Theater protest
Jede Premiere eine Demonstration gegen den Kahlschlag: »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« am Volkstheater Rostock
In Rostock spielen sie gegen den Kultur-Kahlschlag an.
Manchmal ist in einem knappen Vers gesagt, was in stundenlangen Diskussionen wortreich verborgen werden soll: »Als unnötigen Luxus / herzustellen verbot, was die Leute / Lampen nennen, / König Tharos von Xantos, der / von Geburt / Blinde.« Das schrieb Günter Kunert vor fünfzig Jahren in einer dramatischen Situation der DDR-Kultur – und traf damit eine auf Zensur gestimmte Politik, die auch diese Verse reflexartig mittels Verbot verstummen lassen wollten. Natürlich wurden sie so erst richtig populär.
Bert Brecht und Kurt Weill ließen 1929 mit »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« die bürgerliche Gesellschaft der späten Weimarer Republik in den Spiegel blicken. Was sie dort sah, gefiel ihr nicht. Die »Goldstadt« Mahagonny ist eine kriminelle Gründung zur Umverteilung von Geld. Was dein war, wird mein werden, ohne dass du es merkst! Zur Umverteilung gibt es reichlich Gelegenheiten in Mahagonny: Die Stadt ist ein einziges Bordell, eine Spielhölle, ein trister Drogenrausch. Sodom und Gomorrha als Krone des Fortschritts. Erlaubt ist alles; man darf lügen, betrügen, stehlen und sogar morden. Alles hat seinen Preis, wer den zahlt, der hat immer recht. Nur eines ist nicht erlaubt im Reich der neuen Barbaren, absolut nicht vorgesehen im bunt blinkenden und trotz des vielen Geldes billig wirkenden Dreckloch Mahagonny, es ist sogar der unverzeihliche Tabu-Bruch schlechthin: kein Geld zu haben. Darauf steht die Todesstrafe. Natürlich wird ganz Mahagonny an seinen Maßlosigkeiten zugrunde gehen – macht nichts, anderswo wird es wieder auferstehen.
Wo liegt Mahagonny? Mecklenburg-Vorpommern nennt man häufig auch die »Goldküste«. Arm ist man nicht, man will nur für bestimmte Dinge kein Geld ausgeben. Das ist der Unterschied zwischen Kultur und Unkultur. Gerade hat die Rostocker Bürgerschaft Unglaubliches beschlossen: die Schließung zweier Sparten (Musiktheater und Tanz mit verbundenem Abbau von achtzig Arbeitsplätzen) am Volkstheater Rostock. Sie handelte unter erpresserischem Druck der Landesregierung. Denn Bildungs- und Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) verweigert die Auszahlung der Landeszuschüsse, wenn die Rostocker Bürgerschaft nicht nach seiner Pfeife tanzt. Ist das das Demokratieverständnis der SPD (dem sich CDU und Grüne vorauseilend unterwerfen)? Kurz vor der Bürgerschaftsentscheidung, die mit 26 zu 21 Stimmen die Spartenschließung beschloss, schrieb Ex-Bundestagspräsident Thierse einen Brief an den Minister Brodkorb, in dem war der Satz zu lesen, seine Politik schade der SPD auf Bundesebene und sei dringend korrekturbedürftig. Mit Kulturabbau saniere man keine Haushalte!
Der Minister machte das, was man in Mecklenburg-Vorpommern immer macht, wenn man in die Kritik gerät, er reagierte mit einer Finte: Das Vierspartenhaus solle erhalten bleiben, nur eben viel moderner, zukunftsfähiger, als »funktionelles Vierspartenhaus«. Was im Klartext heißt, die Sparten werden geschlossen, doch man kauft Musiktheater und Tanz woanders ein. Passt doch viel besser zu Mahagonny! Es soll nicht mehr kontinuierlich produziert werden, bloß noch gekauft und konsumiert. Event statt Kultur! Um dem Volkstheater auch nicht die Spur einer Chance zu lassen, stellt man die Mie- te des geplanten Neubaus (noch weiß man nicht einmal, wie und wo gebaut werden soll) dem laufenden Haushalt des Theaters ab 2018 in Höhe von 2,47 Millionen Euro als Ausgabe in Rechnung.
