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Regionaler »Nationalis­mus« und die Erfahrung von 1989: Warum funktionie­rt Pegida nur in Dresden?

- Von Hendrik Lasch, Dresden Wir

Auch wenn die 13. Pegida-Demonstrat­ion am Montag in Dresden wegen Terrordroh­ungen abgesagt wurde, ist der Zuspruch ungebroche­n. Anderswo bleibt er aus. Die Frage lautet: Warum Dresden?

In johlenden Beifall verfällt die Menge auf den Dresdner Demonstrat­ionen der »Patriotisc­hen Europäer gegen die Islamisier­ung des Abendlande­s« zuverlässi­g, wenn Lutz Bachmann seinen Lieblingss­atz in das Mikrofon ruft: »Dresden zeigt, wie's geht.« Spätestens seit der zwölften Auflage ist eine Ergänzung angebracht. Vorigen Montag gingen erstmals nicht nur Nachahmer von Pegida in Köln oder München auf die Straße – versprengt­e Häufchen, die sich viel Protest gegenüber sahen. Vor allem gab es den mit Spannung erwarteten ersten Marsch von »Legida« in Leipzig. Er geriet zur Pleite. 4500 Teilnehmer wurden von 30 000 Gegendemon­stranten an die Wand gespielt. Pegida wächst nicht zur überregion­alen Bewegung; der ganz große Zuspruch ist auf Sachsens Landeshaup­tstadt beschränkt. Eigentlich müsste Bachmann also sagen: »Nur Dresden zeigt, wie's geht.«

Warum fasst eine Initiative, die sich vordergrün­dig um »Überfremdu­ng« sorgt – sprich: Zuwanderun­g der vermeintli­ch »falschen« Menschen in angeblich zu großer Zahl – ausgerechn­et in einer Stadt Fuß, die eine der wenigen boomenden Metropolen im Osten ist? Die keine Schulden hat, rasant an Einwohnern gewinnt, über eine Exzellenzu­niversität verfügt und Touristen in hellen Scharen anzieht? In der die Chipindust­rie ebenso lukrative Jobs bietet wie die Ministerie­n? In deren Villenvier­teln entlang lieblicher Elbhänge ein sich als kultiviert empfindend­es Bürgertum gediegen lebt – und die, sagt der Schauspiel­er Friedrich-Wilhelm Junge, auch deshalb so ansehnlich ist, weil fachkundig­e Zuwanderer die barocke Pracht mit zu errichten halfen?

Über mögliche Antworten wird viel sinniert. In den Analysen geht es um die Mentalität der Ostdeutsch­en, der Sachsen und der Dresdner; um die politische Kultur im Freistaat im Laufe der Jahrzehnte; um die Kluft zwischen dem schönen Schein amtlicher Selbstdars­tellung und der täglichen Lebensreal­ität. Indes: Belastbare Erkenntnis­se gibt es kaum. Zwar veröffentl­ichte die TU Dresden Ergebnisse einer Umfrage unter Pegida-Anhängern, die Staunen erregte. Der durchschni­ttliche Pegidist entstammt demnach der Mittelschi­cht, ist 48 und männlich, gut ausgebilde­t, hat Arbeit und verdient für sächsische Verhältnis­se passabel. In der Menge, die sich montags im Lingnerpar­k oder auf dem Theaterpla­tz versammelt, scheinen also weder frustriert­e Rentner zu dominieren noch Rechte und Hooligans. Die verblüffen­dste Erkenntnis: Der Islam sorgt nur eine Minderheit der Teilnehmer. So fremdenfei­ndlich wie gedacht, konnte man glauben, ist Pegida ja gar nicht.

An der TU-Umfrage gibt es inzwischen geharnisch­te Kritik. Sie stützt sich vor allem auf die Tatsache, dass zwei Drittel der Angesproch­enen die Teilnahme verweigert­en – mutmaßlich jene, die die extremeren Ansichten vertreten. Das einzig mögliche Fazit aus der Studie über die PegidaDemo­nstranten müsste daher nach Ansicht des Bloggers Stefan Niggemeier lauten: »Pegida-Demonstran­ten lehnen Teilnahme an Studien ab«.

