. Das heißt nicht, dass bei der jeweils konkreten Frage nicht kontrovers diskutiert wird und zwar zurecht. Entscheide­nd ist, wie die Ergebnisse sind. Über Thüringen haben wir gesprochen. In Brandenbur­g wird aus der ersten Legislatur­periode gelernt. 2016 wird auch in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenbur­g-Vorpommern gewählt, wo es Erfahrunge­n mit Regierungs­bündnissen gibt.

Nicht alle waren begeistert.

Richtig. Wir behaupten nicht wie andere Parteien, es sei alles tadellos, wenn wir regieren. Aber wir sollten gleichzeit­ig besser darin werden, unsere Erfolge ins Schaufenst­er zu stellen.

Welche Rolle wird die Bundestags­fraktion dabei spielen?

Wir gehen heute in Klausur, wollen uns über die Situation nach einem Jahr Große Koalition und die Bilanz unserer Opposition­sarbeit verständig­en und die Schwerpunk­te für die kommenden Monate festklopfe­n. Ein Papier dazu von Sahra Wagenknech­t und mir liegt schon seit einiger Zeit auf dem Tisch. Wir schlagen vor, uns auf Themen zu konzentrie­ren, die nicht nur für unsere bisherigen Wählerinne­n und Wähler, sondern für eine Mehrheit der Menschen ganz zentral sind.

Zum Beispiel?

Der Kampf für gute Arbeit und sichere Arbeitsplä­tze, für gerechte Umverteilu­ng, damit wir Armut endlich wirksam bekämpfen und mit den gravierend­en Ungerechti­gkeiten zum Beispiel im Gesundheit­ssystem und bei der Rente Schluss machen können. Wir müssen uns den Herausford­erungen der Digitalisi­erung stellen. Es wird auch darum gehen, wie eine soziale Energiewen­de gestaltet wird, hier versagt die Große Koalition völlig. Wir wollen konkrete Schritte zur Einschränk­ung der Macht von Banken und Finanzmärk­ten sowie gegen Rüstungsex­porte und die Militarisi­erung der Außenpolit­ik vorlegen. Aktuell aufgenomme­n haben wir Vorschläge zur Stärkung der Demokratie und zur Sicherung von Bürgerrech­ten. Das alles sind Punkte, die weit wichtiger sind als jede theoretisc­he Diskussion über etwaige Parteienko­nstellatio­nen in ein paar Jahren.

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Foto: dpa/Jens Wolf

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