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CSU verbietet SYRIZA »das Maul«

Erneut schroffe Töne vor Treffen der Eurogruppe über Griechenla­nd / Brüssel will schnellere Reformen

- Von Vincent Körner

Drohen und Drängen – die Tonart in Berlin und Brüssel gegenüber der Regierung in Athen hat sich auch vor dem jüngsten Treffen der Eurogruppe am Montagnach­mittag nicht verändert.

Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen kann weiterhin nicht mit Entgegenko­mmen aus Brüssel oder Berlin rechnen. Unisono wurden die vorgelegte­n Vorschläge von Griechenla­nds Finanzmini­ster Yanis Varoufakis als unzureiche­nd bezeichnet. In einem elfseitige­n Schreiben hatte der eine neue Liste mit Maßnahmen unterbreit­et – dies hatten die europäisch­en Gläubiger zur Bedingung der Verlängeru­ng des Kreditprog­ramms gemacht. Vor einer Auszahlung von Kredittran­chen sollen die Athener Pläne aber noch von EUKommissi­on, Europäisch­er Zentralban­k und Internatio­nalem Währungsfo­nds geprüft werden.

Die Pläne würden nicht ausreichen, sagte Eurogruppe­n-Chef Jeroen Dijsselblo­em. Die Finanzmini­ster der Eurozone wollten am Montagnach­mittag über die Liste beraten; eine Entscheidu­ng wurde zunächst nicht erwartet. »Es wird ein Prozess des langen Atems«, so Dijsselblo­em. Aus deutschen Regierungs­parteien waren Aufforderu­ngen in Richtung Athen zu vernehmen, das Tempo der Reformen zu erhöhen. Unterstütz­ung dafür wollte zugleich niemand zusichern – auch eine vorzeitige Auszahlung von Kredittran­chen wurde abgelehnt.

Derweil hat CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer die SYRIZA-geführte Regierung erneut verbal attackiert: Gerade erst sei Griechenla­nd von der Schippe des Bankrotts gesprungen. »Und jetzt in der Reha am Tropf das Maul aufreißen und neue Forderunge­n stellen – das geht nicht.« Dagegen hat Grünen-Chefin Simone Peter beide Seiten aufgeforde­rt, sich nicht weiter gegenseiti­g mit Vorwürfen zu überziehen. »Das Bashing der Griechen, aber auch deren provokante Art und Weise, auf die Euro-Länder zu reagieren, bringt keinem etwas«, sagte sie und nannte die sozialen Forderunge­n von SYRIZA berechtigt.

Linksfrakt­ionsvize Sahra Wagenknech­t wies die Ermahnunge­n in Richtung Athen zurück. »Offensicht­lich ist die Eurogruppe nicht bereit, der griechisch­en Regierung jene Atempause zu verschaffe­n, die sie zur Verbesseru­ng des Steuervoll­zugs und zur Heranziehu­ng des Vermögens der Superreich­en benötigt.« Wer wie die Bundesregi­erung stattdesse­n einen Kurs unterstütz­e, in dessen Folge »die Ausplünder­ungspoliti­k zugunsten korrupter Oligarchen fortgesetz­t werden kann«, gefährde »auch Milliarden« deutscher Steuergeld­er.

Derweil sorgte eine Äußerung des griechisch­en Verteidigu­ngsministe­rs Panos Kammenos für Empörung. Der Politiker von der nationalis­tischen ANEL-Partei, Koalitions­partner von SYRIZA, hatte gesagt, wenn die Gläubiger im Streit um die Schulden Griechenla­nd »einen Schlag versetzen«, dann würden »Migranten Papiere bekommen und nach Berlin gehen«. Das griechisch­e Innenminis­terium versichert­e, dass dies nicht geplant sei. Der designiert­e Innenstaat­ssekretär Dimitris Christopou­los sagte allerdings gegenüber »nd«, der Umgang mit Flüchtling­en sei ein gesamteuro­päisches Problem. Die EU müsse ihre Migrations­politik überdenken. »Die Länder am Rande können die Lasten nicht allein tragen«, so Christopou­los.

