Spielend Deutsch gelernt
In Elbe-Elster kümmern sich 21 Bildungspaten um Kinder aus Einwandererfamilien
2011 startete im Kreis Elbe-Elster das zunächst auf ein Jahr angelegte Pilotprojekt Bildungspaten. Es hat sich etabliert.
Ein schöner Wintertag in Herzberg. Die Sonne scheint zum Fenster rein. Die Zwillinge Serhat und Ferhat sind zu Besuch bei Frank Gebauer. Der Betonfacharbeiter ist ihr Bildungspate, seit vier Jahren bereits kommen sie dienstags und donnerstags vorbei. Zu Anfang gingen die Jungs mit kurdischen Wurzeln noch in den Kindergarten. Da hat ihnen Gebauer vorgelesen. Als sie eingeschult waren, übte er mit ihnen in Diktaten Rechtschreibung. Doch das sei kaum noch notwendig, erzählt Gebauer. »Das Wort Nachhilfe hören wir nicht so gern«, sagt der 52-Jährige. Denn Nachhilfe haben die pfiffigen Viertklässler nicht nötig. In Deutsch haben sie eine Zwei, einer der Brüder tendiert zur Eins. In Mathe sind sie immer gut gewesen, lobt Gebauer.
Weil Nachhilfe nicht erforderlich ist und die Zwillinge ihre Hausaufgaben im Hort erledigen, wird bei Gebauer gebacken und Kuchen gegessen, Tischtennis oder etwas anderes gespielt. Die Gespräche dabei dienen dazu, die Sprachkenntnisse zu festigen. »Denn machen wir uns nichts vor, Zuhause wird in den Migrantenfamilien die Muttersprache verwendet«, erklärt Oksana Fiks. Die aus Kasachstan gebürtige Musiklehrerin weiß genau, wovon sie spricht. Bei ihr selbst ist es nicht anders. Der Abschluss von Fiks wird in Deutschland nicht anerkannt. Darum darf sie nicht als Lehrerin in einer Schule arbeiten. Stattdessen ist sie Koordinatorin für die Bildungspatenschaften im Landkreis Elbe-Elster. Ihr Gebiet ist Herzberg. Es gibt noch eine zweite Koordinatorin für Finsterwalde: Ganna Engelmann, die aus der Ukraine stammt.
Derzeit engagieren sich 21 Bildungspaten. Sie tun es ehrenamtlich und haben unterschiedliche Berufe. Viele aktive und ehemalige Lehrer sind dabei, aber zum Beispiel auch ein Offizier im Ruhestand. Manche laden die Kinder wie Gebauer zu sich nach Hause ein, andere treffen sich jetzt mit ihnen im Interkulturellen Zentrum. Das Zentrum wurde im Oktober beim Deutschen Roten Kreuz in Herzberg eröffnet. Ein paar gemütliche Räume unter dem Dach stehen dort zur Verfügung. Der Landkreis unterstützt das Zentrum finanziell.
In der Regel kümmert sich ein Pate gleich um mehrere Geschwister, so dass um die 40 Kinder betreut werden. Diese Kinder kommen »aus der ganzen Welt«, wie Oksana Fiks er- zählt. Die Pädagogin zählt auf: »Osteuropa, Indonesien, Vietnam, Tschechien, Afghanistan, Türkei, Syrien.« Gedacht ist das vorbildliche Programm für Einwanderer, bei denen als sicher gelten darf, dass sie in Deutschland bleiben. Die Kinder aus der Flüchtlingsunterkunft, die kürzlich im alten Wohnheim eines Oberstufenzentrums eingerichtet wurde, sind zum Basteln ins Interkulturelle Zentrum eingeladen. Frank Gebauers Frau Ines, die Lehrerin ist, leitet dort eine Arbeitsgemeinschaft Kreatives Gestalten.
Das Sozialamt habe die ehrenamtlichen Helfer freundlich gewarnt, ihr Herz nicht zu sehr an die Flüchtlingskinder zu hängen, erzählen die Gebauers. Es tue dann zu weh, wenn die Familien abgeschoben werden. Dass emotionale Bindungen entstehen, lasse sich aber nicht verhindern, wissen die engagierten Eheleute. Als kurz vor Weihnachten eine tschetschenische Familie gehen musste, sind Tränen geflossen. Dabei hätte der Familienvater, ein Bauingenieur, sogar Aussicht auf einen Job bei einer Herzberger Baufirma gehabt. Die Bedingung des Unternehmers: Der Mann hätte so gut Deutsch lernen müssen, dass er Geschäftspost lesen und beantworten kann.
Es zeigt sich immer wieder. Sprachkenntnisse sind wichtig. Das war den Eltern von Serhat und Ferhat bewusst. Der Vater lebt seit 1992 in Deutschland und hat inzwischen einen deutschen Pass. Seit 1994 betreibt er mit Verwandten in Herzberg den Dönerimbiss vor einem Einkaufszentrum. Er spricht passabel Deutsch, aber natürlich nicht akzentfrei. Darum interessierte ihn eine Bildungspatenschaft für seine Kinder, als er von dieser Möglichkeit hörte. Der Vater erkundigte sich bei seinem Kunden Frank Gebauer, ob der jemanden kenne. Weil Gebauer wegen Rückenproblemen nicht mehr wie früher auf dem Bau rackern kann und nur noch stundenweise arbeitet, hat er die Zeit. Er überlegte sich, die Aufgabe selbst zu übernehmen.
Ferhat möchte später gern Techniker werden, Serhat Polizist, wie Frank Gebauers erwachsener Sohn. Das stellen sich die Zwillinge spannend vor. Fit sind die Zehnjährigen. Sie spielen Fußball beim VfB Herzberg 68, der eine in der Abwehr, der andere im Sturm. Davon erzählen sie und von den Turnschuhen, die sie heute zum Spaß getauscht haben – »bei der Sporthalle«. Bildungspate Gebauer hakt nach. Die Jungs korrigieren sich: »In der Sporthalle.« Sie können das auch begründen: »Bei der Sporthalle wäre es gewesen, wenn wir die Schuhe daneben getauscht hätten.« Gebauer lächelt stolz.