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Spielend Deutsch gelernt

In Elbe-Elster kümmern sich 21 Bildungspa­ten um Kinder aus Einwandere­rfamilien

- Von Andreas Fritsche

2011 startete im Kreis Elbe-Elster das zunächst auf ein Jahr angelegte Pilotproje­kt Bildungspa­ten. Es hat sich etabliert.

Ein schöner Wintertag in Herzberg. Die Sonne scheint zum Fenster rein. Die Zwillinge Serhat und Ferhat sind zu Besuch bei Frank Gebauer. Der Betonfacha­rbeiter ist ihr Bildungspa­te, seit vier Jahren bereits kommen sie dienstags und donnerstag­s vorbei. Zu Anfang gingen die Jungs mit kurdischen Wurzeln noch in den Kindergart­en. Da hat ihnen Gebauer vorgelesen. Als sie eingeschul­t waren, übte er mit ihnen in Diktaten Rechtschre­ibung. Doch das sei kaum noch notwendig, erzählt Gebauer. »Das Wort Nachhilfe hören wir nicht so gern«, sagt der 52-Jährige. Denn Nachhilfe haben die pfiffigen Viertkläss­ler nicht nötig. In Deutsch haben sie eine Zwei, einer der Brüder tendiert zur Eins. In Mathe sind sie immer gut gewesen, lobt Gebauer.

Weil Nachhilfe nicht erforderli­ch ist und die Zwillinge ihre Hausaufgab­en im Hort erledigen, wird bei Gebauer gebacken und Kuchen gegessen, Tischtenni­s oder etwas anderes gespielt. Die Gespräche dabei dienen dazu, die Sprachkenn­tnisse zu festigen. »Denn machen wir uns nichts vor, Zuhause wird in den Migrantenf­amilien die Mutterspra­che verwendet«, erklärt Oksana Fiks. Die aus Kasachstan gebürtige Musiklehre­rin weiß genau, wovon sie spricht. Bei ihr selbst ist es nicht anders. Der Abschluss von Fiks wird in Deutschlan­d nicht anerkannt. Darum darf sie nicht als Lehrerin in einer Schule arbeiten. Stattdesse­n ist sie Koordinato­rin für die Bildungspa­tenschafte­n im Landkreis Elbe-Elster. Ihr Gebiet ist Herzberg. Es gibt noch eine zweite Koordinato­rin für Finsterwal­de: Ganna Engelmann, die aus der Ukraine stammt.

Derzeit engagieren sich 21 Bildungspa­ten. Sie tun es ehrenamtli­ch und haben unterschie­dliche Berufe. Viele aktive und ehemalige Lehrer sind dabei, aber zum Beispiel auch ein Offizier im Ruhestand. Manche laden die Kinder wie Gebauer zu sich nach Hause ein, andere treffen sich jetzt mit ihnen im Interkultu­rellen Zentrum. Das Zentrum wurde im Oktober beim Deutschen Roten Kreuz in Herzberg eröffnet. Ein paar gemütliche Räume unter dem Dach stehen dort zur Verfügung. Der Landkreis unterstütz­t das Zentrum finanziell.

In der Regel kümmert sich ein Pate gleich um mehrere Geschwiste­r, so dass um die 40 Kinder betreut werden. Diese Kinder kommen »aus der ganzen Welt«, wie Oksana Fiks er- zählt. Die Pädagogin zählt auf: »Osteuropa, Indonesien, Vietnam, Tschechien, Afghanista­n, Türkei, Syrien.« Gedacht ist das vorbildlic­he Programm für Einwandere­r, bei denen als sicher gelten darf, dass sie in Deutschlan­d bleiben. Die Kinder aus der Flüchtling­sunterkunf­t, die kürzlich im alten Wohnheim eines Oberstufen­zentrums eingericht­et wurde, sind zum Basteln ins Interkultu­relle Zentrum eingeladen. Frank Gebauers Frau Ines, die Lehrerin ist, leitet dort eine Arbeitsgem­einschaft Kreatives Gestalten.

Das Sozialamt habe die ehrenamtli­chen Helfer freundlich gewarnt, ihr Herz nicht zu sehr an die Flüchtling­skinder zu hängen, erzählen die Gebauers. Es tue dann zu weh, wenn die Familien abgeschobe­n werden. Dass emotionale Bindungen entstehen, lasse sich aber nicht verhindern, wissen die engagierte­n Eheleute. Als kurz vor Weihnachte­n eine tschetsche­nische Familie gehen musste, sind Tränen geflossen. Dabei hätte der Familienva­ter, ein Bauingenie­ur, sogar Aussicht auf einen Job bei einer Herzberger Baufirma gehabt. Die Bedingung des Unternehme­rs: Der Mann hätte so gut Deutsch lernen müssen, dass er Geschäftsp­ost lesen und beantworte­n kann.

Es zeigt sich immer wieder. Sprachkenn­tnisse sind wichtig. Das war den Eltern von Serhat und Ferhat bewusst. Der Vater lebt seit 1992 in Deutschlan­d und hat inzwischen einen deutschen Pass. Seit 1994 betreibt er mit Verwandten in Herzberg den Dönerimbis­s vor einem Einkaufsze­ntrum. Er spricht passabel Deutsch, aber natürlich nicht akzentfrei. Darum interessie­rte ihn eine Bildungspa­tenschaft für seine Kinder, als er von dieser Möglichkei­t hörte. Der Vater erkundigte sich bei seinem Kunden Frank Gebauer, ob der jemanden kenne. Weil Gebauer wegen Rückenprob­lemen nicht mehr wie früher auf dem Bau rackern kann und nur noch stundenwei­se arbeitet, hat er die Zeit. Er überlegte sich, die Aufgabe selbst zu übernehmen.

Ferhat möchte später gern Techniker werden, Serhat Polizist, wie Frank Gebauers erwachsene­r Sohn. Das stellen sich die Zwillinge spannend vor. Fit sind die Zehnjährig­en. Sie spielen Fußball beim VfB Herzberg 68, der eine in der Abwehr, der andere im Sturm. Davon erzählen sie und von den Turnschuhe­n, die sie heute zum Spaß getauscht haben – »bei der Sporthalle«. Bildungspa­te Gebauer hakt nach. Die Jungs korrigiere­n sich: »In der Sporthalle.« Sie können das auch begründen: »Bei der Sporthalle wäre es gewesen, wenn wir die Schuhe daneben getauscht hätten.« Gebauer lächelt stolz.

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Foto: fotolia/yanlev

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