Kapitale Kriminalität
Italien ist von einem neuen Mafiaskandal erschüttert / Schauplatz ist die Hauptstadt Rom
Die kriminelle Landkarte Italiens muss neu geschrieben und um die »Mafia Capitale« (Hauptstadtmafia) ergänzt werden. Sie beherrscht Rom offenbar seit Jahren.
In einer groß angelegten Operation verhaftete die italienische Polizei im Dezember mehrere Personen und stellte über 100 Ermittlungsbescheide aus. Alle Betroffenen werden beschuldigt, der kriminellen Organisation »Mafia Capitale« angehört zu haben. Als »Boss« gilt der ehemalige rechtsradikale Terrorist Massimo Carminati, als unternehmerischer Kopf Salvatore Buzzi, einst wegen Mordes verurteilt und eher im linken Lager bekannt. Zusammen sollen sie über Jahre eine millionenschwere Organisation aufgebaut haben.
Ihr Geld verdienten sie vor allem durch öffentliche Aufträge. Carminati und Buzzi hielten wie Spinnen in einem Netz alle Fäden der Verwaltung in der Hand: Sie bestimmten, wer welche Aufträge erhielt, sie wussten, wen man wie zur »Zusammenarbeit« motivieren musste: Mal floss Geld (viel Geld), mal gab es Sachleistungen (etwa in Form einer Beförderung), mal aber auch massive Drohungen.
Auf der Gehaltsliste von Mafia Capitale standen die unterschiedlichsten Personen, aber in erster Linie Beamte der Stadtverwaltung. Diese enge Verflechtung erhielt 2008 einen großen Aufschwung, als Gianni Alemanno zum Bürgermeister Roms gewählt wurde. Mit Carminati verbindet Alemanno, gegen den heute wegen Begünstigung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, eine gemeinsame Vergangenheit: Beide waren in der neofaschistischen Szene aktiv, beide waren als brutale Schläger bekannt. Noch ist nicht klar, was Mafia Capitale alles dafür getan hat, damit Gianni Alemanno überhaupt zum Bürgermeister gewählt wurde, aber mit ihm zogen viele alte Bekannte von Carminati ins römische Rathaus ein.
So war es auch relativ einfach, die Aufträge für eine ganze Reihe von ausgelagerten Arbeiten zu erhalten. Das betraf unter anderem die Instandhaltung von Grünflächen, das Betreiben der Mensa in einem Gefängnis, die Müllabfuhr und die Stadtreinigung, aber vor allem die Unterbringung von Obdachlosen, Migranten, Asylsuchenden, Roma und Sinti. Salvatore Buzzi hatte eine Reihe von Genossenschaften aufgebaut, die landesweit Verbindungen hatten.
Zu den »Bekannten« der Mafiosi, die man wenn nötig auch anzapfen konnte, gehörten neben Staatsbeamten auch Politiker, Richter, Polizisten und sogar einige hochrangige Geistliche. Und das politische Spektrum beschränkte sich bei Weitem nicht nur auf die rechte Szene: Unter den Personen, gegen die ermittelt wird, sind auch Mitglieder und Funktionäre der sozialdemokratischen PD. Ein Foto, das in der italienischen Presse die Runde machte, zeigt Salvatore Buzzi in einem freundschaftlichen Gespräch mit dem Exfaschisten Alemanno und dem derzeitigen sozialdemokratischen Arbeitsminister Giuliano Poletti, der bis vor Kurzem die nationale Genossenschaftsbewegung Coop leitete.
Die Opposition hat jetzt Neuwahlen in Rom gefordert und möchte, dass die Stadtverwaltung als »mafiös unterwandert« eingestuft sowie vorläufig kommissarisch geleitet wird. Doch das wird wohl nicht geschehen, da der derzeitige Bürgermeister Ignazio Marino, der 2013 gewählt wurde und einer Mitte-Links-Regierung vorsteht, ganz offensichtlich aus einem anderen Holz geschnitzt ist.Aus mehreren Telefonmitschnitten ist ersichtlich, dass sich »Boss« Carminati über den ehemaligen Herzchirurgen beschwert, weil dieser gegen alle Annäherungsversuche durch Mafia Capitale »immun« sei. Außerdem wurde bekannt, dass Marino seit seinem Amtsantritt eng mit der Staatsan- waltschaft zusammenarbeitet und immer wieder wichtige Hinweise auf »Ungereimtheiten« in seinem Verwaltungsapparat geliefert hat.
Auf der Gehaltsliste von Mafia Capitale standen in erster Linie Beamte der Stadtverwaltung.