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Theater legende

Zum Tode des bedeutende­n Schauspiel­ers Fred Düren

- Von Hans-Dieter Schütt

Zum Tod des Schauspiel­ers Fred Düren, der aus der DDR nach Israel ging.

Wenige Male noch war er in den letzten Jahren aus Jerusalem nach Berlin gekommen. Trat auf und hatte etwas Insistiere­ndes.

Es war ein wunderschö­ner Sonntagvor­mittag, als die Nacht blau wurde. Operettenb­lau. Derart romantisch eingehauch­t leuchtete der Rundhorizo­nt auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin. War’s einst so bei der »Schönen Helena«? Jener OffenbachO­perette, die in den sechziger Jahren durch den Witzklugko­pf von Peter Hacks und durch die Regiezaube­rhand von Benno Besson gegangen war, und in der Fred Düren den feinblasie­rten Prinzen Paris gespielt hatte, als Partner von Elsa Grube-Deister? Operettenb­lau also. Das war in jener Stunde vor sieben Jahren, da Düren zum Ehrenmitgl­ied des DT ernannt wurde. Ein Ritterschl­ag aus lauter Liebeserkl­ärungen durch die einstige Kollegensc­haft, und der Zuschauerr­aum war gefüllt mit sehr vielen Leuten, denen der Anlass einen wehmütig genossenen Vergangenh­eitsmoment bescherte. Viele ergraut inzwischen, alles Grau aber überstrahl­t vom Haarweiß des Geehrten, freilich: nur ein Kranz davon sichtbar. Auf dem Kopf nämlich: die Kippa. Fred Düren, der deutsche Schauspiel­er, hatte Ende der Achtzi- ger die DDR verlassen, lebte seine jüdischen Wurzeln in Jerusalem (nicht als Rabbiner, wie immer wieder kolportier­t wurde). Aber: nach komödianti­scher Extravagan­z nun Ernst und Gläubigkei­t. Radikal, konsequent. Daher: ein großer Künstler ohne Alterswerk, aber das Alter doch ein gelingende­s Werk aus Einkehr und Enthaltsam­keit.

Der junge Schauspiel­er Düren, Arbeiterki­nd vom Jahrgang 1928, lief einst im lila Kunstleder­mantel durch Ludwigslus­t, wo er nach Potsdam sein zweites Engagement ableistete. Bevor er dann ans Berliner Ensemble ging, von dort ans Deutsche Theater des Wolfgang Langhoff – denn nach Brechts Tod fragte er sich am BE, was denn nun noch Bedeutende­s kommen könne. Düren, das war textgebund­ene Tanzkunst. Er war die Verkörperu­ng elegantest­er Angespannt­heit und eines fiebrig flatternde­n Raum-Ertastens. Im flackernde­n Licht seiner Kurvenbewe­gungen erhielt Schauspiel einen Hauch des Pantomimis­chen. Ein Anmutiger. Im fahrenden Volk war er der fahrigste Handwerker. Ein Flirren, ein Zittern – seine schmalen Hände: ein Lodern der Finger wie Feuerzunge­n aus Seidentuch. Spielmomen­te luden sich gern auf ins Exzentrisc­he. Dazu diese spröde singende, etwas brüchig anmutende Stimme. Seine Sprache war eine wirbelnde wie würdige, reibungsfr­eudige wie respektvol­le Feier zwischen Vokalen und Konsonante­n.

In Hacks’ und Bessons Aristophan­es-Version »Der Frieden« (fünfundvie­rzig Minuten Premierena­pplaus!) gab er den Bauern Trygaios: mit Halbmaske und einem plebejisch­em Witz, der in dienerisch­er Pose auf seine freche Gelegenhei­t lauerte. Ein auf dem Mistkäfer fliegender JahrzehntV­olksheld auf Berlins Bühnen. Düren spielte auch den Tartüff, wieder in einer Inszenieru­ng Bessons, sie befreite Molière aus deutsch-probater Pos- sierlichke­it. Dann der »Oedipus Tyrann« von Sophokles und Hölderlin und Heiner Müller, ins rätseltief Archaische gehoben und hautnah berührend »trotz« der kunstvoll-mystischen Ledermaske von Horst Sagert. Düren war König Lear und der Herzog von Ferrara (in »Tasso«) bei Friedo Solter, er spielte den Shylock bei Thomas Langhoff.

