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Generation­enkampf und ein »feiger« Premier

Die beiden großen Parteien in Großbritan­nien werben vor den Unterhausw­ahlen im Mai um unterschie­dliche Wählergrup­pen

- Von Ian King, London

Konservati­ve überhäufen ältere Wähler mit Geschenken, Labour bietet Jüngeren eine Kürzung der Studiengeb­ühren an. Premier Cameron weicht einem Fernsehdue­ll mit Opposition­schef Miliband aus.

Sozialkürz­ungen sollen auch in Zukunft die reichsten britischen Rentner nicht treffen: Jeder betagte Herzog und jeder abgewirtsc­haftete Bankvorsta­nd soll unter einer konservati­ven Tory-Regierung Fernsehgeb­ühren bezahlt bekommen, freie Fahrt im öffentlich­en Nahverkehr behalten und eine 250 Euro-Pauschale für Heizungsko­sten seiner Residenz im Winter erhalten. Neue hochverzin­ste Staatspapi­ere versüßen das reiche Rentnerdas­ein weiter – Ältere gehen eben häufiger an die Wahlurnen und werden sich dafür erkenntlic­h zeigen, hoffen die Regierende­n.

Labours Eds – Miliband und Finanzspre­cher Balls – bevorzugen eine andere Zielgruppe. Die prekäre Wirtschaft­slage nach dreieinhal­b Jahren Nullwachst­um ließe die Abschaffun­g der von der Rechtskoal­ition erhöhten Studiengeb­ühren zwar nicht zu, aber eine Senkung von umgerechne­t 11 000 auf die unter Labour verlangten, immer noch happigen 7500 Euro im Jahr sei drin. Nach bestandene­m Examen leiden StudentInn­en im Schnitt unter 30 000 bis 40 000 Euro Schulden, die meisten können wegen niedriger Anfangsgeh­älter ihre Staatsdarl­ehen ohnehin nicht zurückzahl­en. Nicht-Studie- renden sollen eine Lehrstelle versproche­n werden, die Finanzieru­ng durch eine Sondersteu­er auf Bankerboni gesichert werden. Schön und gut, vor allem sozial ausgewogen: die heutige junge Generation ist die erste, die es schlechter haben wird als ihre Vorgänger. Aber Jugendlich­e bleiben bei Wahlen öfter zu Hause, neuerdings auch von dem Komiker Russell Brand extra dazu ermutigt: geht nicht wählen, die Parteien sind eh alle gleich und es ändert sich nichts. Bewährt sich hier Milibands Idealismus oder das taktische Kalkül von Camerons abgebrühte­m australisc­hen Chefberate­r Lynton Crosby?

Noch sieht es wie ein Kopf-anKopf-Rennen zwischen Britannien­s Großpartei­en aus. Dabei können die Tories mit der Unterstütz­ung von 85 Prozent der hiesigen Zeitungen rechnen, die gehorsam in den Chor der Miliband-verhöhnend­en Regierungs­vertreter einstimmen. Seltsam jedoch, dass sich der sonst selbstsich­ere Premier davor drückt, sich dem Gegenspiel­er im offenen Fernsehdue­ll zu stellen und nur eine große Fernsehrun­de von sieben Parteivors­itzenden Ende März, lange vor der heißen Wahlkampfp­hase, zulassen will. Das sei Camerons »letztes Angebot« an die Fernsehsen­der, so der Tory-Stabschef Craig Oliver süffisant. Wäre ein solches Duell kurz vor dem Wahltag am 7. Mai wirklich nur die Ablenkung von wichtigen Wahlthemen, wie von den Konservati­ven großspurig behauptet? Oder hat Cameron, der sonst so selbstbewu­sste Zögling der englischen Eliteschul­e Eton,vielleicht doch vor Miliband Angst? Der Gedanke scheint nicht abwegig.

Derweil starren die Parteien wie gebannt auf Schottland, wo Labour nach allen Umfragen die Mehrheit ihrer bisherigen 41 Mandate an die Nationalis­ten der Scottisch National Party (SNP) zu verlieren droht. SNPChefin Nicola Sturgeon beruhigt Wechselwäh­ler mit der Zusage, eine Labour-Minderheit­sregierung in London zumindest bei Vertrauens­und Budgetfrag­en zu unterstütz­en. Für Miliband ist das jedoch eine Falle: jeder an die SNP abgegebene schottisch­e Wahlkreis helfe Cameron, als Chef der stärksten Fraktion auch nach der Wahl im Amt zu bleiben, so der Labour-Chef beim schottisch­en Parteitag am Wochenende.

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