Zum Glück unbescheiden
Yanis Varoufakis’ Ideen zur Lösung der Eurokrise gibt es jetzt auch auf Deutsch
Wenn derzeit von Vorschlägen der Regierung in Griechenland die Rede ist, dann bewegen sich die deutschen Reaktionen meist in einem engen Korridor, in dem es offenbar nicht erlaubt ist, sich Ideen aus Athen unvoreingenommen zu nähern. Meist hören wir stattdessen, die SYRIZA-Leute hätten entweder keinen Plan, legten ihre Vorschläge zu spät vor, außerdem seien sie unzureichend, nicht vollständig oder überhaupt Quark.
Ist das so? Man kann sich selbst ein Bild machen. Yanis Varoufakis hat gemeinsam mit den Ökonomen Stuart Holland und James K. Galbraith einen Vorschlag vorgelegt, der sich bescheiden nennt, dies aber nicht ist. Zum Glück. Das geht schon mit dem Titel los, eine Anlehnung an Jonathan Swifts sozialkritische Satire von 1792. Vor allem aber ist der Vorschlag der drei Ökonomen unbescheiden, weil er auf nichts Geringeres als eine grundlegende Änderung der Krisenpolitik in Europa zielt – und dabei auf eine Art realpolitisch ist, die allen Claqueuren des »There is no Alternative« wie eine Ohrfeige vorkommen muss. Eigentlich sind es vier Vorschläge, erstmals wurden sie von Varoufakis und Holland 2010 formuliert und nach dem Hinzustoßen von Galbraith 2013 neu aufgelegt – nun sind sie auf Deutsch erschienen.
Das Ruder des europäischen Krisenkahns publizistisch auf nur 63 Seiten inklusive Fußnoten herumzureißen – auch das klingt unbescheiden. Erstens plädieren die drei für eine Strategie gegen die Bankenkrise, bei der die Europäische Zentralbank (EZB) in Schieflage geratene Banken rekapitalisiert, dafür Anteile an den Banken erhält, welche bei erfolgreicher Sanierung wieder verkauft werden können, um die Kosten zu decken. Eine zweite Strategie zielt darauf ab, dass die EZB die Staatsanleihen aller Euroländer bei jeweiliger Fälligkeit zurückzahlt – aber nur in der anteiligen Höhe der im Maastrichtvertrag festgelegten Verschuldungsobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; das dafür benötigte Geld solle die EZB am Kapitalmarkt aufnehmen. Die dritte Strategie soll gegen die europäische Investitionskrise helfen – also dazu beitragen, dass Geld wieder produktiv angelegt wird. Dabei sollen die EZB, die Europäische Investitionsbank und der Europäische Investitionsfonds eine neue, größere Rolle spielen. Und viertens schlagen die Autoren vor, dass Sozialprogramme in allen Euroländern aus den Zinsen für Target-Salden finanziert werden, die bei Verrechnungen zwischen einzelnen Zentralbanken entstehen.
Das ist teils kompliziert ausgedacht, hat aber den großen Vorteil, dass für die Umsetzung der vier Vorschläge nicht ein europäisches Vertragswerk geändert werden müsste. »Sie erfordern nur eines, das bedauerlicherweise derzeit fehlt«, heißt es in dem Büchlein: »den politischen Willen der verantwortlichen Politiker in Europa.« Man kann diesen Unwillen täglich messen: an den voreingenommenen deutschen Reaktionen auf Vorschläge der Regierung in Athen.