Textistenz
»Mein Buch gleicht mir selbst, ich selbst bin sein Plan«, sagt Mircea Cartarescu über sein Opus magnum »Orbitor«, für das er den »Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung« erhält. »Dieses monumentale, exzessive und alle Grenzen sprengende Prosa-Werk ist zugleich Künstler-, Großstadt- und Weltroman, übersteigt aber die Realität auf surreale, halluzinatorische und visionäre Weise«, so bringt es die Jury auf den Punkt. »Alle Erzählströme gehen vom Bewusstsein seines Ich-Erzählers, Träumers und werdenden Dichters Mircea aus, in dessen Kopf Innen- und Außenwelt verschmelzen.«
»Texistenz« – der rumänische Schriftsteller hat für solch ein »Doppelleben« zwischen Persönlichem und Literarischem schon einen Begriff geprägt. Und auch andere fanden für ihn Etiketten. »Proust des Plattenbaus« zum Beispiel, weil Cartarescu eine Zeitlang in einem solchen wohnte (inzwischen ist es ein Haus am Waldesrand). Er stamme aus ärmlichen Verhältnissen, heißt es bei Wikipedia. Drücken wir es anders aus: Er kam 1956 in Bukarest in einer Arbeiterfamilie zur Welt. Schon als Grundschüler begeisterte er sich für Märchen und Science-Fiction-Romane. Er studierte Literaturwissenschaft und schrieb eine Dissertation über den rumänischen Postmodernismus. Bereits während des Studiums, al- so zu Ceauşescu-Zeiten, hat er in studentischen Zirkeln mit postmodernen Formen experimentiert. (»Postmodern hieß für uns, anders zu sein als die anderen.«) 1980 erhielt er den Preis des rumänischen Schriftstellerverbands.
Nach Gedicht- und Erzählbänden fand Cartarescus Werk in der »Orbitor«-Trilogie seinen vorläufigen Höhepunkt, deren letzter Band, »Die Flügel« 2014 im Zsolnay Verlag Wien erschien. Insgesamt sind es fast 2000 Seiten. Uwe Tellkamp, der am Mittwochabend bei der Eröffnungsgala der Buchmesse die Laudatio halten wird, hat schon vorab Verbindungslinien zu Kafka, Joyce und Borges gezogen. Würdigung für Hochartifizielles – der Preisträger, Kosmopolit im Herzen, wird die Idee Europas rühmen und seine Sorgen nicht verhehlen.