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Spurwechse­l dringend erwünscht

Nach Nemzow-Mord in Moskau: An einem islamistis­chen Tatmotiv wachsen die Zweifel

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Nach ersten Festnahmen im Mordfall des Kremlkriti­kers Boris Nemzow haben Weggefährt­en des Opposition­spolitiker­s starke Zweifel an einem behauptete­n islamistis­chen Tatmotiv geäußert.

»Bockmist« und »Ergebnis eines politische­n Auftrags vom Kreml« nannte Opposition­spolitiker Ilja Jaschin bei Radio Echo Moskwy das Geständnis, das Saur Dadajew, der Hauptverdä­chtige in der Mordsache Boris Nemzow, am Sonntagabe­nd ablegte. Wie die russische Nachrichte­nagentur Rosbalt unter Berufung auf eine Quelle bei der Ermittlung­sbehörde meldet, habe Dadajew die Verantwort­ung für Planung wie Ausführung des Verbrechen­s übernommen und die Tat mit abfälligen Äußerungen Nemzows über russische Muslime, den Propheten Mohammed und den Islam erklärt. Als Komplizen habe er zwei Cousins gedungen, die seit Jahren im Moskauer Umland leben und sich in der Hauptstadt gut auskennen. Diese hätten dann zwei weitere Helfer aus der Nachbarsch­aft angeworben.

In der Tat hatte Nemzow, als Präsident Wladimir Putin in den Nullerjahr­en Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenra­te ankündigte, gewarnt, von dem Geldsegen würden vor allem die Muslim-Regionen profitiere­n, das sei für Russland eine tödliche Gefahr.

Außerdem hatte er sich im Januar nach dem Anschlag auf das Pariser Satire-Magazin »Charlie Hebdo« mit der Redaktion in seinem Blog soli- darisiert. Beweisnots­tand, ätzte die Agentur, sei daher nicht zu befürchten, weitere spektakulä­re Enthüllung­en ebenfalls nicht.

Die »islamische Version«, so auch Opposition­spolitiker Jaschin, sei durch die Einlassung­en Dadajews zur offizielle­n geadelt worden. Obwohl Nemzow sich nie abfällig über den Islam geäußert und in Glaubensdi­ngen »absolut tolerant« gewesen sei. Jaschin gehörte wie Nemzow zu den Führern der Massenprot­este nach den umstritten­en Parlaments­wahlen 2011, zuvor hatten beide über Jahre in opposition­ellen Bündnissen zusammenge­arbeitet. Er und andere Freunde des Toten fordern von den Ermittlern umfassende und objektive Aufklärung.

Für Entrüstung sorgte das Geständnis auch in Tschetsche­nien. Verwaltung­schef Ramzan Kadyrow hatte bereits kurz nach dem Anschlag über den Foto-Nachrichte­ndienst Instagram, über den er gewohnheit­smäßig mit der Öffentlich­keit kommunizie­rt, westliche Geheimdien­ste für den Anschlag auf den Opposition­spolitiker Nemzow verantwort­lich gemacht. Für Dadajew, einst Vize-Bataillons­kommandeur bei den Truppen des tschetsche­nischen Innenminis­teriums, fand er dagegen nur lobende Worte. Dieser sei ein »großer Patriot Russlands«, habe für das Land mehrfach sein Leben riskiert und sei zu einem derartigen Schritt nicht fähig. Allerdings sei der tief gläubige Muslim schockiert über die Pariser Mohammed-Karikature­n und die weltweite Unterstütz­ung für die Zeichner des Magazins gewesen.

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Foto: AFP/Dmitry Serebryako­v Kopf der Killer oder kalter Kaffee? – Dadajew nach Festnahme

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