Es ist ein so noch nicht dagewesenes dreistes Schelmenstück, das hier die Politik des Landes und der Stadt aufführt (das schreit geradezu nach Beendigung der kulturellen Kleinstaaterei!), offensichtlich nur zu dem Zweck zu beweisen, dass man allmächtig sei (und sei es in der äußersten Provinz!), dass man machen könne, was man wolle, keinerlei allgemeinverbindlichen demokratischen (und menschlichen!) Normen mehr unterworfen ist. Rostocks Oberbürgermeister Methling konstatierte nach dem Kahlschlag-Beschluss, der nicht nur dem Intendanten die Tränen in die Augen trieb, dieser sei längst überfällig gewesen, den habe die Stadt fünfundzwanzig Jahre aufgeschoben. Liegt es daran, dass die Kassen leer sind? Nein, die absurde Situation ist: Die Finanzierung des Volkstheaters (für das die Zuschüsse seit zwanzig Jahren eingefroren sind) war als Vierspartenhaus die nächsten Jahre gesichert. Man ist Sparen gewohnt, man kann – und will – arbeiten. Der künstlerische Aufbruch unter dem neuen Intendanten Sewan Latchinian ist eigentlich unstrittig (jeder Passant auf Rostocks Straßen wird das bestätigen), aber der künstlerische und auch wirtschaftliche Erfolg des letzten halben Jahres wird dreist unter den Tisch gelogen. Das Haus soll, koste es, was es wolle, zerstört wer- den, komme, was da wolle. Nach den jetzigen Beschlüssen steht das Haus um seine Haupteinnahmequelle Musiktheater beraubt da – und soll trotzdem, so die Auflage, in den nächsten Jahren die Eigeneinnahmen verdreifachen und das, wo die Eintrittspreise (auf Druck der Stadt) jetzt eigentlich schon zu hoch sind. Das kann nicht gelingen, das soll vermutlich auch nicht gelingen – denn das Ziel von Minister Brodkorb und Oberbürgermeister Methling ist, das darf man hier vermuten, die komplette Schließung eines eigenständigen Rostocker Theaters, seine von langer Hand geplante Degradierung zur Außenspielstätte des Staatstheaters Schwerin. Und was soll ein teures Orchester, das nur Konzerte spielt? Das Theater hat vorgerechnet, es komme mit seinem Finanzhaushalt aus, so wie er ist, man ist sogar zu weiterem Lohnverzicht bereit. Angesichts dieser Bereitschaft zum Verzicht zeigen sich die regierenden Politiker in Mecklenburg-Vorpommern bereits genauso taub und blind wie jene vor 1989 – mit bekannten Folgen.
Aber der Widerstand ist immens, zu offen liegt, was hier gespielt wird. Vor der Vorstellung von »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« zeigt man dem Minister Brodkorb massenhaft die Rote Karte, die sich zuvor jeder Zuschauer nehmen konnte. Wer so eine Karte gezeigt bekommt, muss wegen unfairen Spiels vom Platz. Das Foto des vollbesetzten Theaters mit lauter Roten Karten ist eine Demonstration des Bürgerwillens jenseits der etablierten Politik, ein Bürgerbegehren wird vorbereitet – Soli- daritätserklärungen gibt es von Armin Mueller-Stahl bis Charly Hübner. Die Machtfrage ist nun scharf gestellt: Tritt der Intendant ab, der Widerstand leisten will, aber keinesfalls Abwicklung verantworten wird – oder aber ein die Kultur mit Füßen tretender Kultus-Minister namens Brodkorb, spätestens im kommenden Jahr nach der Landtagswahl? Das ist ein Kulturkampf, bei dem es um die Grundfragen unserer Demokratie geht.
Am Volkstheater Rostock wird im Moment jede Premiere zur Demonstration gegen den Kultusminister. Man hat genug von der Ignoranz der Parteien, die vergessen, dass sie ihre Macht nur auf Zeit haben. Johanna Schall, die in Rostock lange Schauspieldirektorin war, wird gleichsam zu einem Heimspiel begrüßt. Ihre Inszenierung ist solide, aber mehr routiniert als inspiriert (besonders in den Massenszenen fast leblos). Vielleicht sollte die BrechtErben-Familie, zu der auch Johanna Schall gehört, die Frank Castorf wegen seines Münchner »Baal« mit ärgerlichen Verbotsklagen überzieht, sich an dessen künstlerischer Kraft, die stets zu Neuem drängt, ein Beispiel nehmen! So aber ist die Inszenierung wie ein Korsett (die buntschillernden folkloristischen Kostüme von Jenny Schall tun dazu ein übriges) – da ist die Beweislast für das auf dem Papier bereits gestrichene Rostocker Musiktheater eine doppelte.
Aber der Abend gelingt, weil die Sänger spielend und singend auf furiose Weise dieses Korsett nach und nach aufsprengen: Jasmin Etezadzadeh als Leokadja Begbick, Garrie Davislim als Willy der Prokurist, Tim Stolte als Dreieinigkeitsmoses, Elise Caluwaerts als Jenny Smith und Daniel Ohlmann als jener Paul Ackermann, dem das schier Undenkbare passiert, in Goldstadt kein Geld zu haben, sie überzeugen ebenso wie der Opernchor und die Tanzcompagnie des Hauses (allesamt seit dem Bürgerschaftbeschuss potenziell arbeitslos).
Die Norddeutsche Philharmonie Rostock unter der Leitung von Robin Engelen trifft den oszillierenden Weill-Ton dieser Untergeher-Oper zwischen rauchigem Jazz-Underground und Erinnerung an klassische Klarheit. Untergehen, das will man hier am Volkstheater Rostock nicht, der Wille ist ungebrochen. Vernunft wäre, wenn statt dieser Künstler endlich einige Politiker (Brodkorb, Methling) von der Bühne abtreten würden. Die Rote Karte ist ihnen bereits gezeigt.
Wo liegt Mahagonny? MecklenburgVorpommern nennt man häufig auch die »Goldküste«.