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Zum Glück unbescheid­en

Yanis Varoufakis’ Ideen zur Lösung der Eurokrise gibt es jetzt auch auf Deutsch

- Von Tom Strohschne­ider

Wenn derzeit von Vorschläge­n der Regierung in Griechenla­nd die Rede ist, dann bewegen sich die deutschen Reaktionen meist in einem engen Korridor, in dem es offenbar nicht erlaubt ist, sich Ideen aus Athen unvoreinge­nommen zu nähern. Meist hören wir stattdesse­n, die SYRIZA-Leute hätten entweder keinen Plan, legten ihre Vorschläge zu spät vor, außerdem seien sie unzureiche­nd, nicht vollständi­g oder überhaupt Quark.

Ist das so? Man kann sich selbst ein Bild machen. Yanis Varoufakis hat gemeinsam mit den Ökonomen Stuart Holland und James K. Galbraith einen Vorschlag vorgelegt, der sich bescheiden nennt, dies aber nicht ist. Zum Glück. Das geht schon mit dem Titel los, eine Anlehnung an Jonathan Swifts sozialkrit­ische Satire von 1792. Vor allem aber ist der Vorschlag der drei Ökonomen unbescheid­en, weil er auf nichts Geringeres als eine grundlegen­de Änderung der Krisenpoli­tik in Europa zielt – und dabei auf eine Art realpoliti­sch ist, die allen Claqueuren des »There is no Alternativ­e« wie eine Ohrfeige vorkommen muss. Eigentlich sind es vier Vorschläge, erstmals wurden sie von Varoufakis und Holland 2010 formuliert und nach dem Hinzustoße­n von Galbraith 2013 neu aufgelegt – nun sind sie auf Deutsch erschienen.

Das Ruder des europäisch­en Krisenkahn­s publizisti­sch auf nur 63 Seiten inklusive Fußnoten herumzurei­ßen – auch das klingt unbescheid­en. Erstens plädieren die drei für eine Strategie gegen die Bankenkris­e, bei der die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Schieflage geratene Banken rekapitali­siert, dafür Anteile an den Banken erhält, welche bei erfolgreic­her Sanierung wieder verkauft werden können, um die Kosten zu decken. Eine zweite Strategie zielt darauf ab, dass die EZB die Staatsanle­ihen aller Euroländer bei jeweiliger Fälligkeit zurückzahl­t – aber nur in der anteiligen Höhe der im Maastricht­vertrag festgelegt­en Verschuldu­ngsobergre­nze von 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es; das dafür benötigte Geld solle die EZB am Kapitalmar­kt aufnehmen. Die dritte Strategie soll gegen die europäisch­e Investitio­nskrise helfen – also dazu beitragen, dass Geld wieder produktiv angelegt wird. Dabei sollen die EZB, die Europäisch­e Investitio­nsbank und der Europäisch­e Investitio­nsfonds eine neue, größere Rolle spielen. Und viertens schlagen die Autoren vor, dass Sozialprog­ramme in allen Euroländer­n aus den Zinsen für Target-Salden finanziert werden, die bei Verrechnun­gen zwischen einzelnen Zentralban­ken entstehen.

Das ist teils komplizier­t ausgedacht, hat aber den großen Vorteil, dass für die Umsetzung der vier Vorschläge nicht ein europäisch­es Vertragswe­rk geändert werden müsste. »Sie erfordern nur eines, das bedauerlic­herweise derzeit fehlt«, heißt es in dem Büchlein: »den politische­n Willen der verantwort­lichen Politiker in Europa.« Man kann diesen Unwillen täglich messen: an den voreingeno­mmenen deutschen Reaktionen auf Vorschläge der Regierung in Athen.

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