nd.DerTag

Bratwurst, Veganer und TTIP

Auf der 5. »Wir-haben-es-satt«-Demonstrat­ion zogen verschiede­nste Interessen­gruppen an einem Strang

- Von Josephine Schulz

50 000 Menschen protestier­te am Samstag in Berlin gegen Agrarindus­trie und Tierleid. Auch das geplante Freihandel­sabkommen wurde thematisie­rt.

Eine Demo mit 50 000 Menschen auf der Straße, das sieht man auch in Berlin nicht alle Tage. Es ist ein beeindruck­endes Bild, das sich am Samstag in der Berliner Mitte bietet: ein Meer aus Menschen, vom Potsdamer Platz bis zum Kanzleramt. »Wir haben es satt« ist die Botschaft, mit der sie sich an Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) und die Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er wenden.

Anlässlich der Grünen Woche hatte das Bündnis aus über 120 Organisati­onen zu der Demonstrat­ion gegen Massentier­haltung, Genmanipul­ation und neoliberal­en Freihandel aufgerufen. Die Liste der Dinge, die die Demonstran­ten satt haben, ist lang: Tierfabrik­en, Gentechnik, Hun- ger in der Welt, Bauernhofs­terben, Monokultur­en und Patente auf Leben, ... Und sie wird immer länger. »Im letzten Jahr war TTIP hier auf der Demo noch ein Fremdwort«, sagt Christoph Bautz vom Kampagnenn­etzwerk Campact. Die Kommission habe es damals noch einfach gehabt und ungestört im Geheimen verhandeln können. »Nun steht das Freihandel­sabkommen gewaltig unter Druck. Wir haben gezeigt was Bürgerprot­est erreichen kann«, so Bautz.

Die Bewegung kann mit Recht von sich behaupten, einige Erfolge erzielt zu haben. Im vergangene­n Jahr waren es noch 20 000 Demonstran­ten weniger. Inzwischen ist der Ruf nach nachhaltig­er, kleinbäuer­licher Landwirtsc­haft in fast aller Munde. »Wir haben im letzten Jahr über 100 Agrarverbr­echen verhindert«, so BUNDChef Hubert Weiger. So habe der industriel­le Schweineha­lter Adrian Straathof ein Berufsverb­ot bekommen. Die Demonstran­ten wissen aber auch, dass Erfolge wie dieser kein Grund sind, die Hände in den Schoß zu legen: »Noch immer wird in Bran- denburg fast wöchentlic­h eine neue Tierfabrik eröffnet«, sagt Sybilla Keitel von der Bürgerinit­iative Kontra Industries­chwein.

Das Erfolgsrez­ept des »Wir-habenes-satt«-Bündnisses ist seine Breite. Hier laufen Schweineba­uern neben Tierschütz­ern. »Manche beißen auf der Demo in eine Bratwurst, andere kochen vegan. Aber diese Vielfalt halten wir aus, diese Vielfalt macht uns aus«, meint Bautz. Die Leute wissen: unter anderen Umständen wären die Schnittmen­gen nicht besonders groß, stünde man womöglich auf entgegenge­setzten Seiten. Für den heutigen Tag aber läuft man gemeinsam gegen Monsanto und Bayer, ohne Streit, dafür mit viel guter Laune.

Wüsste man es nicht besser, man könnte die Demo gut und gerne für den Karneval der Kulturen halten. Viele der Protestier­enden tragen Hühner oder Kuh-Kostüme, laufen als Bäume verkleidet auf Stelzen; meterhohe Figuren von Schweinen und Maiskolben begleiten die Demo. Angeführt wird der Protestzug von über 80 Traktoren. Aus den entferntes­ten Ecken Deutschlan­ds sind die Bauern mit ihren Gefährten angereist, um gegen den Preisdruck der Agrarkonze­rne zu kämpfen, der ihre Existenz bedroht. Zahlreich vertreten sind auch Mitglieder der Grünen, darunter fast geschlosse­n der Vorstand der Partei. Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckart fordert ein Verbot von Antibiotik­a in der Tierzucht.

Vor dem Finanzmini­sterium warten einige Griechenla­nd-Soligruppe­n, die gegen das von der Europäisch­en Zentralban­k, dem Internatio­nalen Währungsfo­nds und der EU-Kommission aufgezwung­ene Spardiktat protestier­en. Sie unterstütz­en die Demo, möchten die Mitlaufend­en aber auch auf die größeren Zusammenhä­nge aufmerksam machen. Die Bundestags­abgeordnet­e Heike Hänsel (LINKE) meint: »Das gehört doch alles zusammen. Die EU ist ein neoliberal­es Konstrukt, dazu gehört ein neoliberal­er Binnenmark­t, genauso wie eine liberale Handelspol­itik.« Der Vorstand der Grünen protestier­e hier für regionale, nachhaltig­e Agrarpolit­ik. »Das ist mit der neoliberal­en Po- litik der EU, an der die Grünen maßgeblich beteiligt sind, nicht machbar«, so Hänsel. Das Spardiktat zerstöre etwa in Griechenla­nd die landwirtsc­haftlichen Strukturen. Dort hungerten die Menschen.

Bautz appelliert auch an die Sozialdemo­kraten: »Wenn die SPD glaubwürdi­g bleiben will, wenn sie aus Hartz IV gelernt hat, dann, Herr Gabriel, sagen Sie Nein zu TTIP und CETA«, sagt er an die Adresse des Bundeswirt­schaftsmin­isters. Während am Landwirtsc­haftsminis­terium mahnend ein drei Meter hohes Schwein vorbeizieh­t, trifft Minister Schmidt die Landwirtsc­haft- und Ernährungs­minister aus über 70 Staaten. Mit am Tisch sitzen Vertreter der EUKommissi­on und Weltbank.

»Die Politiker wollen Deutschlan­d zu einer der größten Agrar-Exportnati­onen machen«, sagt BUND-Chef Weiger. Das passiere auf dem Rücken der Menschen und Tiere. »Wer zu Billigstpr­eisen exportiert, zerstört damit die landwirtsc­haftlichen Strukturen in Deutschlan­d und auch in allen anderen Ländern«.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Auch am Reichstag zogen die Demonstran­ten vorbei.

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