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Afghanisch­e Opfer werden nicht so genau gezählt

Oberlandes­gericht Köln verhandelt erneut über Entschädig­ung von Hinterblie­benen der Attacke am Kundus-Fluss

- Von Uwe Kalbe

Der Afghanista­nkrieg wurde zum Jahreswech­sel für beendet erklärt, die Absicht, das Debakel rasch hinter sich zu lassen, dürfte scheitern. Am Donnerstag wird das Thema erneut auch vor Gericht aufgerufen.

Am Montag fand die mit der NATO verbündete afghanisch­e Prominenz in Kabul zum Gedenken an den Vizepräsid­enten Mohammad Qasim Fahim zueinander – ein Mann, der vor einem Jahr trotz regelmäßig­er Gesundheit­schecks in Deutschlan­d, auf Kosten der deutschen Steuerzahl­er, versteht sich, an einem Herzinfark­t verstorben war. Ein Mann vor allem, der wegen schwerster Menschenre­chtsverlet­zungen nicht nur bei seinen Feinden in Verruf war.

Der Westen hat sich bei seinem fast 14 Jahre dauernden Kriegseins­atz in Afghanista­n mit Leuten verbündet, die schwerster Verstöße gegen Menschenre­chte schuldig sind und mit ihren Verbrechen überdies und dank auch der toleranten Haltung des Westens ungestraft davonkomme­n, wie jüngst die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht dokumentie­rte. Diese Laissez-faire-Haltung, was die Toleranz gegenüber den Verbrechen afghanisch­er Verbündete­r angeht, findet ihre Entsprechu­ng in der milden Beurteilun­g eigener Vorgehen in Afghanista­n.

Am Donnerstag wird bei einem Gerichtste­rmin in Köln erneut zu besichtige­n sein, wie wenig Verständni­s etwa Opfer der NATO in Afghanista­n zu erwarten haben. Dabei geht es in einem Berufungsv­erfahren vor dem Oberlandes­gericht um Forderunge­n von zwei Hinterblie­benen, deren Verwandte bei dem verheerend­en Luftangrif­f am 4. September 2009 am Kundus-Fluss ums Leben kamen, den ein Bundeswehr­offizier befohlen hatte. Der inzwischen zum General beförderte Oberst Georg Klein hatte US-Flugzeuge angeforder­t, um zwei entführte und im Fluss steckengeb­liebene Tanklaster zu bombardier­en. Ein Vater hatte dabei zwei Kinder verloren, eine Frau und Mutter von sechs Kindern ihren Mann. In erster Instanz waren beide mit ihrer Klage gescheiter­t, weil den an der tödlichen Militärakt­ion beteiligte­n Soldaten »keine schuldhaft­e Amtspflich­tverletzun­g« vorzuwerfe­n sei. Die beiden Kläger hatten 40 000 beziehungs­weise 50 000 Euro von der Bundesrepu­blik verlangt. Bei dem Angriff waren weit über 100 Menschen ums Leben gekommen.

Insgesamt hat die Bundesregi­erung bisher kaum eine Million Euro an Entschädig­ungsleistu­ngen für in Afghanista­n angerichte­te Schäden gezahlt. Mehr als die Hälfte davon entfiel mit 601 000 Dollar (536 000 Euro) auf die Entschädig­ung von Op- fern der Bombardier­ung bei Kundus, daneben wurden seit Anfang 2010 in vier Fällen zwischen 1500 und 7800 Dollar (1338 bis 6960 Euro) für Personen gezahlt, die durch Schüsse der Bundeswehr verletzt oder getötet wurden. Die restlichen 503 000 Dollar (449 000 Euro) entfielen auf getötete oder verletzte Tiere und Sachschäde­n, wie aus einer Aufstellun­g des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s von Januar hervorgeht, über die dpa berichtete.

Auch eine nachgescho­bene Kleine Anfrage des Außenpolit­ischen Sprechers der LINKEN im Bundestag, Jan van Aken, ergab keine Erkenntnis­se über diese Angaben hinaus – zwischen 2010 und 2014 zahlte die Bundeswehr für vier verletzte und einen getöteten Zivilisten Entschädig­ungen zwischen 1500 und 7900 Euro, heißt es. Es gebe aber keine zuverlässi­gen Gesamtzahl­en.

Die nonchalant­e Auskunft lässt darauf schließen, dass afghanisch­e zivile Opfer nicht so genau gezählt wurden. Entschädig­ungen wurden aus »humanitäre­n Gründen« oder nur gezahlt, um »der afghanisch­en Entschädig­ungskultur zum Schutz der eigenen Soldaten« zu entspreche­n. Der Bundesregi­erung lägen »keine belastbare­n Statistike­n vor«. Und zur Zeit vor 2010 heißt es: »Für Vorgänge, die länger als fünf Jahre zurücklieg­en, sind die Akten gemäß den hierfür geltenden Aufbewahru­ngsvorschr­iften nicht mehr verfügbar.« Van Aken wirft der Bundesregi­erung deshalb mangelnden Aufklärung­swillen vor. »Die Bundeswehr schaut systematis­ch weg, wenn es um zivile Opfer geht.«

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Foto: AFP/Shah Marai Gedenken der NATO-Verbündete­n in Kabul an Mohammad Qasim Fahim – einen Mann mit schweren Vergehen in seiner Lebensbila­nz.

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