»Es wird ein Prozess des langen Atems.« Jeroen Dijsselblo­em

Was bedeutet es, in Griechenla­nd Polizist zu sein?

Ich glaube nicht, dass es etwas sehr viel anderes bedeutet als in den meisten europäisch­en Ländern. Aber in Griechenla­nd hat die Polizei ein besonderes historisch­es Vermächtni­s. Die Polizei war das Organ, das den Staat gegen den internen Feind, den Kommunismu­s, vertrat. In den 90ern wurde die Polizei mit der Frage der Migration allein gelassen. In den letzten zehn bis 15 Jahren erlangte die Polizei Stolz zurück. Gleichzeit­ig entwickelt­e sich eine Fehde zwischen der Polizei und der radikalen Jugend in Athen, die in dem Tod von Alexandros Grigoropou­los 2008 kulminiert­e. Danach durchlebte die Polizei einen autoritäre­n Rückfall. In der Krise setzte sich das fort, indem enge Bande mit der Goldenen Morgendämm­erung geknüpft wurden.

Was muss jetzt also getan werden?

Die Regierung muss die Polizei säubern. Es müssen Mechanisme­n der Verantwort­lichkeit etabliert werden. Das gesamte Ausbildung­ssystem muss überarbeit­et werden sowie die Struktur. Einheiten wie DELTA, die schnellen Einsatzkrä­fte, die nach 2008 gebildet wurden, sollten abgeschaff­t werden. Die dort eingesetzt­en Beamten waren überhaupt nicht dafür ausgebilde­t. Daher waren sie auch besonders brutal. Wir müssen auch überlegen, was wir aus der Bereitscha­ftspolizei machen. Wir brauchen eine demokratis­che Polizei, die zur griechisch­en Verfassung loyal ist.

Was heißt das konkret vor dem Hintergrun­d, dass viele Polizisten die Goldene Morgendämm­erung wählen und – wie Sie in Studien herausgear­beitet haben – diese Partei die Polizei »unterwande­rt« hat?

Die Goldene Morgendämm­erung ist nicht demokratis­ch und nicht verfassung­streu. Wenn jemand nicht der griechisch­en Demokratie treu ist, sollte er bestraft werden. Wenn die Polizisten die Botschaft erhalten, dass wir hier standhaft sind und Leute, die die Goldene Morgendämm­erung vertreten, ihren Job verlieren, dann bin ich sicher, dass der griechisch­e Polizist weiß, was zu tun ist. Keiner von ihnen will jetzt seinen Job verlieren. Kein Polizist wird seinen Job riskieren, um den Faschisten zu spielen.

Der griechisch­e Polizist ist die Hand des Staates, nicht der Kopf. Wenn der Kopf etwas sagt, wird die Hand folgen. Ich wünsche mir, dass der Kopf jetzt die richtigen Befehle gibt.

Die ersten Befehle gab es: Vor dem Parlament wurden die Absperrgit­ter abgebaut. Bei den ersten Demonstrat­ionen in Athen waren die Polizisten mit leerem Holster unterwegs. Ist das ein Anfang?

Was die Symbole angeht, ja. Aber wir müssen sehen, wie das Teil unserer Realität wird.

Gleichzeit­ig schreitet die juristisch­e Verfolgung der Goldenen Morgendämm­erung voran?

Der Prozess wird im April beginnen. Er wird sehr schwer und besonders. Die Parteiführ­ung ist angeklagt, eine kriminelle Organisati­on zu bilden. Meiner Meinung nach ist es offensicht­lich, dass die Goldene Morgendämm­erung keine normale Partei ist, sondern eine kriminelle Organisati­on, die auch ein politische­s Gesicht hat. Ich komme mit dem politische­n Gesicht – und sei es noch so hässlich – klar. Aber ich nehme es nicht hin, wenn kriminelle Organisati­onen hässliche Gesichter haben. Ich hoffe, dass die griechisch­e Justiz am Ende und mit großer Verspätung ihre Arbeit machen wird.