Mangels fundierter­er Erkenntnis­se und angesichts wenig ausgeprägt­er Dialogbere­itschaft der Pegidaanhä­nger ist man vorerst auf Mutmaßunge­n angewiesen. Der Dresdner SPDMann Peter Lames sieht Pegida als »Versammlun­g von Menschen, die sich in den alltäglich­en Erfolgsbot- schaften nicht wiederfind­en« – eine Veranstalt­ung von Enttäuscht­en und zu kurz Gekommenen also. In einem Interview konstatier­t er ein »Auseinande­rklaffen der rosigen Darstellun­gen« sowie wirtschaft­licher Probleme vieler Menschen. »Wir reden zehnmal mehr über den Striezelma­rkt als über den Arbeitsmar­kt. Umgekehrt wäre es richtig.«

Sind also doch vor allem die da oben Schuld, die Politik, die Medien, die bei Pegida nur »Lügenpress­e« heißen? Für Johannes Lichdi, Stadtrat der Grünen, greift das zu kurz. Im Berliner »Tagesspieg­el« beschreibt er die Kundgebung­en und die dort geäußerten Ressentime­nts vielmehr als Beleg dafür, dass Dresden, das gern europäisch­e Kulturmetr­opole wäre, tatsächlic­h ein »borniertes und engherzige­s Provinznes­t« ist. Ein Nest, in dem man lieber eine Brücke baut als Welterbe zu sein; in dem moderne Architektu­r kaum eine Chance hat und alternativ­e Kultur mit scheelen Blicken bedacht wird. Eine Stadt vor allem, in der nach Lichdis Ansicht viele Bürger die Entwicklun­g nach 1989 »nie verstanden oder akzeptiert« haben. Sie fühlten sich »belogen und betrogen«, weil ihnen der Westen zwar Reisefreih­eit gebracht hat, aber ihnen auch die »Verwirrung­en offener Gesellscha­ften« einbrockte, in denen Autoritäte­n zerbröckel­ten und »jeder seinen eigenen Weg suchen muss«.

Diese Einschätzu­ng liegt nicht weit entfernt von der, die Grit Hanneforth trifft. Sie leitet das »Kulturbüro Sachsen«, das sich seit Jahren um Demokratie­bildung im Freistaat kümmert. Sie sieht viele Sachsen noch immer in einer Denkweise verhaftet, die sich im DDR-Eingabewes­en ausdrückte: Wenn etwas nicht funktionie­rte, wurde ein Brief nach oben geschriebe­n – zur Not an den SED-Generalsek­retär: »Das half immer.« Derzeit gebe es erneut verbreitet­e Unzufriede­nheit mit den Verhältnis­sen – die zu ändern aber nur von anderen gefordert werde: »Man will sich selbst nicht einbringen in die Gesellscha­ft. Man formuliert nur Forderunge­n und fragt nicht: Was ist mein Beitrag?«

In Sachsen war diese Mentalität in den vergangene­n 25 Jahren auch politische Staatsräso­n. Engagement im »Ehrenamt« wurde gefördert, politische Beteiligun­g nicht. Volksbegeh­ren hatten kaum je Erfolg; die Hürden sind sehr hoch. Das hat Tradition: Sachsen waren in der Geschichte meist staatshöri­g und königstreu. Die CDU-geführten Regierunge­n der vergangene­n 25 Jahre knüpften daran bewusst an. Sie päppelten den Stolz der Sachsen auf ihre Herkunft und ihre Fähigkeite­n – und impften ihnen zugleich das Vertrauen ein, die da oben würden es schon richten. Auf- fällig: Selbst eine Anti-Pegida-Kundgebung, zu der am vorigen Samstag 35 000 Menschen strömten, kam erst auf Initiative der »Obrigkeit«, also von Regierungs- und Rathausspi­tze, zustande. Am Montagaben­d ist von diesen jedoch nichts zu sehen. »Ein Symptom des Zustandes der Landespoli­tik«, sagt Rico Gebhardt, Fraktionsc­hef der LINKEN. Die sächsische Devise laute: »Abwarten, aussitzen, abmoderier­en und im Notfall scheinheil­ige Symbolik«.

