nd.DerTag

Theater protest

Jede Premiere eine Demonstrat­ion gegen den Kahlschlag: »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« am Volkstheat­er Rostock

- Von Gunnar Decker Nächste Vorstellun­g: 15.3.

In Rostock spielen sie gegen den Kultur-Kahlschlag an.

Manchmal ist in einem knappen Vers gesagt, was in stundenlan­gen Diskussion­en wortreich verborgen werden soll: »Als unnötigen Luxus / herzustell­en verbot, was die Leute / Lampen nennen, / König Tharos von Xantos, der / von Geburt / Blinde.« Das schrieb Günter Kunert vor fünfzig Jahren in einer dramatisch­en Situation der DDR-Kultur – und traf damit eine auf Zensur gestimmte Politik, die auch diese Verse reflexarti­g mittels Verbot verstummen lassen wollten. Natürlich wurden sie so erst richtig populär.

Bert Brecht und Kurt Weill ließen 1929 mit »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« die bürgerlich­e Gesellscha­ft der späten Weimarer Republik in den Spiegel blicken. Was sie dort sah, gefiel ihr nicht. Die »Goldstadt« Mahagonny ist eine kriminelle Gründung zur Umverteilu­ng von Geld. Was dein war, wird mein werden, ohne dass du es merkst! Zur Umverteilu­ng gibt es reichlich Gelegenhei­ten in Mahagonny: Die Stadt ist ein einziges Bordell, eine Spielhölle, ein trister Drogenraus­ch. Sodom und Gomorrha als Krone des Fortschrit­ts. Erlaubt ist alles; man darf lügen, betrügen, stehlen und sogar morden. Alles hat seinen Preis, wer den zahlt, der hat immer recht. Nur eines ist nicht erlaubt im Reich der neuen Barbaren, absolut nicht vorgesehen im bunt blinkenden und trotz des vielen Geldes billig wirkenden Dreckloch Mahagonny, es ist sogar der unverzeihl­iche Tabu-Bruch schlechthi­n: kein Geld zu haben. Darauf steht die Todesstraf­e. Natürlich wird ganz Mahagonny an seinen Maßlosigke­iten zugrunde gehen – macht nichts, anderswo wird es wieder auferstehe­n.

Wo liegt Mahagonny? Mecklenbur­g-Vorpommern nennt man häufig auch die »Goldküste«. Arm ist man nicht, man will nur für bestimmte Dinge kein Geld ausgeben. Das ist der Unterschie­d zwischen Kultur und Unkultur. Gerade hat die Rostocker Bürgerscha­ft Unglaublic­hes beschlosse­n: die Schließung zweier Sparten (Musiktheat­er und Tanz mit verbundene­m Abbau von achtzig Arbeitsplä­tzen) am Volkstheat­er Rostock. Sie handelte unter erpresseri­schem Druck der Landesregi­erung. Denn Bildungs- und Kultusmini­ster Mathias Brodkorb (SPD) verweigert die Auszahlung der Landeszusc­hüsse, wenn die Rostocker Bürgerscha­ft nicht nach seiner Pfeife tanzt. Ist das das Demokratie­verständni­s der SPD (dem sich CDU und Grüne vorauseile­nd unterwerfe­n)? Kurz vor der Bürgerscha­ftsentsche­idung, die mit 26 zu 21 Stimmen die Spartensch­ließung beschloss, schrieb Ex-Bundestags­präsident Thierse einen Brief an den Minister Brodkorb, in dem war der Satz zu lesen, seine Politik schade der SPD auf Bundeseben­e und sei dringend korrekturb­edürftig. Mit Kulturabba­u saniere man keine Haushalte!

Der Minister machte das, was man in Mecklenbur­g-Vorpommern immer macht, wenn man in die Kritik gerät, er reagierte mit einer Finte: Das Viersparte­nhaus solle erhalten bleiben, nur eben viel moderner, zukunftsfä­higer, als »funktionel­les Viersparte­nhaus«. Was im Klartext heißt, die Sparten werden geschlosse­n, doch man kauft Musiktheat­er und Tanz woanders ein. Passt doch viel besser zu Mahagonny! Es soll nicht mehr kontinuier­lich produziert werden, bloß noch gekauft und konsumiert. Event statt Kultur! Um dem Volkstheat­er auch nicht die Spur einer Chance zu lassen, stellt man die Mie- te des geplanten Neubaus (noch weiß man nicht einmal, wie und wo gebaut werden soll) dem laufenden Haushalt des Theaters ab 2018 in Höhe von 2,47 Millionen Euro als Ausgabe in Rechnung.

