Koks, Gras, so was
Der Film lässt seine Hauptfiguren nicht gut aussehen, was die aber gar nicht mitkriegen, weil der Film es offenbar nicht beabsichtigt hat. Matthias Dell über den »Tatort: Die Sonne stirbt wie ein Tier«
Ludwigshafen ist der Hans-Dietrich Genscher unter den »Tatort«-Schauplätzen, nämlich noch dienstälter als das München vom Ivo (Miro Nemec) und vom Franz (Udo Wachtveitl). Man sollte annehmen, dass ein Vierteljahrhundert Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) gewisse Stabilisierungsprozesse mit sich bringt. Etwa: Das Personal schläft nicht in Routine ein, sondern gibt mit seiner Souveränität an. In München lässt sich das beobachten, dem Franz und dem Ivo kann im Herbst ihres Schaffens kein noch so nicht gelungenes Buch den Spaß an der Freude nehmen.
Nicht so in Ludwigshafen, und damit ist nicht einmal der neueste Schlenker in der Figurenentwicklung gemeint – Lena Ödenthal auf Burnout-Therapie –, der in »Die Sonne stirbt wie ein Tier« (SWR-Redaktion: Melanie Wolber) performt wird. Sondern: wie dilettantisch hier die Polizeiarbeit verrichtet wird und in welchem Verhältnis das steht zum Selbstverständnis der Polizeiarbeiter.
In keinem. Ludwigshafen vermittelt eine, positiv gesprochen, romantische Vorstellung von Arbeitswelt. Es ist wie früher, strikt hierarchisch: Die, die schon da waren, sind die, die Recht haben, was immer sie auch tun. Während die, die dazu gekommen sind, sich Sporen erst verdienen müssen. Vor allem moralisch, charakterlich.
Die Hinzugekommene ist Johanna Stern (Lisa Bitter). Sie tritt – die jungen Leute machen ja alles was mit Medien heutzutage – als Technologie auf, soll heißen, sie nennt sich Fallanalytikerin. Im Polizeiarbeitsfeld stellt das eine Spezialisierung dar. Aber für die Begriffe, die das deutsche Fernsehen von Ermittlung hat, könnte man natürlich auch fragen, was daran so besonders sein soll: Was soll eine Kommissarin denn anderes machen zur Mördersuche als das – den Fall zu analysieren?
Antwort, also Aufgabe Lena Ödenthals: die Leute mit Moral belästigen. Zeigt sich schön in der Szene, in der Lena, zurück von der Therapie, der forschen Johanna die Grenzen aufzeigt: »Warum wird man Fallanalytikerin?« Antwortet: aus einem Mangel an Gefühl, lo-
Matthias Dell gisch. Kühle und Nüchternheit ist nichts, womit man im »Tatort« von Ludwigshafen Blumensträuße gewänne; solange sich Wärme und Betroffenheit vorgaukeln lässt, darf man sich scheinbar alles erlauben.
Kopper (Andreas Hoppe), der in Abwesenheit Lenas Chef spielen muss und Johanna Stern behandelt wie ein Radio, das man laut und leiser dreht, je nach Gusto – Kopper zum Beispiel ist mit lauter angetrunkenen Jägern nachts im Feld bei den Pferden, um einem Ripper auf die Spur zu kommen. Er verpasst ihn, kommt aber auch nicht auf die Idee, beim schon höchst verdächti- gen Gerd Holler (Ben Münchow) vorbeizuschauen, um das Alibi live zu überprüfen. Bedeutet: Arbeit eher nicht gut gemacht. Heißt aber nicht: sich von Johanna Stern darauf hinweisen lassen zu müssen. Dabei löst die das Rätsel.
Das ist das Merkwürdige an Ludwigshafen, wie es sich »Die Sonne stirbt wie ein Tier« zeigt: Der Film (Regie: Patrick Winczewski) lässt seine Hauptfiguren nicht gut aussehen, was die aber gar nicht mitkriegen, weil der Film es offenbar nicht beabsichtigt hat.
Dabei ist die Geschichte vor dem Hintergrund der entschiedenen Ambitionslosigkeit, die für die SWRFolgen im »Tatort«-Verbund charakteristisch sind, gar nicht schlecht. In der Folge (Buch: Harald Göckeritz) sind die Verdächtigen nämlich auch die Täter, und wo es keine Suche braucht, müssen die Menschen interessieren.
Pferdebesitzergattin Silvia (wieder mal als zerzauste Ehefrau: Alma Leiberg), die nach Drogensucht und Pornodreh in der frei stehenden Badewanne Frieden finden will, gelingt das mittel bis nicht so. Dafür kann das gebeutelte Heimkind Gerd (Was hätten Hauptmann Fuchs und Leutnant Vera Arndt seinerzeit für dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft gegeben!), der sein schwieriges Verhältnis zu Frauen in Pferdemorden ausagiert, für sich einnehmen.
Die Geschichte vom Stalker, der seiner großen Liebe, der Einzelhandelskauffrau Paula (Lisa Charlotte Friedrich), durch Einbrecherwissen mit Verständnis begegnen kann und von ihr geliebt wird, bis die Informationsbeschaffung auffliegt, ist relativ präzise erzählt. Auch weil Paula Dialekt spricht.