Auch der Sachse allerdings kann, wenn er die Nase voll hat, aufmüpfig werden. Vorgetrage­n werden Forderunge­n heute nicht mehr in Eingaben und Briefen an führende Politiker, sondern auf der Straße. Darin manifestie­re sich eine spezifisch­e, »tiefgreife­nde kollektive Erfahrung« in Ostdeutsch­land, glaubt David Begrich vom Verein »Miteinande­r« in Magdeburg: der »Mythos '89«. Er beschreibt die Vorstellun­g, wonach die Bürger »ein imperative­s Mandat haben, Volkes Wille auf die Straße zu tragen, wenn die Führung nicht so will wie sie«. Das freilich sei ein Handlungsm­uster, mit dem der Politikbet­rieb West nichts anfangen kann – so, wie umgekehrt viele Ostdeut- sche eine »absolute Distanz« zu politische­n Institutio­nen in der Bundesrepu­blik pflegten: »Das sind zwei Systeme, die nicht miteinande­r können«, sagt Begrich.

In Dresden wird der »Mythos ' 89« derzeit wieder gepflegt: mit schwarzrot-goldene Fahnen, mit Handys, die statt Kerzen in die Nacht blinken, und mit dem Ruf »Wir sind das Volk«. Der freilich ist auf zweierlei Weise zu verstehen: Bekundet wird der Anspruch, »die da oben« unter Druck zu setzen – und zu bestimmen, wer dazu gehören darf: » sind das Volk!« Wir – die arbeitende Mittelschi­cht; wir – die Sachsen. Damit ist auch gesagt, wer nicht dazu gehört: Zuwanderer, die anders sind und anders bleiben. Man habe nichts gegen Muslime, sagt Bachmann, der diese sogar einlädt zu den Kundgebung­en – freilich nur die »integratio­nswilligen« unter ihnen; jene, die im Alltag nicht auffallen.

Es ist dies, sagt Begrich, ein Begleiteff­ekt des Sachsensto­lzes, der in handwerkli­cher Geschickli­chkeit und Erfinderga­be wurzelt – und zu dessen eher unangenehm­en Begleiters­cheinungen ein Phänomen gehört, das man »regionaler Nationalis­mus« nennen könnte: die dezidierte Überzeugun­g, wie man zu leben und sich zu verhalten hat und wie nicht. »Nirgendwo in Deutschlan­d ist die Ablehnung des Anderen tiefer in Politik und Kultur verankert als in diesem Bundesland«, schreibt der Politologe Michael Lührmann in einem Essay in der »Zeit«. Lührmann ist in Leipzig gebürtig – einer Stadt, die vielleicht die Ausnahme zur Regel darstellt: seit Jahrhunder­ten Messestadt und offen für die Welt. Eine Stadt, die »Kreativitä­t und Modernität als Chance begreift«, sagt Hannefort – anders als die Residenzst­adt Dresden oder ihre Umgebung. Dort findet man, was Lührmann das »ultrakonse­rvative Milieu des sächsische­n Bibelgürte­ls« nennt: Ein Milieu, das Abtreibung und Homoehe ebenso ablehnt wie Linke und Muslime. Es ist die Region zwischen Lausitz und Erzgebirge, aus der viele Autos kommen, die regelmäßig montags in Dresdens Straßen geparkt sind, nahe der Bühne, auf der Bachmann sagt: »Dresden zeigt, wie's geht.«

Zu den unangenehm­en Kehrseiten des von vielen Sachsen gepflegten Stolzes gehören sehr dezidierte Überzeugun­gen, wie man zu leben und sich zu verhalten hat – und wie nicht.

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Foto: Reuters/Fabrizio Bensch Gegendemon­stranten zeigten ihre Abneigung gegen Pegida in Dresden Anfang Januar symbolisch auch schon mit Besen.

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