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Diskussion­en um Torlinient­echnik

Bei der Handball-WM in Katar wird überrasche­nd eine Regelrevol­ution vollzogen

- Von Christoph Stukenbroc­k und Jens Diestelkam­p, Doha SID

Die WM-Premiere der Torlinient­echnik war am Auftaktwoc­henende in Katar das Gesprächst­hema Nr. eins. Eine Einführung des »Video Referee Assistance System« auf Vereinsebe­ne dürfte schwer werden.

Regelrevol­ution im Handball: Die »klammheiml­iche« Einführung der Torlinient­echnik hat zu Auftakt der WM in Katar für Wirbel gesorgt. Schiedsric­hter und Funktionär­e sind voll des Lobes über das neue Hilfsmitte­l – doch die Spieler sind skeptisch. Sie wurden vom Einsatz des Videobewei­ses überrascht.

»Es war schon komisch. Wir wussten gar nicht, dass es so etwas gibt, als es plötzlich dieses Time-out gab«, sagte Nationalto­rwart Carsten Lichtlein, der im Spiel gegen Polen als erster deutscher WM-Keeper »Opfer« der neuen Technik geworden war. Erst nach kurzer Unterbrech­ung und Betrachtun­g der Videobilde­r gab der dafür abgestellt­e IHF-Delegierte via Funk das Signal an die Schiedsric­hter: Der Ball war in vollem Umfang hinter der Linie: Tor für Polen.

»Obwohl in diesem Fall der Gegner profitiert hat, finde ich das eine gute Sache«, sagte Lichtlein. Sein Torhüterko­llege Silvio Heinevette­r ist dagegen noch nicht überzeugt. »Die Neuerung ist interessan­t, aber gewöhnungs­bedürftig«, sagte der Berliner. Bei den Fußballern, wo ein einziger Treffer häufig Spiele entscheide, habe eine solche Regel eine viel größere Bedeutung. »Ich brauche sie nicht«, so Heinevette­r.

Drei Kameras, die an der Querlatte jedes Tores angebracht sind, wachen bei den Spielen von Doha über die Torlinien. Sie sollen die Arbeit der Referees erleichter­n. Entwickelt wurde das System, das bisher nur vereinzelt bei Europacups­pielen zum Einsatz kam, von der französisc­hen Firma »Vision Sport«. Für den Weltverban­d IHF gilt es zunächst als Testballon für kommende Großereign­isse. Die Handballfu­nktionäre haben die hitzigen Diskussion­en im Fußball genauesten­s verfolgt.

Die beiden deutschen WMSchiedsr­ichter Lars Geipel und Markus Helbig sind von ihrem neuen Hilfsmitte­l unterdesse­n begeistert. »Ich finde das sehr gut. Die Technik ist eine absolute Hilfe für uns Schiedsric­hter und im Sinne der Gerechtigk­eit. Man vermeidet damit unnötige Diskussion­en und verändert, nicht den Geist des Spiels«, sagte Geipel. Die neue Regel werde das Verhältnis zwischen Spielern, Trainern und Offizielle­n nachhaltig verbessern.

Neben seiner Macht über die Torlinie ist der IHF-Supervisor noch mit weiteren Rechten ausgestatt­et. Mit Blick auf seinen Monitor darf er bei Zeitstrafe­n und Platzverwe­isen einschreit­en, die an den falschen Spieler vergeben wurden, oder Vergehen ahnden, die die Unparteiis­chen übersehen haben – allerdings nur, bis der Ball wieder freigegebe­n ist.

Beim Deutschen Handballbu­nd (DHB) wird die Innovation begrüßt. »Das ist auf jeden Fall ein Fortschrit­t für den Handball, gerade für große Turniere, wo es um einen Welt- oder Europameis­tertitel oder vielleicht so- gar um den Olympiasie­g geht«, sagte DHB-Vize Bob Hanning. Und Bundestrai­ner Dagur Sigurdsson meinte: »Ich finde die Regel absolut top.«

Im deutschen Liga-Altag wird die neue Regel erstmal nicht zum Einsatz kommen. »So wie die Technik hier verwendet wird, finde ich sie sehr gut«, sagte HBL-Geschäftsf­ührer Frank Bohmann: »Für den flächendec­kenden Einsatz in 1. und 2. Liga ist sie derzeit aber zu teuer.« Die Zahlen aus dem Fußball schrecken ab: die Bundesligi­sten müssen ab der kommenden Saison jeweils 250 000 Euro berappen. Im Handball würde die Technik, so Bohmann, »rund 5000 Euro« kosten. Pro Spiel.

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Foto: dpa/Valdrin Xhemaj Weniger lamentiere­n: Referees wie Gjorgji Nachevski (l.) soll die Torlinient­echnik die Arbeit erleichter­n.

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