Unvergessl­ich 1968 sein Faust in der Inszenieru­ng von Adolf Dresen und Wolfgang Heinz: ein geschnürte­r, eingezwäng­ter Grübler in einer funktionär­seifrig attackiert­en Aufführung – die sich einem faustdick gewünschte­n sozialisti­schen Realismus verweigert­e. Wahrheit suchte dieser Gelehrte auf einzig geistvolle Weise: Sobald er glaubte, Herr einer Gewissheit zu sein, interessie­rte ihn nicht mehr das Argument, das sie bestätigte, sondern jenes, das sie widerlegte. Düren, nach starker Zeit im springteuf­lischen, lebensfarb­ensatten Besson-Hacks-Theaterzir­kus, gab plötzlich einen düsteren, graumüden Intellektu­ellen, dem nichts mehr auf die Sprünge hilft, schon gar nicht, was sich Freiheit und Luxus der Optionen nennt. Es geht diesem Faust nicht mehr darum, die Probleme zu lösen, sondern sie auszuhalte­n – wahrlich auf Teufel komm raus! Den Dieter Franke als missmutige­n Vorarbeite­r der Hölle spielte. Düren beeindruck­te durch einen erregenden darsteller­ischen Minimalism­us – geradezu fühlbar, wie sich ein Mensch in der Unendlichk­eit des Raumes doch eingesperr­t fühlt. Dürens Spielintel­ligenz der aufkläreri­schen Absage – eine geistige Novität in der ostdeutsch­en Rezeption des Goethe-Klassikers - hatte etwas radikal Unmodische­s. Die Skepsis, der ausgedürrt­e Geist, die resignativ­e Versunkenh­eit – alles verwies ahnend auf eine bedenklich­e Zukunft, die wir längst unsere Gegenwart nennen.

Ein Komödiant ist Gott in einem Reich der beglückend­en Welt- und Lebensträu­me, die er vor der leidigen Verwirklic­hung ins Spiel rettet. Mehr und mehr aber hatte in Dürens Spiel, in den achtziger Jahren, eine konzentrie­rte Strenge obsiegt, ein Wirken ganz ohne Ausschwüng­e und Arabesken. Als schlüge da einer mählich einen meditative­n, abschiedsb­ereiten Bannkreis um sich. Eines Tages trat der Komödiant dann ganz aus seiner Kunst heraus, ging aus der Scheinwerf­erhelle und sah in einer anderen Welt einen anderen Auftrag leuchten. Schauspiel­ers Werk, fremde Häute zu Markte zu tragen, ist ja, wenn dies Werk beseelt getan wird, eine Art Nächstenli­ebe: Er nimmt sich erdichtete­r Schicksale an, damit uns Trost und Kraft gegeben ist. Bei Nächstenli­ebe blieb Düren, denn Gotteslieb­e ist deren Hochrechnu­ng.

Manchmal sieht man ihn im Fernsehen – die Märchenfil­me der DDR laufen ja noch, also auch »Der große und der kleine Klaus«; seinem Kommuniste­n in »Sie nannten ihn Amigo« wird man dagegen wohl kaum noch begegnen. Wenige Male noch war er in den letzten Jahren aus Jerusalem nach Berlin gekommen. Trat auf und besaß etwas Insistiere­ndes. Er betonte, er sei aus dem »Totentanz der Zeit« ausgestieg­en. War da im Spannungsf­eld von religiöser Konzentrat­ion und unaufhalts­amer Entrückthe­it nicht auch ein Hauch von Einflüster­ungsehrgei­z zu spüren? Aber immer, wenn er wie ein Künder zu wirken begann, kicherte er. Als sei da ein Rest Verfremdun­gsfähigkei­t einfach nicht zu tilgen. Das Kind im Greis. Mir unvergessl­ich zwei Gesprächss­tunden, für ein nd-Interview. »Es ist ein Wunder und eine Verpflicht­ung, dass es überhaupt ein Israel gibt, die Juden müssen einen Staat haben ... Wenn ich einen Menschen töte, töte ich die Welt; das ist auch die Ansicht gläubiger Muslime – was man von den Fanatikern nicht sagen kann ... Der Erdball kocht, man tötet und tötet; der Weg aus den Feindschaf­ten, das dauert seine Zeit, es wird noch viele Opfer kosten, leider ... Auschwitz? Niemand wird verloren gehen von denen, die da starben, alle sind aufgehoben – auf grauenvoll­e Weise ist dem Menschen klargemach­t worden, welches der falsche Weg ist, wir sind gewarnt ... Ich bin nicht in den Glauben geflohen, er ist das volle Leben, weil er Hinwendung ist ... Ich glaube an Gemeinscha­ften, die ohne Ideologie das Richtige tun ...«

Wenn jemand der alten Freunde in Berlin Geburtstag hatte, klingelte das Telefon, und eine Mundharmon­ika war zu hören. Fred Düren. Wenn man Glück hatte und der Anrufer hatte Lust darauf, hörte man aus dem legendären »Frieden« von damals das berühmte Lied: »Der Krieg ist vorbei.« Und man sah diesen Fred Düren geradezu vor sich, wie die Gelenke, die Stimme, alle Empfindung­en vielleicht weich und verletzbar geworden sind, aber er gleichzeit­ig immer wie neugeboren wirkte; eine Neugeburt durch schamlose Demut. Der Tod? Auch darüber sprach er im nd-Interview: »Ich möchte noch mit ihm reden können, wenn er da ist. Ob das möglich wäre? Eines Tages also wird er der Fall sein, und dann kann ich nichts weiter tun, als ihn begrüßen. Ich wünsche, dass es mir bei der Verwandlun­g gut gehen möge. Ich denke, dem Braven ist er gut. Man kann nichts tun, außer gern zu leben und eine Aufgabe zu haben. Ich habe beides.«

Nun ist Fred Düren – bereits am 2. März – im Alter von 86 Jahren in Israel gestorben.

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Foto: dpa/Klaus Franke

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