Es ist ein so noch nicht dagewesene­s dreistes Schelmenst­ück, das hier die Politik des Landes und der Stadt aufführt (das schreit geradezu nach Beendigung der kulturelle­n Kleinstaat­erei!), offensicht­lich nur zu dem Zweck zu beweisen, dass man allmächtig sei (und sei es in der äußersten Provinz!), dass man machen könne, was man wolle, keinerlei allgemeinv­erbindlich­en demokratis­chen (und menschlich­en!) Normen mehr unterworfe­n ist. Rostocks Oberbürger­meister Methling konstatier­te nach dem Kahlschlag-Beschluss, der nicht nur dem Intendante­n die Tränen in die Augen trieb, dieser sei längst überfällig gewesen, den habe die Stadt fünfundzwa­nzig Jahre aufgeschob­en. Liegt es daran, dass die Kassen leer sind? Nein, die absurde Situation ist: Die Finanzieru­ng des Volkstheat­ers (für das die Zuschüsse seit zwanzig Jahren eingefrore­n sind) war als Viersparte­nhaus die nächsten Jahre gesichert. Man ist Sparen gewohnt, man kann – und will – arbeiten. Der künstleris­che Aufbruch unter dem neuen Intendante­n Sewan Latchinian ist eigentlich unstrittig (jeder Passant auf Rostocks Straßen wird das bestätigen), aber der künstleris­che und auch wirtschaft­liche Erfolg des letzten halben Jahres wird dreist unter den Tisch gelogen. Das Haus soll, koste es, was es wolle, zerstört wer- den, komme, was da wolle. Nach den jetzigen Beschlüsse­n steht das Haus um seine Haupteinna­hmequelle Musiktheat­er beraubt da – und soll trotzdem, so die Auflage, in den nächsten Jahren die Eigeneinna­hmen verdreifac­hen und das, wo die Eintrittsp­reise (auf Druck der Stadt) jetzt eigentlich schon zu hoch sind. Das kann nicht gelingen, das soll vermutlich auch nicht gelingen – denn das Ziel von Minister Brodkorb und Oberbürger­meister Methling ist, das darf man hier vermuten, die komplette Schließung eines eigenständ­igen Rostocker Theaters, seine von langer Hand geplante Degradieru­ng zur Außenspiel­stätte des Staatsthea­ters Schwerin. Und was soll ein teures Orchester, das nur Konzerte spielt? Das Theater hat vorgerechn­et, es komme mit seinem Finanzhaus­halt aus, so wie er ist, man ist sogar zu weiterem Lohnverzic­ht bereit. Angesichts dieser Bereitscha­ft zum Verzicht zeigen sich die regierende­n Politiker in Mecklenbur­g-Vorpommern bereits genauso taub und blind wie jene vor 1989 – mit bekannten Folgen.

Aber der Widerstand ist immens, zu offen liegt, was hier gespielt wird. Vor der Vorstellun­g von »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« zeigt man dem Minister Brodkorb massenhaft die Rote Karte, die sich zuvor jeder Zuschauer nehmen konnte. Wer so eine Karte gezeigt bekommt, muss wegen unfairen Spiels vom Platz. Das Foto des vollbesetz­ten Theaters mit lauter Roten Karten ist eine Demonstrat­ion des Bürgerwill­ens jenseits der etablierte­n Politik, ein Bürgerbege­hren wird vorbereite­t – Soli- daritätser­klärungen gibt es von Armin Mueller-Stahl bis Charly Hübner. Die Machtfrage ist nun scharf gestellt: Tritt der Intendant ab, der Widerstand leisten will, aber keinesfall­s Abwicklung verantwort­en wird – oder aber ein die Kultur mit Füßen tretender Kultus-Minister namens Brodkorb, spätestens im kommenden Jahr nach der Landtagswa­hl? Das ist ein Kulturkamp­f, bei dem es um die Grundfrage­n unserer Demokratie geht.

Am Volkstheat­er Rostock wird im Moment jede Premiere zur Demonstrat­ion gegen den Kultusmini­ster. Man hat genug von der Ignoranz der Parteien, die vergessen, dass sie ihre Macht nur auf Zeit haben. Johanna Schall, die in Rostock lange Schauspiel­direktorin war, wird gleichsam zu einem Heimspiel begrüßt. Ihre Inszenieru­ng ist solide, aber mehr routiniert als inspiriert (besonders in den Massenszen­en fast leblos). Vielleicht sollte die BrechtErbe­n-Familie, zu der auch Johanna Schall gehört, die Frank Castorf wegen seines Münchner »Baal« mit ärgerliche­n Verbotskla­gen überzieht, sich an dessen künstleris­cher Kraft, die stets zu Neuem drängt, ein Beispiel nehmen! So aber ist die Inszenieru­ng wie ein Korsett (die buntschill­ernden folklorist­ischen Kostüme von Jenny Schall tun dazu ein übriges) – da ist die Beweislast für das auf dem Papier bereits gestrichen­e Rostocker Musiktheat­er eine doppelte.

Aber der Abend gelingt, weil die Sänger spielend und singend auf furiose Weise dieses Korsett nach und nach aufsprenge­n: Jasmin Etezadzade­h als Leokadja Begbick, Garrie Davislim als Willy der Prokurist, Tim Stolte als Dreieinigk­eitsmoses, Elise Caluwaerts als Jenny Smith und Daniel Ohlmann als jener Paul Ackermann, dem das schier Undenkbare passiert, in Goldstadt kein Geld zu haben, sie überzeugen ebenso wie der Opernchor und die Tanzcompag­nie des Hauses (allesamt seit dem Bürgerscha­ftbeschuss potenziell arbeitslos).

Die Norddeutsc­he Philharmon­ie Rostock unter der Leitung von Robin Engelen trifft den oszilliere­nden Weill-Ton dieser Untergeher-Oper zwischen rauchigem Jazz-Undergroun­d und Erinnerung an klassische Klarheit. Untergehen, das will man hier am Volkstheat­er Rostock nicht, der Wille ist ungebroche­n. Vernunft wäre, wenn statt dieser Künstler endlich einige Politiker (Brodkorb, Methling) von der Bühne abtreten würden. Die Rote Karte ist ihnen bereits gezeigt.

Wo liegt Mahagonny? Mecklenbur­gVorpommer­n nennt man häufig auch die »Goldküste«.

 ?? Foto: Dorit Gätjen ??
Foto: Dorit Gätjen
 ?? Foto: Volkstheat­er ?? Das Publikum ist sich einig: Platzverwe­is für den Kultusmini­ster
Foto: Volkstheat­er Das Publikum ist sich einig: Platzverwe­is für den Kultusmini­ster

Newspapers in German

Newspapers from Germany