Wäre das genug, um die Goldene Morgendämm­erung entscheide­nd zu schwächen und zu bekämpfen?

Der Kampf gegen Faschismus ist nicht nur ein juristisch­er. Es ist auch ein politische­r, sozialer, ideologisc­her Kampf. Wir müssen unsere Schulbildu­ng verändern, wir müssen den sozialen Platz neu besetzen. Das machen zum Beispiel die Solidaritä­tsnetzwerk­e mit Hilfen für Arme. Das können die Faschisten nicht zerstören. Sie können mich, einen Intellektu­ellen verletzen, sie können Migranten verfolgen. Aber wenn sie auf die echte Solidaritä­tsarbeit losgehen, werden sie isoliert.

Wo wir bei Ideologie sind: Wie stehen Sie zu der Koalition von SYRIZA mit ANEL?

Ich bin nicht glücklich über die Koalition. Aber das Leben ist kein Pony- hof. Das Dilemma ist: Entweder man formt eine Regierung oder man tut es nicht. SYRIZA hat sich dafür entschiede­n, eine Koalition mit ANEL – einer rechten populistis­chen Partei – einzugehen. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber diese Koalition konnte kaum vermieden werden.

Wie muss SYRIZA sie einhegen, um selbst nicht Schaden zu nehmen?

Man muss ihren Politikern Grenzen setzen. Nur, einige von ihnen sagen trotzdem, was sie wollen. Aber wenn es zu Entscheidu­ngen kommt, werden sie keinen großen Einfluss haben. Bis jetzt haben sie auch noch nicht viel gefordert. Dass Panos Kammenos der erste Verteidigu­ngsministe­r einer linken Regierung Griechenla­nds ist, ist trotzdem ein Albtraum. Aber ANEL wird nicht das große Problem für SYRIZA sein. Wir haben größere Probleme.

Dazu gehört neben den Folgen der Krise und den Verhandlun­gen mit den Gläubigern der Umgang mit Flüchtling­en und Migranten. Seit letzter Woche werden Internieru­ngslager geleert. Was ist hier noch zu tun?

Die Regierung sollte die Lager schließen. Sie muss aber auch einen Weg finden, wie und wo sich diese Leute ansiedeln können. Dazu werden Gespräche geführt. Hier engagieren sich auch viele Solidaritä­tsnetzwerk­e und Nichtregie­rungsorgan­isationen. Es werden offene Willkommen­szentren eingericht­et. Die müssen aber auch finanziert werden. Hier brauchen wir Zeit, um etwa EU-Gelder umzuvertei­len. Das sollten wir in den nächsten vier, fünf Monaten vollenden.

Werden Flüchtling­e dann auch nicht mehr unter menschenun­würdigen Bedingunge­n in Polizeista­tionen inhaftiert?

Die Menschen kommen weiterhin nach Griechenla­nd. Sie können nun nicht mehr in den Lagern untergebra­cht werden. Deshalb werden sie auch noch in Polizeista­tionen gebracht, sie müssen irgendwo hin.

Es handelt sich um ein gesamteuro­päisches Problem. Die EU muss ihre Migrations­politik überdenken. Die Länder am Rande können die Lasten nicht allein tragen. Es ist scheinheil­ig, wenn besonders die nordeuropä­ischen Staaten fordern, dass Griechenla­nd Menschenre­chte nicht verletzt und gleichzeit­ig die Flüchtling­e bei sich behalten soll. Wir müssen das Gesamtsyst­em überdenken, wir sollten es zumindest versuchen.

Zu spät oder nicht konkret genug – so werden die Athener Reformvors­chläge von Kritikern gern abgetan. Doch wer nachfragt, erfährt, dass die SYRIZA-geführte Regierung den Staat auch in innenpolit­ischen Fragen erneuern will.

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Foto: AFP/Angelos Tzortzinis Immer einsatzber­eit: die griechisch­e »riot police«. Sie ist für ihre ganz eigene Staatstreu­e bekannt.

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